Hoffnung

117 21 18
                                    

Da war dieses Mädchen...

Ich kannte sie seit meiner Kindheit. Sie war einige Jahre älter als ich. Ich mochte sie sehr. Um nicht zu sagen, ich liebte sie. Doch es war nicht diese Liebe... Es war eine andere Form von Liebe, dieser Liebe eins zu eins ebenbürtig, vielleicht sogar um einiges großartiger. Eine ambitioniertere, idealistische Liebe, vereint durch Verstand und Geist.

Wahrscheinlich sah ich deswegen nie eine Schwäche an ihr. Obwohl ich mir sicher bin, dass sie auch nie eine Schwäche hatte. Sie war ein strahlendes Geschöpf, immer bedacht und sich selbst dabei zum Besten formend. Sie war euphorisch, übermotiviert, hatte Energie, das die Welt von den Angeln hätte reißen können, hätte man ihr nur eine Chance gegeben. Träumen tat sie für uns alle! Es schien so, als hätten ihre Gedanken kein Ende. Ihre Fantasie floss grenzenlos, als würde sie aus einer unerschöpflichen Quelle trinken und uns von dem Wasser stillen. Täglich, immer, so viel sie konnte. Sie lebte für ihre Freunde und ihre Mitmenschen. Sie liebte ihre Freunde und ihre Mitmenschen.

Sie liebte auch mich. Da war ich mir sicher. Egal, wie vielen Leuten sie noch nahe stand, um mich kümmerte sie sich immer besonders.

Damals war ich schwach. Ich bin es immer noch. Das einzige, was mich auf den Beinen hielt, war sie. Die einzige, die zu mir hielt und mich immer aufbaute, egal wie oft ich herunterfiel und wie oft ich wieder rückfällig wurde. Sie stand immer da mit einem aufmunterndem Lächeln und aufbauenden Wörtern. Ohne Wut oder Ärger oder Anzeichen von Erschöpfung. Sie war immer da. Immer stand sie bei uns.

Unsere Kindheit war wundervoll. Bestimmt von ihrer warmen Führung und ihrem Zusammenhalt. Wir spielten und tollten mit ihr herum. Bis spät in den Nachmittag. Sie konnte uns mit Leichtigkeit und Zuneigung erziehen. Sie war die Älteste von uns und Freundschaft war nicht das Einzige, was uns verband. Sie liebte es, Menschen ihre schlechten Eigenschaften auszutreiben. Und das tat sie auf geschicktester Art und Weise, so dass wir es gar nicht wirklich mitbekamen, aber wir wurden immer freundlicher zueinander, immer zuvorkommender und immer stärker. Wir alle zusammen. Wir waren ein Mensch und wir teilten alles miteinander und wir waren Eins. Ich bin mir sicher, dass wir nur so fühlten, wegen ihr.

Das stärkste aber, was ich an ihr bewunderte, war ihre Hoffnung.

Als sie nämlich anfingen, uns aus unseren Häusern und aus unseren Städten zu jagen, war es sie, die uns mit Hoffnung tröstete und uns leben gab. Wir lebten weiter. Wir lachten weiter. Alle zusammen. So waren wir stark. Sie hielt uns zusammen.

Sie gab uns Hoffnung, als so langsam die ersten Bomben vom Himmel fielen. Als wir unsere Häuser, unser Hab und Gut, unser Besitz für immer verloren.

Sie gab uns Hoffnung, Halt und Stütze, als die ersten Truppen einmarschierten und wir die ersten geliebten Menschen verloren... Für immer.

Meine Mutter starb. Mein Bruder starb. Meine Tante starb. Vor meinen Augen.

Ich sah ihre toten Körper zu jeder Minute meines restlichen Lebens. Wenn ich schlief, schliefen sie neben mir. Wenn ich aufwachte, sah ich sie als Erstes. Dieser dunkle Schatten würde mich niemals wieder verlassen. Auch um sie legte sich dieser Schatten. Um uns alle. Wir verloren alle jemanden, den wir liebten. Wir verloren Liebe. Viel Liebe.

Doch ihre Liebe nahm nicht ab. Ihre Liebe wurde nicht schwächer, mit denen, die sie verlor. Sie gab uns, die wir ihr blieben, bloß umso mehr.

Immer sprach sie von besseren Zeiten. Von einem goldenen Zeitalter. Von einer Welt ohne Kriege, ohne Leid, ohne Schmerzen und Opfer. Es war so arglos und naiv von ihr. Ihre leichtgläubigen Worte schienen so unrealistisch. Doch immer sprach sie darüber. Und immer sah ich ihr dabei in die Augen. Ein unbeschreibliches Feuer loderte in ihnen. Stärker und mächtiger, als ich je ein Feuer hatte brennen sehen. Ich konnte in ihren Augen diese Zukunft sehen. Sie erstrahlte und steckte uns mit diesem Feuer an. Es war unbeschreiblich. Diese Zukunft schien zum Greifen nah! Sie war so perfekt! Ich konnte es kaum erwarten! Ich konnte diese Zukunft kaum erwarten!

HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt