1. Kapitel - 8:00 Uhr

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Kapitel 1: 8:00 Uhr

Leos POV

Nachdem endlich das gesamte Gepäck verstaut war und wir alle einen Sitzplatz gefunden hatten, ging es endlich los. Wir fuhren auf Abschlussfahrt nach Venedig! Ich konnte es noch gar nicht so richtig glauben. Es fühlte sich wie gestern an, dass die Schulleitung dem Vorschlag gemeinsam nach Italien zu fahren zugestimmt hatte. Und als von den fünf vorgeschlagenen Städten auch noch Venedig ausgesucht wurde, war mein Glück besiegelt.

In den stressigen Tagen und Wochen der Prüfungen kam uns solch eine Fahrt absolut recht. So konnten wir eine Woche lang die Gedanken an die Schule in die hinterste Schublade schieben und uns vollkommen erholen. Dass ich durch ein paar glückliche Zufälle auch noch alle meine Freunde um mich hatte, machte es noch ein Stück besser.

Ich freute mich total die nächsten fünf Tage immer in Bens Nähe sein zu können. Selbst in den Ferien hatten wir uns nie länger als zwei Tage am Stück gesehen, da er immer von seinem Ferienjob in Anspruch genommen wurde und ich viel Zeit mit Training und Wettkämpfen verbrachte.

Doch jetzt würde uns niemand trennen. Wir konnten den Aufenthalt in Venedig in vollen Zügen genießen. Dass Bens Vater mitkam, verkürzte meine Freude natürlich ein wenig. Nicht das ich nicht gut mit ihm klarkam, ich verstand mich sogar sehr gut mit ihm, aber wer wollte schon den Vater seines Freundes auf einer Klassenfahrt dabei haben?

Ein weiterer Nachteil an dieser Fahrt war, dass ich die ganze Zeit in einem Zimmer mit mindestens drei anderen Mädchen aushalten musste. Wenn ich bedachte, wer da alles in meinen Kursen herumspukte, wurde mir ganz mulmig zu Mute. Wie sollte ich denn fünf Tage mit den aufgetakelten Tussis verbringen?

Zum Glück gab Professor Brehmer bekannt, dass die angekündigte Auslosung der Zimmer nur ein kleiner Scherz seinerseits gewesen war. Doch im Gegensatz zu ihm fand das keiner lustig. Scheinbar war ich nicht die Einzige, die sich schon Gedanken darüber gemacht hatte, wie schlimm es werden konnte.

Von seinem Platz gleich neben der Tür aus reichte er eine Liste nach hinten. Die einzelnen Zimmer sollten sich darauf eintragen. Als die Liste bei uns anlangte, stöhnte ich auf. Die meisten Räume waren schon belegt und außerdem wurde strikt in Mädchen- und Jungen-Zimmer unterteilt.

Was für ein Schwachsinn. Waren wir hier etwa im Kindergarten? Wir waren alt genug um auf uns selbst aufzupassen und in einem gemischten Zimmer keinen Scheiß anzustellen.

Özzi war scheinbar genau meiner Meinung. Denn als er sich zu uns nach vorne lehnte, um die Liste zu betrachten, rief er laut: „Ey, warum können wir nicht einfach ein gemischtes Sechserzimmer haben? Das stört doch keinen!“

Oh man Özzi. Das der nicht einmal seine Klappe halten konnte. Natürlich war nun die gesamte Aufmerksamkeit auf mich und meine Freunde gerichtet.

„Dazu muss ich jetzt nichts sagen, oder?“, gab Professor Brehmer zurück und strafte uns mit einem warnenden Blick. Er kannte uns doch, also warum tat er nun so, als wären wir die Rebellen der Gruppe?

Mit einem kurzen Blick zu Sophie und Jasmin, die mir nur zunickten, trug ich uns  drei in ein leeres Zimmer ein. Hoffentlich würden wir alleine bleiben und nicht eine der Tussis abbekommen. Wenn ich mich heute zurückerinnere lache ich darüber, was für Bedenken ich hatte. Aber ich konnte ja nicht wissen, dass das bald meine kleinste Sorge sein würde.

Sophies POV

Ich hatte das Gefühl, dass mich heute alle Leute anstarrten. Besonders die Amerikanerinnen tuschelten geheimnisvoll und zeigten dabei immer auf mich. Was war so schlimm daran, dass ich zwei Jahre jünger war, als alle anderen?

Als Özzi bemerkte, dass ich traurig immer wieder zu den Tuschelnden schaute, drehte er behutsam meinen Kopf, sodass ich in seine Augen blicken musste. Mit einem sanften Blick machte er mir klar, dass ich nicht weiter darauf achten sollte. Ein Glück, dass ich ihn hatte! Er war wirklich das Beste, was mir je passiert war.

Im Bus herrschte eine heitere Stimmung. Wir waren gerade auf die Autobahn aufgefahren und hatten also noch über 15 Stunden Fahrt vor uns. Doch davon schien sich keiner einkriegen zu lassen. Es wurde herzlich gescherzt, geschwätzt und sogar gesungen. Die Austauschschülerinnen in der letzten Reihe hatten pausenlos Lieder von irgend so einer Boyband laufen, von denen sie scheinbar alle Texte auswendig kannten…

Entgegen meiner Erwartung waren Jonas, Ben und Özzi aber nicht besonders angewidert von deren Gesang, sondern starrten sogar die ganze Zeit in deren Richtung! Klar, sie waren nicht gerade hässlich und ihre Stimmen waren auch nicht die schlechtesten, aber hallo?

Ich war schon ein wenig enttäuscht von Özzi. Dass er so leicht wieder Mädchen wie Jackie, die ja zum Glück die Schule gewechselt hatte, hinterherschaute, hätte ich nicht gedacht. Eigentlich war ich der festen Überzeugung gewesen, dass er sich in mich verliebt hatte und es mochte mit mir zusammen zu sein.

Doch nicht jeder hier im Bus war fröhlich. Diejenigen, welche alleine in den Sitzbänken saßen, blickten gelangweilt aus dem Fenster und betrachteten die vorbeiziehenden Landschaften, oder hörten mit großen Kopfhörern Musik.

Und einer war besonders grimmig: Der Busfahrer. Ich konnte absolut nicht verstehen, warum er so miesgelaunt in seinem Sitz saß und das Lenkrad mit beiden Händen fest umklammert hielt. Fuhr er diese Fahrt nicht eigentlich freiwillig? Laut Professor Brehmer war er doch ein Freiwilliger der Elternschaft, oder?

Es war schon seltsam, denn irgendwie wirkte er nervös. Was konnte ihn denn so nervös machen? War das nicht eine ganz normale Fahrt für ihn? Oder war hier etwa etwas anderes im Gange? Hatte er seine Zeit überzogen oder stimmte etwas mit dem Bus nicht, dass er nun bei einer Kontrolle Angst haben müsste? Die Antwort würde mich nur zu gerne interessieren.

„Özzi, kennst du den Busfahrer?“, fragte ich, weil sie selbst nicht wusste wer er war und sie ihn auch keinem Schüler als Vater zuordnen konnte.

„Nö, hab ich noch nie gesehen. Was ist mit ihm?“, entgegnete mein Freund und reckte sich ein wenig um einen besseren Blick auf den Fahrer zu erhaschen.

„Er wirkt etwas seltsam auf mich“, erklärte ich ihm kurz, da er es sowieso nicht verstehen würde. Özzi meinte immer, ich sei zu ängstlich und sähe in jedem „seltsamen“ Menschen einen Verbrecher. Ich selbst bezeichnete das als eine Begabung, doch Özzi hatte nie Verständnis für meine Beobachtungen.

So war es auch jetzt.
„Ach quatsch, da bildest du dir etwas ein, es ist doch nur ein Busfahrer“, sagte Özzi und beendete das Thema für sich.

Da mir die Situation aber ziemlich merkwürdig erschien beugte ich mich nach vorne.
„Sag mal kennst du den Busfahrer?“, wollte ich von Ben wissen.

„Hab ich noch nie gesehen“, bestätigte dieser meine Vermutungen.

„Und weißt du ob dein Vater ihn kennt, oder wie er ausgesucht wurde?“, fragte ich hartnäckig weiter. Ben saß an der Quelle, also vielleicht wusste er etwas mehr über den ominösen Mann.

„Mein Vater hat ihn auch heute Morgen zum ersten Mal getroffen. Er ist scheinbar ein guter Freund von einem der Elternvertreter. Er wurde in der letzten Elternbeiratssitzung vorgeschlagen und er hat sich bereit erklärt uns mit seinem eigenen Bus zu fahren“, teilte Ben sein Wissen mit mir.

„Also weiß niemand, ob er wirklich der ist, der er vorgibt zu sein“, murmelte ich nachdenklich vor mich hin.

„Sophie, hast du etwa etwas herausgefunden, was wichtig für uns sein könnte?“, wollte Leo wissen, die unserem kurzen Gespräch gespannt gelauscht hatte.

„Sophie sieht mal wieder Gespenster, wo keine sind“, mischte sich nun auch Özzi ein und verdrehte die Augen.

Beleidigt schlug ich ihm gegen den Arm.
„Du musst mir nicht immer in den Rücken fallen! Du kannst mich auch mal unterstützen“, motzte ich ihn an und drehte mich schmollend zum Fenster. Der konnte mich mal. Und so jemand nennt sich mein „Freund“.

„He, dass war doch nicht so gemeint“, versuchte er mich zu beschwichtigen doch ich blockte ab.

„Vielleicht sollten wir lieber einmal ein Auge auf ihn werfen“, gab Ben zu bedenken.

„Nicht du auch noch“, rief Özzi entsetzt und damit war die Unterhaltung beendet.

Das letzte Mal Allein gegen die Zeit (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt