...machen kann...

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Mit gepackten Taschen stand ich vor dem Eingang des riesigen Hauses. Es war so etwas wie eine Zentrale. Sie, die Zentrale, war Hotel, Krankenhaus, Labor und Trainingslager gleichzeitig. Außerdem trafen sich hier die Magischen zu Besprechungen.
Grandma hatte mich hergebracht. Es hatte eine ewig dauernde Diskussion gegeben, aber nachdem ich selbst zu gestimmt hatte zu gehen, konnte meine Familie nicht viel ändern.

Mit gezwungener Gelassenheit stieg ich die Treppen zum Gebäude hoch. Eine blonde Frau öffnete die Tür und lief mit einem warmen Lächeln auf mich zu. Bevor ich sie davon abhalten konnte, nahm sie mich in die Arme. Ich versteifte mich.

"Herzlich willkommen, ich bin Anna, Julians Frau", stellte sie sich vor und ließ mich los.

Ich hatte von ihr gehört. Sie stammte angeblich von den Sirenen ab, die so schöne Stimmen haben sollten, dass bei ihrem Gesang alle stehen blieben, um zu lauschen. Ich hatte keine Ahnung, ob das stimmt. Schließlich kannte ich Sirenen mein ganzes Leben lang nur aus Legenden. Mit gemischten Gefühlen beobachtete ich sie, als sie mich ins Haus hinein führte. Sie war freundlich und kam mir in keiner Weise bösartig vor. Allerdings musste ich zugeben, dass ich mich in dieser Welt auch nicht aus kannte. Ich war ja nicht mal ein Teil davon. Anna führte mich bis zu einer Tür.

"Gib mir dein Gepäck, dann bringe ich es schon mal zu deinem Zimmer."

Sie nahm meinen Koffer und deutete auf die Tür.

"Da drin ist Julian. Er wird dir alle deine Fragen beantworten."

Mit einem aufmunterndem Lächeln verschwand sie. Minutenlang starrte ich auf die Tür. Julian Sandó war so etwas wie der Anführer der Zentrale und, soweit ich wusste, ein Vampir. Ein Vampir, der eine Sirene als Frau hatte. Verrückte Welt. Meine Hand hob sich und ich klopfte an. Es rührte sich nichts. Ich bekam Angst. Störte ich gerade? Oder hatte ich zu leise geklopft? Ich wollte gerade nochmal anklopfen, als ein "Herein" ertönte.

Mit klopfendem Herzen öffnete ich die Tür und erblickte Julian, der hinter einem Schreibtisch saß und mich anlächelte. Instinktiv schaute ich nach spitzen Zähnen, sah aber keine. Von früher kannte ich ihn. Er war manchmal zu Besuch bei meiner Grandma gewesen.

"Bella, komm doch rein. Schön dich wiederzusehen. Wie geht's dir und deiner Familie?"

Er meinte es ehrlich. Das wusste ich. Befangen nickte ich, um zu zeigen das es uns gut ging.

"Setz dich doch."

Er deutete auf einen Stuhl, auf dem ich mich zögerlich niederließ.

"Du weißt, dass deine Mutter mich angerufen hat, weil sie sich Sorgen um dich macht. Kurz danach hat deine Großmutter mich gebeten, dich aufzunehmen. Da ich deiner Familie nahe stehe, war das kein Problem für mich. Stellt sich nur die Frage, was du willst."

Er sah mich forschend an. Unter seinem Blick schien ich zu schrumpfen.

"Deine Mutter hat gesagt, dass du nicht sprichst. Das ist in Ordnung, aber eine Antwort möchte ich trotzdem."

Er schob mir Blatt und Stift entgegen. Ich nahm es und sah ihn unsicher an. Ermunternd sah er  mich an. Zögerlich sah ich wieder aufs Blatt und fing zittrig an zu schreiben:

Ich wollte selbst gehen. Ich fühle das Abstand das Richtige ist. Aber inzwischen weiß ich nicht mehr, ob mir das nicht alles zu schnell geht. Zu viel ist.

Ich schob ihm das Blatt hin und vergrub meine Hände unter meinen Beinen.

"Du wirst Zeit haben dich an alles zu gewöhnen."

Vorsichtig hob ich den Blick und sah Julian an. Der gab mir das Blatt zurück und fing an mir die Zentrale zu erklären.

"Es gibt Wohnbereiche in allen Stockwerken. Da wir nicht genau wussten, welches du magst haben wir dir ein Zimmer im zweiten Stock fertig gemacht", beendete Julian seine Ausführung.

Ich nickte. Das war mir egal. Ich hätte auch ein Zimmer unter der Erde genommen. Sollte es auch geben, wegen der Nachtgeschöpfe.

"Da ich nicht immer da sein werde..."

Er wollte gerade weiter reden, als die Tür aufflog. Ich erstarrte vollkommen, als die dunkle kräftige Energie mich traf. Schwindel erfasste mich. Mir wurde schwarz vor Augen. Auf der Stelle war ich wieder in der Vergangenheit.

"Wo bist du? Komm her oder soll ich dich holen?" 

Bei dieser Stimme richteten sich alle Nackenhaare von mir auf. Mein Herz raste, als ich in dem magischen Labyrinth umher stolperte. Meine ganz persönliche Hölle. Mit flachen Atemzügen lauschte ich in der Stille nach ihm. Es waren immer zwei. Zwei Dämonen, wie sie sich nannten, die kamen. Ich rannte um die nächste Ecke und knallte plötzlich gegen jemanden.

"Überraschung", murmelte er und wollte mich packen, doch ich zerrte mich wieder in die Gegenwart zurück.

"Bella? Bella?"

Die besorgte Stimme drang nur gedämpft und langsam zu mir. Ich war gefangen an einem Ort, der mich mit unsichtbaren Fesseln festhielt. Fesseln, die ich zum Teil selbst erschaffen hatte. Die mich vor der grausamen Wirklichkeit beschützen sollten. Ich wollte hier bleiben. An diesem Ort, wo mir nichts passieren konnte. Wollte den Schmerz nicht mehr spüren. Ich spürte wie mich jemand auf dem Stuhl aufrecht hielt.

Blinzelnd vertrieb ich die Dunkelheit und fing Julians besorgten Blick auf. Als ich ihm ein beruhigendes Zeichen gab, setzte er sich wieder mir gegenüber und massierte sich die Schläfe. Er war genervt und ich wusste nicht, ob wegen mir oder dem Dämon. Mein Blick schweifte langsam zu ihm. Er stand immer noch unbewegt in der Tür.

Sein durchdringender Blick kreuzte kurz meinen. Ich fing an hektischer zu atmen. Mein Herz pochte vor Panik schneller. Mein ganzer Körper stand unter Adrenalin, um mit der Gefahr fertig zu werden. Meinen Blick hatte ich starr auf den Boden gerichtet. Ich vernahm ein spöttisches Schnauben und wusste, es war der Dämon. Automatisch spannte ich mich noch mehr an. Magische Geschöpfe hatten ausgeprägtere Sinne als Menschen. Sie konnten praktisch riechen, dass ich Angst hatte und sie wussten beide ganz genau, wer dafür verantwortlich war.

"Zar", knurrte Julian in Richtung des Neuankömmlings, "noch nie was von anklopfen gehört?"

Er erwiderte nichts. Ich hörte aber, dass er näher kam und verspannte mich noch mehr.

"Du wolltest mich doch sprechen oder?"

Er legte beide Hände auf die Lehne meines Stuhles. Seine Macht liebkoste meinen Körper. Er war ganz nah. Sein Atem strich über meinen Nacken. Seine Präsenz war fast greifbar.

"Lass die Spielchen, Zar", ermahnte Julian ihn drohend.

Die Energie des Dämons verdunkelte sich, aber er trat dennoch einen Schritt zur Seite, neben mich. Julian funkelte ihn noch kurz strafend  an und wandte sich dann zu mir.

"Hast du noch Fragen?"

Ich schüttelte hastig den Kopf. Er nickte kurz.

"Ich hätte eine Frage."

Mein Atem stockte, mein Herz raste. Die Stimme war in mein Bewusstsein eingedrungen. Zar Diabolos sah zu mir, fragte aber Julian.

"Darf ich mal von ihr kosten?"

Seine Augen glitzerten gefährlich. Kurz huschte eine vertraute Erinnerung vor meinen Augen entlang.

Mit einem Messer in der Hand trat der Dämon auf mich zu. Kurz glühten seine Augen, bevor er in meine Haut ritzte.

"Zar"

Julians Stimme donnerte durch den Raum. Ich sprang auf. Stolperte panisch über meine Füße, als ich aus dem Raum floh. Ein Blick zurück zeigte mir einen lässig an den Schreibtisch gelehnten Dämon mit einem versprechendem Lächeln auf den Lippen.

"Dummes Mädchen, ich liebe die Jagd."

Die Stimme, tief und resonant, in Samt gewickelte Gefahr, verfolgte mich während ich floh.

Geküsste der Dämmerung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt