"Lass uns ein Spiel spielen", erklang Erics Stimme.
"Ein Spiel?", fragte ich etwas verwirrt, während ich meinen Riegel auf das Armaturenbrett ablegte und danach vorsichtig an meinem dampfenden Kakao nippte.
"Ja, ein Spiel. Hast du das noch nie auf langen Autofahrten gemacht?"
Mein Kopf glitt nach links und ich musterte den Jungen hinter dem Steuer mit hochgezogenen Augenbrauen.
"Ich habe noch nie die Stadt verlassen", erklärte ich ihm prompt.
Ein erschrockenes oder besser gesagt mitfühlendes "Oh" verließ Erics Mund. Doch sein leicht geschockter Blick hielt nicht lange, denn sofort danach umspielte ein breites Lächeln seine perfekt geschwungenen Lippen.
"Dann wirst du jetzt dein erstes Mal haben", grinste der Trottel neben mir.
Zweideutiger ging es ja nicht.
Doch rein aus Spaß antwortete ich mit "gerne" und zwinkerte ihm zu. Der Junge geriet leicht aus der Fassung, aber hatte sich schnell wieder im Griff.
"Also bist du sicher, dass du wirklich in einem Auto...", setzte Eric ruhig an, doch unterbrach mein Kreischen den Satz, der ihm auf der Zunge lag.
"Du Widerling", warf ich ihm angeekelt an den Kopf.
"Okay, ist schon gut. Jetzt zum Spiel. Ich würde vorschlagen, dass wir uns abwechselnd würdest-du-lieber-Fragen stellen. Ich Fang einfach an, dann wirst du so clever, wie du bist, das Spiel schnell verstehen."
Abwartend starrte ich den Jungen neben mir von der Seite an. Er schien kurz zu überlegen und kratzte sich an sein Kinn, bis er dann mit der ersten Frage begann.
"Würdest du lieber Hände haben, die du nicht kontrollieren kannst oder Füße haben, die du nicht unter Kontrolle hast?"
"Die Fragen sind ja absurd", lachte ich.
"Spielverderberin. Das ist doch gerade das lustige. Antworte einfach", murmelte Eric.
"Definitiv hätte ich lieber meine Hände nicht unter Kontrolle. Meine Füße könnten mich doch hinbringen, wo sie wollen. Stell dir vor, du läufst vor ein Auto und kannst nichts dagegen unternehmen", teilte ich ihm nach kurzen Überlegen meine Gedanken mit.
"Verständlich, aber deine Hände könnten auch ein Messer nehmen und dich zwingen, dich damit selber umzubringen. Aber okay, jetzt bist du dran", sagte Eric gut gelaunt und schien sich schon auf meine Frage zu freuen.
"Würdest du lieber reich aber unglücklich oder arm aber glücklich sein?", hatte ich mir ausgedacht. Zudem interessierte mich seine Antwort wirklich.
"Arm aber glücklich", kam es rasch von Eric, ohne jeglichen Zweifel. Mehr schien er dazu nicht sagen wollen und mir ging eine Frage durch den Kopf: ist er denn glücklich?
Doch konnte ich gar nicht lange meinen Gedanken nachgehen, da er schon die nächste Frage auf Lager hatte.
"Würdest du lieber deinen Freund betrügen oder wissen, dass er dich betrügt?"
"Wissen, dass er mich betrügt und dann Schluss machen", antwortete ich nach kurzer Zeit.
Daraufhin nickte Eric verständlich und wir spielten das Spiel weiter. Auch wenn ich es nie gedacht hätte, machte das Spiel wirklich Spaß und war ein toller Zeitvertreib.
"Definitiv Gemüse", erwiderte ich auf seine Frage, ob ich mich für Süßigkeiten oder Gemüse entscheiden würde, wenn ich eines von beiden nur noch essen dürfte.
Ich öffnete meinen Mund, um ihm meine würdest-du-lieber-Frage zu stellen, doch ertönte ein kurzes Ping und Erics Handy, das zwischen den zwei Sitzen in einem Fach lag, begann oben links in der Ecke blau zu leuchten.
"Wer ist das schon wieder?", stöhnte er auf und griff nach dem Handy. Doch da wir mittlerweile auf eine gut befahrene Autobahn waren, entschied er seine Hand wieder zurückzuführen, bis er sich anscheinend um entschied und mir sein Smartphone in die Hände drückte.
"Könntest du nach gucken von wem die Nachricht ist? Drücke einfach auf den runden Knopf unten in der Mitte", vertraute er mir mit diesen Worten sein Telefon an. Ich hatte zwar keine Ahnung von Smartphones, aber war ich mir ziemlich sicher, dass es das neuste und teuerste Modell war.
"Okay." Ich drückte, wie er mir befohlen hatte, den kleinen kreisförmigen Knopf und sofort erhellte sich das Display. Mir wurden mehrere Meldungen von Instagram, YouTube, Snapchat und Twitter angezeigt und ich hatte absolut keine Ahnung, was das für Sachen waren. Doch stand ganz oben unter WhatsApp eine Nummer mit folgendem Text: 'Warum meldest du dich nicht mehr bei mir? Ich dachte, dir hätte es auch gefallen.
Xoxo Natalie'.Meine Augen wurden groß und als mich Eric mit einem "Was?" aufforderte etwas zu sagen, erröteten meine Wangen.
Mit einem Blick nach links kontrollierte ich, ob er sich immer noch auf die Straße konzentriere und begann schließlich die Nachricht vorzulesen.
"Natalie?", fragte mich Eric verwundert und schien keine Ahnung zu haben, wer 'Natalie' war.
Nach einer knappen halben Minute erinnerte er sich wohl an das Mädchen und meinte: "Achso die Natalie." Dabei zuckte er gleichgültig mit seinen Schultern und murmelte eher zu sich als zu mir: "Die soll mal verstehen, dass es nur eine Nacht war."
Von seinen nächtlichen Aktivitäten zu erfahren war mir sonderlich unangenehm und ich hielt unschlüssig sein Handy in der Hand und tippte peinlich berührt mit meinen Zehenspitzen auf den Boden, bis er mir anwies die Nachricht einfach zu ignorieren und das Handy auszuschalten. Ich brauchte eine Weile, um den Aus-Knopf zu finden und entlockte somit dem Jungen ein leises Lachen.
Nach dem Vorfall mit der Nachricht hörten wir mit dem Spiel auf und ich nahm mir den Schokoladenriegel, riss das Plastik ab und begann ihn genüsslich zu essen. Die Verpackung ließ ich einfach in meiner Hosentasche verschwinden, weil ich keinen Müll verursachen wollte.
"Wie viele Geschwister hast du noch?", erkundigte sich Eric nach kurzem Schweigen bei mir.
"Vier. Evan, kennst du ja schon mehr oder weniger und dann gibt es noch die sieben jährige Amy und die vierjährigen Zwillinge Brian und Ryan. Die zwei sind einfach Zucker", erzählte ich stolz.
"Das ist eine Menge", staunte er und ich fragte ihn, ob er denn Geschwister habe.
"Nein, ich bin Einzelkind", erklang Erics knappe Antwort mit einem Anflug von Bedauern.
"Geschwister können aber auch echt anstrengend sein", seufzte ich.
"Das würde ich in Kauf nehmen für einen Bruder oder eine Schwester", entgegnete er mir lachend.
Doch obwohl er lachte, schien er etwas traurig zu sein. Für mich klang es durchaus logisch, dass Eric sich manchmal etwas einsam fühlte, ohne Geschwister. Da seine Eltern reich sein müssten, hatten sie vermutlich auch nicht viel Zeit für ihn.
Und in diesen Moment kam mir zum ersten Mal, seitdem ich den Jungen kannte, der Gedanke, dass Erics Leben vielleicht doch keinem kunterbunten Märchen, die man als Kind vorgelesen bekommen hatte, entsprach.
"Da vorne ist schon das Hotel", erklang Erics Stimme und wie so oft riss er mich mit seinen Worten aus meinen Gedanken.
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Noch etwas mehr als eine Stunde! 🎉🎊🎉🎊 Ich wünsche euch allen einen guten Rutsch ins Jahr 2017!
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All About Him | ✔️
Teen FictionEine Geschichte zwischen zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Doch er trägt ein Geheimnis mit sich, das er um jeden Preis schützen will. Reicht ihre Liebe aus, wenn der Weg schwer wird? 🔹 ...