Robins Story

6.1K 290 2
                                    

»Was tut dir Leid, Robin?« Meine Angst weicht dem Zorn. Robin legt seinen Kopf schief. »Dass du mir nicht vertraust. Ich wollte letzte Nacht nicht unser Verhältnis zerstören.« Aufgebracht starre ich ihn an, doch er ist die Ruhe selbst. »Robin, ich bin deine Therapeutin. Wir haben kein Verhältnis. Ich soll deinen Kopf heilen. Es gibt einen Grund warum du hier bist!«
Nun ist es Robin, der die Stirn runzelt. »Was wissen Sie schon. Nur weil Sie und ihre Möchtegern- Alleswissenden Therapeuten meinen, dass ich ein Psychopath bin, hat das nicht zu heißen, dass ich wirklich einer bin. Vielleicht bin ich einfach nur sehr viel schlauer als Sie.« Ich lehne mich zurück. Ich will nicht mit ihm diskutieren. Ich will Fakten.
»Erzähl mir deine Lebensgeschichte, Brooks. Jede Einzelheit. Ich will wissen, was dich zu dem gemacht hat, was du heute bist.«
Er nickt. »Wenn Sie denken, dass Sie dazu bereit sind?«

Ich nickte zurück. »Also gut.

Sie wissen wer ich bin. Ich bin nicht Robin Brooks... mein richtiger Name ist Robin Hayets, Sohn von Mandy Hayets. Ich habe eine Zwillingsschwester namens Abby. Aber so ähnlich wir uns auch sehen, so verschieden sind wir doch. Sie war immer schon sehr aufgeschlossen, freundlich und mutig. Ich war aber mehr der vorsichtige Typ, skeptisch. Ich glich meinem Onkel, Nick Hayets, auch wenn ich ihn nicht leiden konnte. Noch nie. Ich wusste zwar damals noch nicht, dass er ein kranker Killer war, aber ich habe gespürt, dass man ihm nicht trauen konnte. Es war so ein innerlicher Reflex, Abstand zu ihm zu halten. Er hat mir Angst gemacht. Krasse Angst. Jedenfalls stand ich auch so, in der Schule immer im Schatten meiner Schwester. Aber ich liebe sie. Sie ist quasi die Einzige, die noch für mich da ist. Wir sind Jugendlich geworden, auf die Highschool gekommen, aber es wurde immer schwerer für mich. Ich war kein Außenseiter, im Gegenteil, dank Abby gehörte ich zu den Beliebtesten der Schule. Aber... ich hatte keine Freunde. Niemandem konnte ich mich anvertrauen, es gab niemanden, den ich etwas fragen konnte... keine Kumpels, keinen Vater und erst Recht keinen Onkel. Deshalb ist es immer schwerer geworden, ich selbst zu bleiben. Ich war lieber auf mich allein gestellt. Und dann habe ich angefangen... nun ja, gewisse Tricks anzuwenden. Für bessere Noten, für alles mögliche eben. Das hat mein Selbstbewusstsein in die Höhe getrieben, das und dass ich sogar Nick beeinflusst habe aber... das ist eine andere Geschichte. Auf einmal hatten alle gehörigen Respekt vor mir. Und ich genoss es. Ich konnte alles haben was ich wollte, und das nicht nur in der High School. Aber ich habe vielen Mist gebaut. Ohne Rücksicht auf Verluste... bis sich Abby von mir abgewendet hat. Sie fand das, das ich tat, falsch, auch wenn sie es bis zu ein gewissen Punkt versuchte, nchzuvollziehen. Seitdem ich hier bin, habe ich sie nicht mehr gesehen. Sechs Jahre. Und ich vermisse sie. Und ich glaube, den Rest wissen Sie ja. Ich habe Menschen in den Selbstmord getrieben.«
Robin sitzt da,seine Stimme und sein Verhalten werden immer ruhiger, sein Blick sogar ein wenig selbstmitleidig. Und so sehr ich es auch versuche, ich kann mein Mitleid nicht verbergen. Ich muss über das nachdenken, das Robin mir geschildert hat. Es lässt mich nicht los.
»Wow. Robin, das ist wirklich etwas, mit dem wir arbeiten können.« Robins Blick bekommt etwas Weiches, dankbares, aber nur für einen Moment. Dann weicht sein Ausdruck wieder dem Pokerface von sonst.

Später an diesem Tag sitze ich in meinem Zimmer, genauer gesagt an meinem Schreibtisch, und versuche über das Internet Informationen zu Abby Hayets zu bekommen.
Und tatsächlich- Abby Hayets. Geburtsdatum und -Ort stimmen überein, und eine Ähnlichkeit zu Robin ist kaum zu leugnen.
Ein sehr auffallend hübsches Gesicht, blaue Augen und braunes, volles Haar, das ihr bis über die Schultern reicht. Der Ausdruck in ihren Augen gleicht genau dem Robins, in einen der Momente, in denen sein wahres Ich sich zeigt. Sie ist mir auf Anhieb sympathisch. Ich suche nach ihren Kontaktdaten, und finde tatsächlich eine Handynummer. Sofort wähle ich sie.
Es klingelt. Einmal. Zweimal. »Hallo, hier spricht Abby Hayets?«
»Hallo,Abby, mein Name ist Venice Porter und ich rufe aus dem Mental Healing an, in der ihr Bruder Robin einsitzt. Es tut mir Leid, dass ich sie so überraschend anrufe, aber ich würde gerne mal mit Ihnen über ihren Bruder sprechen.«
An der anderen Leitung knistert es kurz. »Wegen Robin? Ist etwas passiert?« Man merkt, dass sie das Schlimmste ahnt. »Nein, nicht direkt. Aber ich hätte gerne ein paar Antworten auf meine Fragen. Antworten, die Robin mir nicht geben kann.«
»Ja, ja, sicher. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich sofort zu Ihnen kommen würde? Bei guten Vorraussetzungen wäre ich in zwei Stunden da.« Ich muss lächeln. Wahrscheinlich hat Abby ihren Zwillingsbruder seit guten sechs Jahren nicht mehr gesehen. »Natürlich würde es mir nichts ausmachen. Kommen Sie einfach vorbei.«
»Gut. Dann beeile ich mich!«

Abby Hayets ist, wie ihr Bruder, gut einen Kopf größer als ich und stilvoll gekleidet. Sogar in ihrer Körperhaltung kann ich Robin wiedererkennen.
Sie irrt im Eingangsbereich herum, so wie ich es vor einigen Wochen getan habe. Ich mache mit einem Räuspern auf mich aufmerksam. Abby wirbelt herum. Dann erhellt sich ihr Gesichtsausdruck. »Ah, Sie müssen wohl Miss Porter sein.« Ich nickte. »Ja, die bin ich. Kommen Sie mit!«
Abby folgt mir in eines der freien Büros. Ich setze mich an den großen Tisch, Abby sich gegenüber. »Also, Sie wollten mich sprechen? Ist Robin hier??« Mit leuchtenden Augen sucht sie den Raum ab. Ich schüttele bedauernd den Kopf. »Hier nicht, aber oben.« Sie nickt verstehend, doch ein bisschen missmutig.
»Gut, also, Ms. Hayets, ich wollte ihnen einige Fragen zu ihm stellen. Wie sie wissen, ist es nicht leicht, zu ihm hervorzudringen. Im Gegenteil. Es ist eine heikle Angelegenheit. Erzählen Sie mir etwas von ihm. Wie er war.«
Abby denkt nach.
»Robin- er war eigentlich immer sehr auf andere Leute angewiesen. So war das, als er ein kleines Kind war. Er war nicht do ausgelassen und sorglos, wie man es von Fünf- oder Sechsjährigen erwartet. Er war sogar etwas introvertiert, aber strotzte dennoch vor Selbstbewusstsein. Und das hat sich immer so gehalten. Er war extrem intelligent, und ich zweifele keine Sekunde daran, dass er das auch heute ist. Er hatte nie Schwierigkeiten mit anderen Leuten, aber er entfernte sich immer mehr von ihnen. Irgendwann hat er es geschafft, Leute das tun zu lassen, was er wollte, was nicht nur einmal einen großen Skandal ausgelöst hat. Einmal hat er zum Beispiel eine gute Freundin, von der ich, und auch er wusste, dass sie ihn liebte, in den Selbstmord zu treiben. Und... ja. Aber ich vermisse ihn. Kann ich ihn wirklich nicht sehen?«
Ich überlege. Ihre Geschichte deckt sich sehr gut mit der Robins.
Ich seufze. »Gut. Warten Sie. Ich hole ihn.«

Robin BrooksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt