Die Geschichte spielt im 18. Bis 19. Jahrhundert, Hauptfigur ist die 15 jährige Louisa. Es spielt in London, zu Weihnachten.
Ein Baby reißt mich aus dem Schlaf. Genauer gesagt, sein Weinen. Blinzelnd öffne ich meine Augen und stelle verschlafen fest, dass es mein kleiner Bruder ist. „Shh. Alles gut, Alex, alles gut. Wir finden schon jemanden, bei dem wir heute Nacht um etwas Essen bitten können!", murmle ich dem Kleinen zu. Er muss das mit seinen 5 Monaten grausam finden. Unsere Eltern sind bei dem Brand unseres Hauses umgekommen, weswegen wir jetzt seit ein paar wochen auf den straßen wandern. Ich nehme ihn hoch und versuche so gut es geht, seinen kleinen ausgemergelten Körper unter unseren wenigen schmutzigen Kleidern und Tüchern zu verbergen, damit er nicht friert. Und so beginnt das morgentliche Ritual erneut. Gestern haben wir niemanden gefunden, der uns bei sich aufnimmt, weswegen wir draußen übernachten mussten. Zum Glück konnte ich bei dem Brand eine dickere Decke retten. So stirbt Alex wenigstens nicht an Kälte. Essen besorge ich uns immer, wenn auch nicht immer ganz legal. Nun gehe ich von Tür zu Tür und klopfe, bitte um Nahrung und eine Unterkunft für die Nacht. Wenn sie mich überhaupt zu wort kommen lassen. Als ich gegen Mittag immer noch nichts habe, laufe ich langsam Richtung Markt, um wenigstens meinem kleinen Bruder etwas zu Essen zu besorgen. Etwas entfernt von einem Milch- und Käsestand bleibe ich stehen um meine Chancen abzuschätzen. Es könnte funktionieren und das ist für ein Baby auch gut verträglich. So schaffe ich es, ein mittelgroßes Stück Käse mitgehen zu lassen, ebenso wie eine etwas kleinere Glaskanne Milch. Ich stecke beides in einen Sack, den ich von einem netterem wanderndem Bäcker habe, der mir diesen gefüllt in die Hand gedrückt hat. Im nächsten Moment nehme ich auch schon einen Geruch war, der meinen Magen sofort knurren lässt. Brot. Ich drehe mich um und entdecke den stand einer kleineren Bäckerei, die nicht nur Backwaren, sondern auch getreide und Haferschleim verkauft. Da muss ich nicht lange überlegen. Doch gerade als ich mich wieder aus dem Staub machen will, hebt mich jemand an meinem zerschlissenem überwurf hoch, was mich fast dazu bringt, Alex und den Beutel fallen zu lassen. „Na wen haben wir den da! Deinen Locken nach zu urteilen, bist du die kleine Diebin, die hier schon allseits bekannt ist! Ich glaube, da sollte ich dich zu der stadtwache da drüben bringen, da bekommst du deine gerechte Strafe!", grölt er laut, weswegen sich der halbe Markt zu uns umdreht. Ich beginne mich zu winden, so stark es geht, doch der Mann ist stärker und hält mich fest. Er ist gerade ein paar Schritte gegangen, als sich eine freundliche, aber im ersten Moment streng wirkende weibliche Stimmer erhebt: „Nein, das ist ein Irrtum! Dies ist meine Tochter, ich gab ihr zu spielen die Kleider unseres Stallburschen, da sie so viele ihrer eigenen schon beschmutzt hat. Und im arm hält sie auch meinen kleinen Sohn, also lassen Sie sie herunter. Sofort!". Überrascht sehe ich eine zierliche Frau an, die sich durch die Menschenmasse schibt, hinter ihr ein großgewachsener breitschultriger Mann, der mich interessiert betrachtet. Ich werde unsanft auf den Boden gestellt und gehe einen Schritt auf die Frau zu, bevor ich so leise murmle, dass nur sie es hört: „Vielen Dank Ma'am, aber hier liegt ein Irrtum vor, meine und meines Bruders Eltern sind vor ein paar Wochen gestorben. Ich bin nicht ihre Tochter!". Doch sie lächelt nur bedeutungsstark, ehe sie mich und Alex an sich zieht und laut sagt: „Mein armes Kind! Komm, wir verschwinden von diesem Grobian, ehe er sich noch erdreistet dich etwas schlimmerem zu beschuldigen! Und ich gebe dir zu Hause deine Kleidung wieder!". Und schon zieht sie mich mit sich. Es scheint sie nicht zu kümmern, dass ihr teuer aussehendes Kleid ein wenig im Schlamm schleift, weswegen ich vermute, dass sie und ihr Mann aus einer reicheren Familie kommen. Ich drücke Alex ein wenig mehr an mich und schaue mich verängstigt um. Kann ich ihr denn trauen? Ich beschließe einfach, es zu versuchen. Auch wenn es eine schlechte Idee sein könnte. Wenig Zeit später betreten wir ein großes Haus und sobald die Türen geschlossen sind, dreht sich die Frau um und meint: „Wirklich Mädchen, wenn du schon stiehlst, dann mit Stil. Aber naja. Das geht schon. Jetzt musst du nicht mehr stehlen. Ich bin Mary. Mary Greenville. Und das ist mein Mann, George. Wie hießen denn du und dein Bruder?". Total verunsichert antworte ich: „Ich bin Louisa, Ma'am. Mein Bruder heißt Alexander, aber ich nenne ihn Alex. Entschuldigen sie, wenn ich eine Frage stellen dürfte, warum bin ich hier?". Lady Greenville, sie war durch ein paar Gerüchte bekannt, weswegen ich mir ihres Adelsstandes vollkommen bewusst war, lachte melodisch auf, bevor sie mir erklärte: „Vielleicht hast du schon davon gehört, aber ich kann keine Kinder bekommen, Louisa. Und als ich dich heute da so gesehen habe, haben George und ich den Entschluss gefasst, euch aufzunehmen. Zu adoptieren gewissermaßen. Da heute doch weihnachten ist. Was hälst du davon?". Adoptieren? Sie wollten und aufziehen, obwohl wir nicht ihre Kinder, nicht ihre Pflicht waren? Und heute ist weihnachten? „Wenn... wenn sie das so wünschen Ma'am...", stottere ich als Antwort. Ein erneutes Lachen ihrerseits: „Ach bitte, nenn mich Mary oder Mom. Und es geht auch um dich. Alex kann ja leider noch nicht entscheiden. Ich habe von deiner Geschichte gehört, eure Eltern sind tot, nicht? Also, lebt bei uns!". Ich nicke langsam und beginne zu begreifen. „Warten sie kurz Ma'am, äh Mary. Heute ist Weihnachten?", frage ich leicht überrascht. Sie nickt und sagt erfreut: „Ja kleines, und allein damit, dass du bleibst machst du mir das Beste Geschenk: Ich habe mir immer Kinder gewünscht! Und jetzt, Kleines, geh doch bitte mit James, dem netten älteren Diener. Er wird dir dein Zimmer zeigen. Noch ist es das Gästezimmer, aber du kannst es einrichten, wie du willst. Wir sind heute mit der Absicht, dich aufzusuchen in die Stadt gegangen. Alles ist also vorbereitet.". Ich nicke, immer noch wie betäubt und gehe zu James. Ich hatte nichts und plötzlich bin ich adoptiert von einer Lady und einem Lord, die sich Kinder wünschen und dafür nicht in Waisenheime gegangen sind, sondern explizit mich und meinen Bruder suchen wollten. In meinem Zimmer angekommen, sehe ich eine Zofem welche gerade das Bett macht. Sie hat schulterlange ungebändigte rote Locken, eine etwas dunklere Haut und als sie sich umdreht, sehe ich ihre blitzenden grünen Augen, ehe sie auf mich zugeeilt kommt und froh sagt: „Oh, endlich hat die Lady Sie gefunden! Mein Name ist Rose! Wegen meinen Haaren, laut meiner Mutter. Sie wissen gar nicht, wie froh ich bin, Sie zu sehen! Und sie haben auch ein Baby mit! Ist das ihr Bruder? Der ist so süß! Aber geben sie ihn erstmal Zoe, sie wird sich um ihn kümmern, wärend ich mich mit ihnen ins Bad begebe, ja?". Überwältigt von der Flut der Worte, tue ich einfach, was sie sagt und drücke meinem Bruder noch einen Kuss auf die Stirn, bevor ich Rose durch eine Tür in einen riesigen Waschraum folge, in dem sogar eine Wanne mit erhitztem Wasser steht. Abrupt bleibe ich stehen und betrachte alles. Wie lange war das denn schon geplant? Und warum wusste anscheinend der ganze Hof davon? „Rose, erstmal, nenne mich ruhig Louisa, dass ist mein Name. Zweitens, wussten alle davon?", frage ich ruhig. Rose grinst, bevor sie wieder losplappert: „Ja, natürlich wussten wir alle davon. Lady Mary hat das geplant, seit sie auf dem Markt zum ersten Mal von ihnen gehört hat. Pardon, von dir. Und von deinem kleinen Bruder. Und jetzt, lassen sie mich helfen, wir müssen den ganzen Schmutz von ihnen abbekommen. Es ist immerhin Weihnachten, da sollten sie zum Essen ordentlich aussehen! Sehen sie es einfach als Weihnachtsgeschenk von der Lady.". Ich nicke und lasse mir dabei helfen die Fetzen von meinem Körper abzuschälen und mich dann in das warme Wasser zu legen. Mit den Ohren tauche ich unter, so dass ich Rose nur noch gedämpft weiterreden höre...
Beeindruckt betrachte ich mich im Spiegel. Meine langen goldblonden Locken sind gebändigt und zur Hälfte hochgesteckt worden. Ich trage ein Ozeanblaues Kleid, das meine Augen in der selben Farbe besser zur Geltung bringt, aber meine Brüste vollständig bedeckt. Es ist bodenlang und der Rock weitet sich, aber es sieht einfach wunderschön aus. Ich habe sogar ein wenig Silberschmuck bekommen, den ich nun auch trage. Dazu hat Rose meine Lippen leicht gerötet, weil sie meinte, es gehöre einfach dazu. Auch Alex habe ich wieder in meinem Arm, er ist gewickelt worden und schläft tief und fest. So schreite ich nun langsam auf die Tür zu, die zum Speiseraum führen soll. Doch ich öffne sie nicht sofort. Zuerst überlege ich noch ein wenig. Dies ist das beste Weihnachten, dass ich je hatte. Und das führt mich zu einem Entschluss. Ich muss meine Vergangenheit hinter mir lassen. Lächelnd öffne ich die Tür und betrete mein neues Leben als Luisa Greenville. Das ist das größte und beste Geschenk, das mir je zu Weihnachten gemacht wurde. Danke!
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Weihnachten
Short StoryNur eine kleine Weihnachtsgeschichte über das, was ein Tag bewirken kann