■Kapitel 1■

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Bäume flogen in einer atemberaubender Geschwindigkeit an mir vorbei. Trockene Blätter wirbelten unter meinen Pfoten auf.

Ich rannte einfach ohne ein
ersichtliches Ziel geradeaus, es war als machte der Wald meiner Präsenz platz. Es fühlte sich an als wäre ich unter Wasser und der Körper in dem ich mich befand, wurde von einem mir unbekannten, aber eindeutig zu mir gehörendem Gefühl geleitet, das wusste was zu tun war.

Meine Sinne fühlten sich taub an und nicht der kleinste Hauch eines Geruchs oder das kleinste Geräusch drang zu mir durch. Ich fühlte nichts außer einer unbändigen Wut, welche mein ganzes Sein ausfüllte und mir Flügel zu verleihen schien, die mir das berauschende Gefühl gaben unaufhaltsam zu sein.

Bis sich plötzlich die Bäume lichteten und sich ein Abgrund vor mir auf tat, doch ich verspürte nicht den Drang zu stoppen oder zu zögern, irgendetwas trieb mich voran. Jede Muskelfaser meines Körpers war zum zerreißen gespannt, als meine Hinterläufe sich kräftig zu einem gewaltigen Sprung in den vermeintlichen Tod abstaßen...

"Tahlia! Aufstehen!", der laute Ruf nach mir und das Donnern gegen meine Zimmertür, das die Wände erzittern ließ, riss mich aus meinem komischen Traum, den ich oft hatte und darum lang nichts mehr neues für mich war.

Mühselig kämpfte ich mich aus meinem Bett, als meine nackten Füße den flauschigen Fransenteppich ertasteten, war ich ehrlich Stolz auf mich, denn sonst dauert es immer viel länger bis ich mich dazu motivieren konnte in einen neuen "tollen" Tag zu starten.

Als ich stand, streckte ich mich einmal wie jeden Morgen. Ist es eigentlich normal, das in meinen jungen 16 Jahren jeder meiner Wirbel ein lautes Knacken von sich gab?
Vielleicht saß mir mein beängstigender Traum einfach noch zu tief in den Knochen. Ich atmete tief durch und versuchte mir einzureden, dass dieser Tag nicht so schlimm werden würde wie der vorherige. I

"Scheiße!", jaulte ich auf halber Strecke zum Lichtschalter neben der Tür auf, der stechende Schmerz in meinem Zeh, der gerade eben volle Kanne mit meiner Komode kollidiert war, vertrieb nun wenigstens auch noch die letzten dunklen Erinnerungen an meinem Traum.

Als ich die Tür ohne weitere Blessuren erreichte, klingelte auch schon die Klocke, als Zeichen das das Frühstück auf dem Tisch stand, hungrig verließ ich meine Zelle, ein Raum dieser Größe konnte man einfach nicht mehr Zimmer nennen.

Auf dem Weg in den Speisesaal rempelten mich immer wieder ein paar der anderen Heimkinder an. Die Schultern, die hart und mit voller Absicht gegen meine stoßen waren ein Tribut für meine Unbeliebtheit in dem kleinem Heim am Rande von irgend einem Kaff in Baden-Würrtemberg.

Jack, der Älteste, der Kinder, die wie ich die Arschkarte im Leben gezogen hatten, stellte sich vor mich und in dem engen Gang hatte ich keine Möglichkeit seiner Unheil bringenden Präzens aus zu weichen. In der naiven Hoffnung, dass er mich vielleicht heute am ersten Schultag nach den Sommerferien verschonen würde, senkte ich mein Blick auf die alten schmutzigen Dielen, deren abgeschlissener Zustand ein Resultat des Geldmangels in unserem Heim war.

"Weißt du..", Jack lehnte sich an die Wand und blinzelte herablassend auf mich herab, "Als ich dich so durch den Gang gehen sah fand ich dich einfach zu gut gelaunt und dachte ich hol dich mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurück." Hochnäßig betrachtet er die Finger seiner linken Hand. Mental bereitete ich mich schon mal auf das vor, was er als nächstes sagen würde. Es würde mir 100% den Tag vermiesen, das wusste ich leider aus jahrelanger Erfahrung.

"Bevor du in das neue Schuljahr startest wollte ich dich nur noch ab die wichtigsten Dinge erinnern. Also das übliche: Du bist hässlich, eine Diät würde dir auch mal gut tun und ein Therapeut lässt sich auch hoffentlich auftreiben für so ein Psycho wie dich," gespielt freundlich lächelte er mich an, "Ich wünsche dir noch einen schönen Schultag und hoffentlich erbarmt sich mir jemand und überfährt dich." Er ließ mich stehen und lief auf die Treppe ins Untergeschoss zu.

Als ich gerade erleichtert aufatmen wollte drehte er sich nochmal um und sah mich spötend an,"Das wichtigste hätte ich fast noch vergessen. Das schlimmste an dir ist, dass du einfach anders als alle anderen bist und zwar schlecht anders. Sogar deine Eltern waren dieser Meinung", er lachte kurz fies auf,"oder warum hätten sie dich sonst in die Babyklappe stecken sollen? Alle hier sind Waisen oder Halbwaisen, außer du. Dich hat anscheinend schon seit deiner Geburt niemand ausstehenden können. Ich kann deine Eltern echt verstehen."

Ironisch lächelnd warf er mir noch ein Luftkuss zu und machte sich dann endgültig auf dem Weg zum Frühstück. Ich blieb wie angewurzelt im Flur stehen und setzte mein Pokerface auf.
Seit ich denken kann lebe ich in diesem Heim und seit ich denken kann bin ich noch nie jemanden begegnet, der mich sympathisch fand oder es länger als ein paar Stunden mit mir aushielt.

Man könnte meinen nach 16 Jahren machen mir die zahlreichen Beleidigungen und die Tatsache, dass Jack damit Recht hatte, dass ich anders bin, nichts mehr aus,aber leider ist dem nicht so. Ich bin zwar gut darin meine Emotionen nicht zu zeigen, was aber nicht heißt, dass es mich nicht mehr fertig macht. Im Gegenteil, ich täte mich selbst als einen sehr sensible Mensch bezeichnen. Jede Beleidigung und jeder schiefer Blick macht mich ein Stück mehr kaputt und brachte mich noch mehr dazu mich von den anderen Menschen um mich herum abzusondern.

Es fühlte sich an als funkte ich einfach auf eine andere Welle als alle anderen.

Ich atmete tief ein in dem Versuch die dunklen Gedanken zu vertreiben und machte ich auf den Weg nach unten.

Am Speisesaal lief ich vorbei, weil ich keinen Hunger mehr hatte und auf ein weiteres Treffen mit Jake konnte ich auch getrost verzichten.

Ich zog mir meine Lederjacke aus billigem Kunstleder über und machte mich auf den Weg in die beknackte Schule.

An der Bushaltestelle lief ich wie immer einfach vorbei, weil ich einfach schon den ganzen folgenden Vormittag in der Schule genug Kontakt mit anderen, die mich sowieso nicht mögen, haben werde, konnte ich eine Busfahrt einfach nicht auch noch gebrauchen.
Als ich dann endlich schlecht gelaunt im Klassenzimmer saß und auf meine Lehrerin wartete, war meine Motivation gleich null.

Genervt seufzte ich und stütze mein Kopf in meinen Händen auf. Ich fühlte mich von meiner unruhigen Nacht immer noch wie gerädert. Ich wollte gar nicht wissen wie ich aus sah. Um mich herum unterhielt sich meine Klasse angeregt über die Sommerferien. Ich warf ihnen immer wieder Blicke zu, die sie davon abhalten sollten auf die Idee zu kommen mich anzusprechen.

Gelangweilt kritzelte ich auf meiner Tischplatte herum. Bis das verstummen der anderen mich aufschauen lässt.

Neben den Pult stand meine Lehrerin und neben ihr ein zugegebener Maßen mit guten Genen gesegneter Junge.

Meine Lehrerin erhob ihre Stimme:"Genug gequatscht. Ich weiß ihr hattet bestimmt schöne Ferien, aber jetzt beginnt wieder der Ernst des Lebens.
Eigentlich ist alles wie im letzten Jahr, außer dass wir einen neu Zuwachs haben,"mit diesen Worten drehte sie sich zu den dunkelhaarigen Jungen mit den stechenden fast schwarzen Augen um,"Das...",er schaute auf
und fesselte mich
mit seinem
Blick,"...ist Casper."

Wandler der Gestalten-Wie alles begann....Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt