Kapitel 21 - Alte Bekannte

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Gerrit erstarrte und konnte beim besten Willen nicht erkennen, wo die Stimme herkam. Doch sie ertönte erneut: „Wer bist du?" murmelte es um ihn herum. Gerrit nahm seinen restlichen Mut zusammen und antwortete: „Meine Kollegin und ich wurden hier unten verschüttet und nun kann ich sie nicht mehr finden. Wir müssen hier raus, können Sie mir helfen, meine Kollegin zu finden? Wer sind Sie überhaupt?" Eine Weile herrschte Stille und Gerrit wurde immer nervöser. Dann hörte er ein Kratzen auf Metall, welches ihm die Haare zu Berge stehen ließ. Das Kratzen kam immer näher und auf einmal blitzte ein Licht auf und Gerrit wurde geblendet. Er zuckte automatisch zurück und stieß sich den Kopf erneut an der Wand. Vorsichtig öffnete er ein Auge nach dem anderen und blickte in ein zerfurchtes Gesicht in dem sich die Schatten fingen. Er konnte sein Gegenüber nicht genauer erkennen. Gerrits Kopf dröhnte nun furchtbar und alles verschwamm vor seinen Augen. Kurz hatte er Panik, dass er ohnmächtig werden würde, doch der Moment verging Gott sei Dank schnell wieder. Die raue Stimme sprach erneut: „Ich kenne Ihre Kollegin, ich habe sie gefunden und mich um sie gekümmert. Folgen Sie mir." Gerrit spannte sich an. Hatte sein Gegenüber seiner Kollegin etwas angetan? Ging es ihr gut? Vorsichtig und aufmerksam folgte er der Gestalt vor ihm durch die Gänge. Doch seine Sorge wurde schnell zerstreut als sie um die nächste Ecke bogen und der Tunnel aufhörte. Der Schacht ging in eine Art Wartungsraum über, in dem er Alex auf einem behelfsmäßigen Bett liegen sah. Sie war blass aber das schob Gerrit auf die Erschöpfung und die Entbehrungen, die sie hinter sich hatte. Sobald er aus dem Schacht herausgetreten war, richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und streckte sich erst einmal. Er merkte erneut, wie geschunden sein Körper war, doch irgendwie tat der Schmerz gut – er zeigte dem Kommissar, dass er noch am Leben war. Nun blickte er sich den geheimnisvollen Mann näher an und keuchte laut auf: „Sie sind doch Herr Rühlke! Ich dachte Sie liegen noch im Krankenhaus? Sie waren doch ziemlich verletzt?!" Der obdachlose Mann lächelte nur: „Ach wissen Sie, wenn man keine richtige Krankenversicherung hat und nichts durch ein regelmäßiges Einkommen einzahlt, wird man genau so lange im Krankenhaus behalten, bis man fit genug ist um selber zu laufen. Ich bin gestern Abend entlassen worden. Mir geht es ja auch blendend, wenn man mal von den Prellungen absieht. Ich habe mich hier unten häuslich eingerichtet – nachts ist es immer so kalt und ich muss mich ja doch ein wenig erholen nach dem Unfall. Dass natürlich das Hotel nebenan gesprengt wird, habe ich heute leider nur durch Zufall erfahren." Gerrit war baff und brauchte ein Weilchen, bis er die Sprache wiederfand. „Ich kann nur wiederholen was ich neulich schon gesagt habe: Es tut mir unendlich leid, dass ich Sie mit dem Auto angefahren habe. Und ich muss Ihnen erneut danken, dass Sie sich um meine Kollegin gekümmert haben und..." Rühlke unterbrach ihn: „ Das war doch das mindeste, was ich tun konnte, immerhin ist sie wegen mir entführt worden. Wir müssen sie aber in ein Krankenhaus bringen oder zumindest in eine wärmere Umgebung." Gerrit nickte nachdenklich. „Könnten Sie uns dann hier hinaus führen? Ich werde meine Kollegin tragen, leider kenne ich den Weg nicht." Rühlke versprach ihm, den beiden Kommissaren den Weg zu zeigen, daher nahm Gerrit Alex vorsichtig in die Arme und gemeinsam machten sich die beiden Männer auf den Weg nach draußen.

Robert schlug die Augen auf und starrte an eine weiße Decke. Ihm verschwamm alles vor den Augen und sein Kopf dröhnte. Vorsichtig richtete er sich auf, doch er kam nur ein paar Zentimeter weit, dann sank er mit einem Stöhnen wieder in die Waagrechte. Robert hatte keine Ahnung, wo er war, was er hier tat und vor allem wie er hier her gekommen war. Das letzte woran er sich erinnerte, war sein Versuch die Toilette zu besuchen und der näherkommende Boden der Bar gewesen. Erneut versuchte er, sich zu bewegen, doch seine Arme schienen festgebunden zu sein. Panik stieg in ihm auf. Was zur Hölle war passiert? Langsam klärte sich sein Blick und er konnte, zwar immer noch leicht verschwommen, seine Umgebung betrachten. Das Zimmer in dem er sich befand war spartanisch eingerichtet, ein weißer Schrank in der rechten Ecke, eine braune Tür in der linken Ecke und als Robert seine Füße betrachtete, sah er nur eine weiße Decke und ein weiß-silbernes Bettgestell. Mit schier unbeschreiblicher Mühe drehte der Kommissar den Kopf und besah sich den Rest des Raums. Rechts von ihm war ein Fenster und links von ihm eine Stange, an der ein Beutel mit Flüssigkeit hing. Er verfolgte den Schlauch, der aus dem Beutel hing und stellte fest, dass er in einem Pflaster an seiner linken Armbeuge verschwand. Robert ging ein Licht auf: Er war im Krankenhaus! Nur warum? Vielleicht hatte er sich ja den Kopf übel gestoßen, als er umgefallen war? Warum hatte er sich eigentlich so betrunken? Sein Hirn schien ihm diese Information nicht geben zu wollen, egal wie sehr er es auch versuchte. Im Gegenteil, sein Gehirn befahl seinen Augen, sich zu schließen und schickte ihn erneut schlafen.

Gerrit schien eine Ewigkeit vergangen, seit er den Weg mit Herrn Rühlke begonnen hatte. Seine Muskeln schrien und beschwerten sich schon seit einer halben Stunde. Gerrits Kräfte ließen nach und das einzige, was ihn weiterlaufen ließ war die Sorge um Alex. Also setzte er einen Fuß vor den anderen, den Blick immer auf Rühlkes Rücken geheftet. Irgendwann drehte sich Rühlke um und sagte ihm, dass sie gleich draußen seien. Erleichtert beschleunigte Gerrit seine Schritte und tatsächlich: 5 Abbiegungen weiter spürte er einen Luftzug und keine zwei Minuten später öffnete der Obdachlose eine Tür im Schacht und das Trio kletterte hinaus. Gerrit hatte keine Ahnung, wo genau er sich befand aber das war ihm egal. Er atmete tief ein und sog die frische Luft in seine Lungen. Er fühlte sich beinahe berauscht und lehnte Alex an ein Trümmerstück, sodass er seine Arme etwas entspannen konnte. Mit einem entspannten Seufzer setzte er sich ebenfalls auf den Boden und lehnte sich an einen Stein. Er registrierte, dass Rühlke irgendetwas sagte, doch bevor er eine Chance hatte es zu verstehen, verlor er erneut das Bewusstsein.

Gefühlte fünf Minuten nachdem er eingeschlafen war, erwachte Robert. Sein Kopf brummte nicht mehr so schlimm wie vorher. Neben ihm stand jemand, eine Krankenschwester, wie er nach einem zweiten Blick erkannte. Sie blickte kurz von der Akte auf und begann dann mit dem Kommissar zu reden: „Ah, Herr Ritter Sie sind wach! Sie haben uns echt Sorgen bereitet. Wie haben Sie es bitte auf 2,5 Promille gebracht? Wir mussten Ihnen den Magen auspumpen und Ihnen Flüssigkeit verabreichen. Gut, dass der Wirt den Notruf gewählt hat." Robert war total verwirrt: „Wo bin ich eigentlich?" „Im Marienklinikum. Herr Ritter, weshalb haben Sie sich so betrunken?" fragte ihn die Krankenschwester. Robert überlegte erneut und dieses Mal fiel es ihm ein. Er wünschte sich, er könnte es vergessen. Sein Kopf wurde schwer und er seine Wangen brannten. Robert wollte nicht wieder weinen, deswegen hatte er getrunken. Der Alkohol hatte es leicht gemacht, sich auf andere, banalere Dinge zu konzentrieren. „Bitte, ich muss hier raus, ich muss mich bewegen." Die Krankenschwester zögerte einen Moment, doch schließlich nickte sie, befahl dem Kommissar aber, den Tropf mit der Flüssigkeit mitzunehmen. Robert schwang die Beine aus dem Bett und flüchtete aus dem Zimmer.

Angst [K11 - Kommissare im Einsatz]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt