Song: Die Welt heilt by Genetikk
Im Winter tun sie mir besonders leid. Sie kommen fröstelnd, frierend in den Saal, meistens sind ihre Finger taub, jedoch sind sie auch umso dankbarer. Ein Großteil hat dann immer ein gewisses Lächeln im Gesicht, wenn ich Ihnen das Essen auf den Teller schöpfe.
"Lukas kannst du vielleicht kurz in die Küche gehen? Wir brauchen Nachschub Kartoffelbrei. Ich kann kurz für dich übernehmen.", fragt mich Nicole und grinst mich dabei etwas an und streicht ihre weißblond gefärbten Haare hinter ihr Ohr. Auch sie ist jeden Sonntagmittag hier. Wir schenken den Leuten das Essen aus, setzen uns manchmal zu ihnen und helfen etwas in der Küche. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, das man dabei hat. Man ist glücklich, dass man den Menschen helfen kann, doch auch unendlich traurig, dass es Menschen gibt, die diese Hilfe so dringend nötig haben. Man fühlt sich schuldig, dass man mehr hat als sie.Wanda überreicht mir in der Küche die nächste Ladung Kartoffelpüree, dessen Dampf mir einen unglaublichen Geruch in die Nase zaubert. Wanda ist eine Göttin in der Küche. Seit sie wegen einer starken Knochenverletzung in Rente gegangen ist, kocht sie hier jeden zweiten Tag freiwillig. „Was soll ich denn sonst mit meiner Zeit anfangen?", sagt sie dann immer.
Gerade gibt Nici einer zitternden, alten Frau den Teller in die Hand, als ich zurückkomme. Auch sie ist jede Woche da. "Guten Appetit Betti.", lächle ich ihr sachte zu. "Danke Lukas.", strahlen ihre veralteten grünen Augen mich an. Ich sitze gerne beim Essen bei ihr. Sie ist unfassbar nett. Seit ihr Mann gestorben ist, muss sie wieder arbeiten, um sich überhaupt etwas leisten zu können. Die Rente reicht bei Weitem nicht. Es ist schrecklich.
Auch wenn die Menschen hier alle etwa das gleiche Schicksal getroffen hat, sind sie doch so verschieden. Manche sind glücklich, andere traurig, manche wütend, andere sind verzweifelt.
Gerade habe ich Pause, überlege, wo ich mich zum Essen hinsetzen soll. Bettis Tisch ist leider schon vollkommen belegt. Kurz lasse ich meinen Blick über den Saal schweifen. Es sind vielleicht hundert bis hundertzwanzig Leute da. Ganz in der Ecke, am hintersten Tisch, welcher schon fast vom Schatten verschluckt wird, sitzt ein junger Mann allein. Sein zu großer und zerfetzter Parka hängt ihm schlaff auf den Schultern, welche er gesenkt hält. Ausgewaschenes, blondes Haar hängt ihm über die Stirn. Den Kopf geneigt pustet er seine heiße Gabel an. Ein alter Seesack hängt über seinem Stuhl.
Ich kann es nicht leiden, wenn jemand alleine essen muss. Auf federndem Schritt gehe ich in seine Richtung. Ab und zu lächeln mir Leute zu, begrüßen mich. Die Meisten hier kommen regelmäßig, kennen mich also schon, haben mir ihre Geschichte erzählt.
Meine Mitschüler meinen andauernd, wie stressig es für sie wäre, jeden Sonntag in der Suppenküche mitzuhelfen, doch ich liebe es. Die Menschen hier sind nett; hier bekomme Zuneigung und Anerkennung, kann dabei gleichzeitig helfen.Lustlos seufzend stochert der Junge in seinem Gemüse herum. "Darf ich mich zu dir setzen?", versuche ich möglichst freundlich zu fragen. Leicht erschrocken schaut er zu mir hoch. Wahrscheinlich hat er nicht erwartet, dass ihn das jemand fragen würde. "Ähm... k-klar." Seine braunen Augen wirken müde, als hätte er Tage nicht geschlafen.
"Du warst noch nie hier, oder?", versuche ich irgendwie eine Unterhaltung zu beginnen. Der Junge scheint sehr verschlossen. Er ist noch jung, vielleicht Neunzehn oder Zwanzig. "Nein, diese... Situation ist noch recht neu für mich." Seine langen Finger zittern, während er die Gabel hält. Seine Stimme klingt so sanft und gleichzeitig rauchig und kaputt, dass sie wirkt wie eine zerrissene Blume im Frühling. Er stinkt etwas, doch das tun die Meisten hier. "Ich bin Jarn.", lächelt er und sieht mich somit zum ersten Mal mit seinen schönen und zugleich traurigen Augen richtig an. "Ist nicht gerade gewöhnlich; das gefällt mir. Ich heiße Lukas."
"Kann man von deinem Namen nicht gerade behaupten.", witzelt er etwas.
Mir wird warm während er mich so anlächelt und wieder frage ich mich, was diesem Menschen zugestoßen ist, um hier zu landen, besonders wenn sie so jung sind. "Und bist du jeden Tag hier?"
"Nein nur sonntags. Ich würde zwar gerne öfters kommen, aber ich hab' zu viel Schulstress.", seufze ich und schaue nervös meinen Kartoffelbrei an. Wieso bin ich denn so nervös? "Ach ja, an die Scheiße kann ich mich auch noch erinnern. Zum Glück bin ich da raus.", lacht Jarn und schiebt sich seine Gabel in den Mund, "Wie lange musst du denn noch hin?"
"Bin in der Zwölften. Hab's bald geschafft."
"Und was kommt danach?", stemmt er seine Ellenbogen auf den Tisch und legt das Kinn in seine Hände, da er bereits fertig mit dem Essen ist. "Ich weiß nicht. Ich kann zwar alles ein bisschen, aber nichts so wirklich gut.", seufze ich. Ich weiß wirklich überhaupt nichts mit meiner Zukunft anzufangen. "Jeder kann irgendetwas gut Lukas."Ich mag Jarn. Er hat etwas Besonderes an sich. Bei manchen Dingen, wie er redet oder gestikuliert, wirkt er wie ein weiser Professor, als hätte er schon alles im Leben erlebt.
"Kommst du noch mit raus eine Rauchen?", fragt er mich und kramt einen Tabakbeutel aus seiner Jackentasche, nachdem auch ich fertig gegessen habe. "Ich würde zwar gerne, aber ich muss wieder zurück. Die anderen brauchen meine Hilfe." Wie gerne ich doch noch mit raus gehen würde.
"Schade. Ich hoffe, wir sehen uns nächste Woche wieder.", grinst er mich an und steckt sich eine bereits gedrehte Kippe zwischen die Zähne. "Ja... hoffe ich auch.", antworte ich etwas perplex und bleibe einfach sitzen, während er mit federnden Schritten und den Händen in den Taschen aus der Halle läuft, der Seesack um seine Schulter geschwungen."Wer war das denn?", grinst mich Nicole vielsagend an, als ich wieder neben ihr an der Theke stehe. Der Chor hat gerade begonnen Weihnachtslieder zu singen. "Sein... sein Name ist Jarn. Wieso fragst du?"
"Ach, nur so. Pass nur auf, dass Betti nicht eifersüchtig wird."
"Ich... Er...", stottere ich, doch schon räuspert sich ein Mann vor mir, da ich die Schlange aufhalte.Jau, das ist das erste Kapitel. Ich hoffe, es hat euch bisher gefallen :) Vielleicht wissen manche, dass das hier ursprünglich als Tardy FF gedacht war, jedoch bin ich froh, dass es nun so ist.
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My homeless Romeo [BoyxBoy]
Teen Fiction"Vielleicht stehst du dir einfach selbst im Weg.", flüstere ich leise, worauf er kurz lachen muss. "Aus dir kann noch was werden. Du musst nur an dich glauben." "Sagst du das zu jedem komischen Penner, den du küsst?", lächelt er verschmitzt. "Nur zu...