G H O S T

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Meine Füße baumelten über dem Rand der Mauer.

Unter ihnen befand sich das grüne rauschende Wasser.

Ich beobachtete mein Spiegelbild, wie es verträumt in den Fluss sah und Den Strömungen sehnend folgte.

Auf der anderen Seite befand sich wieder der Junge.

Der Junge mit der durchsichtigen Haut und den strahlend braunen Augen.

Ich sah ihn mir zu winken, obwohl er wusste, dass ich ihn eigentlich zu ignorieren versuchte.

Warum? Er machte mich verrückt.

Stand ich im Bad vor dem Spiegel, war er hinter mir.
Saß ich in der Schule, befand er sich neben der Lehrerin und lächelte mir zu.

"Was machst du hier?", fragte er und beobachtete mich über der Schulter.

Ich spürte die Kälte, die von ihm ausging.
' spürte, dass er nicht real war.

Ich drehte mich zu ihm um, er lächelte mich wieder an.

"Was bist du?", flüsterte ich.

Er grinste und setzte sich neben mich.

"Gutmütig, Heiß, Objektiv, Super, Talentiert. Ich bin perfekt!", lachte er.

Ich hob die Augenbraue und sah wieder nach unten.

"Weißt du Taddl... wärst du nur zwei Jahre früher geboren worden, hätten wir uns kennengelernt. Das wäre mit Sicherheit lustig gewesen! Wir wären jetzt die besten Freunde und du hättest mir von deiner Freundin erzählt und das du dich wieder mit Mama gestritten hättest. Du wärst zu mir gekommen, wenn du Probleme gehabt hättest.", fing er an begeistert zu erzählen.

Verwirrt legte ich die Stirn in Falten.

Was redete er da? War er verrückt?

"Du hättest mich 'großer Bruder' genannt! Das war schon immer mein Wunsch! Einen kleinen Bruder zu haben, auf den ich aufpassen könnte. Ich hab mich damals so gefreut als deine Mum zu mir kam und mir von einem weiteren Kind erzählt hat. Leider kam es nie dazu." Seine Begeisterung war verschwunden, er blickte mich traurig an und suchte Augenkontakt.

Ich gewährte ihm diesen und schaute in seine Augen.

"Wer bist du? In welcher Verbindung stehst du zu mir?", fragte ich verwirrt nach.

Er lächelte traurig. "Sie haben dir nichts von mir erzählt? Ich bin dein Bruder Patrick!"

Ich sprang auf und zeigte auf ihn. "Du mein Bruder?! Lüg nicht! Ich bin Einzelkind und meine Eltern hassen mich! Die hätten niemals ein anderes Kind gewollt!"

'Patrick' stand ebenfalls auf und schüttelte traurig den Kopf. "Sie haben Angst um dich, wegen der Sache von damals! Deswegen lassen sie dich nur ungern raus! Sie wollen nicht auch noch ihren zweiten Sohn verlieren!"

Ich hatte also einen großen Bruder? Aber was war mit ihm passiert?

Ich wollte den Mund öffnen und genau das hinterfragen, doch er unterbrach mich.

"Ich bin tot, Taddl. Eine Erinnerung, entstanden aus deiner Sehnsucht nach Liebe.", erklärte er lächelnd.

Ich fing an zu zittern.

Mein Bruder war tot. Die Person, die ich mir immer gewünscht habe, war einfach schon vor meiner Geburt gestorben.

"Woran... bist du gestorben?", fragte ich schwach und ließ mich zu Boden sinken.

"Überdosis Heroin. Ich hab mich immer Abends raus geschlichen und mich mit meinen 'Freunden' getroffen. Wir haben geraucht, gespritzt- ach wir haben alles ausprobiert und genommen. Aber irgendwann hab ich mich übernommen... und bin dann gestorben... Mama und Papa waren geschockt, glaub mir. Und als du dann auf den Weg hier hin warst...", ein Lächeln zierte sein Gesicht, "da waren Mama und Papa so glücklich und ich erst! Ich meine, 2 Jahre nach meinem Tod bin ich großer Bruder geworden! Ich habe dir beim aufwachsen zu gesehen, habe dich beobachtet wie du dich in den Schlaf geweint hast und war immer traurig, dich nie trösten zu können. Und auf einmal konntest du mich dann sehen! Du hast dich zwar vor mir gefürchtet, aber du hast mich gesehen!"

G H O S T [Paddlu]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt