Ich weiß nichts.

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Ich stehe da, unbeweglich. Meine Augen betrachten die Umgebung, vermeiden aber die Gesichter. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Ich weiß nichts.
Ich habe meinen Vater auch schon den ganzen Weg hierher angeschwiegen, ihn nicht angeblickt. Ich wollte nicht die Enttäuschung, nicht die Verletztheit sehen. Ich weiß nicht, was er für mich nach dem Betrug noch empfindet, wie er zu mir, dem einen Sohn unter vielen, steht. Dem einzigen Verräter. Ich weiß nichts.
Ich habe diese Möglichkeit nach all den Monaten angenommen, dachte, ich wäre bereit. Doch kein Wort kommt über meine Lippen. Sie bewegen sich kaum. Ich bin versteift, schaffe nichtmal ein richtiges Lächeln. Ich weiß nicht, warum. Ich weiß nichts.
Mit Mühe überwinde ich mich und blicke meine Mutter an. ,,Frohe Weihnachten, Mutter, ..." Meine Stimme bricht weg, bevor ich auch nur einen der anderen grüßen kann und ich senke meinen Blick, weshalb mich die Umarmung meiner Mutter unvorbereitet trifft. Meine Ohren melden das ,,Oh, Percy!" zwar, doch nicht als dieses Geschehen vor mir. Ich weiß nicht, wie ich das nicht erwarten konnte. Ich weiß nichts.
Mit Mühe nehme ich sie in den Arm, will zu einer Erklärung anrücken, doch wieder bringe ich nichts über mich. Mein Hals ist mit einem Kloß gefüllt, dass meine Mutter mich so widerstandslos wieder aufnahm. Ich weiß nichts. Ich hätte dies nie erwartet. Man könnte meinen, das würde den Rest leichter machen. In Geschichten macht es das doch auch. Aber jetzt nicht. Die Wirklichkeit ist nicht wie eine Geschichte. Sie lassen zu viel aus, erklären die Gefühle nicht. Sie erklären nichts. Lassen nichts wissen. Oder nur ich weiß nichts.
Schließlich lösst sich meine Mutter grausam von mir. Es ist, als hätte ich meinen einzigen Halt im Leben verloren. Ich laße den Kopf durch den Raum schweifen, noch weniger in der Lage, jemanden ins Gesicht zu sehen. Mein Herz rutscht hinunter. Ich weiß nichts, ich verstehe nichts.
,,Verzeihen Sie diese Störung. Percy und ich hatten in der Nähe - zu tun, wissen sie - und er konnte einfach nicht widerstehen, bei Ihnen vorbeizuschauen und allen hallo zu sagen."
Diese Behauptung ist teilweise eine Lüge. Wir waren nicht sonderlich nah hier und er hat mich gebetten, ihn zu begleiten. Ich habe zugesagt. ,,Ich muss mich bei ihnen sowieso entschuldigen. Für so viel, alles, was ich getan habe.
Ich spüre die Blicke auf mir ruhen, doch vermeide, hinzusehen. Ich möchte nicht wissen, ob es kalte oder freundliche Blicke sind. Ich möchte nicht, ich weiß nicht. Ich weiß nichts. Ich fühle mich so leer wie noch nie und kann die Steifheit nicht abschütteln. Ich spüre auch den Blick des Ministers auf mir, sehe ihn aus dem Augenwinkel, der mich, verwundert über die angespannte Lage, fragend ansieht. Als würde er fragen: ,,Warum sagst du es nicht einfach?" Ich ignoriere auch ihn.
Mein Kopf flitzt durch die Gedanken und ist gleichzeitig so leer, es fühlt sich merkwürdig an. Was soll ich tun? Ich weiß es nicht. Wie soll ich mich entschuldigen? Ich weiß es nicht. Wie soll ich ihnen mein schlechtes Gewissen verständlich darbringen? Ich weiß es nicht.
Ich weiß nichts.
,,Bitte, kommen Sie herein und setzen Sie sich, Minister!", spricht meine Mutter zittrig aus. ,,Vielleicht möchten Sie ein wenig Pruthahn oder etwas Tudding ... ich meine ..."
Ich muss lächeln. Meine liebe Mutter... Sie scheint so verwirrt. So von der Rolle. War vorher etwas oder liegt es nur an uns? Ich weiß nicht, ich weiß nichts.
,,Nein, nein, meine liebe Molly. Ich will nicht stören", meint der Minister, lügend, über diwe Gesellschafft emporragend. ,,Ich wäre ja gar nicht hier, wenn Percy Sie alle nicht so gern besucht hätte."
,,Oh, Percy!", flüstert meine Mutter und küsst mich auf die Wange. Ich glaube, ich werde rot.
Scrimgeour wechselt das Thema, wie um mir zu helfen, meine Zeit mit der Familie zu bekommen. ,,Wir wollten nur fünf Minuten vorbeischauen, also werde ich ein wenig über den Hof spazieren, denn Sie und Percy haben sich gewiss viel zu erzählen. Nein, nein, ganz sicher, da will ich mich nicht einmischen!", erklärt Minister Scrimgeour weiter. ,,Nun ja, wenn jemand Lust hätte, mir Ihren bezaubernden Garten zu zeigen ..." Er erblickt Harry, der gerade aufgestanden zu sein scheint. ,,Ah, dieser junge Mann ist mit dem Essen fertig, wie wär's, wenn er einen kleinen Spaziergang mit mir macht?"
Er hat mir nicht gesagt, warum er mit Harry sprechen möchte, doch er sagte, er möchte dies. Ich weiß nicht, warum. Ich weiß nichts.
Stille erfüllt den Raum, wie sie in meinem Kopf hämmert. Unangenehm, grausig, falsch, unwohl, angespannt.
,,Jaaa, in Ordnung!", lösst Harry die Spannung schnell. ,,Schon okay. Okay." Scheinbar sind nicht alle einverstanden und wollen das verhindern.
,,Wunderbar!", lässt der Minister verläuten. ,,Wir drehen nur eine Runde durch den Garten, dann verschwinden Percy und ich wieder. Feiern Sie einfach alle weiter!" Die Beiden verlassen den Raum.

Ich sehe in ihre Gesichter, mein Hals rau. Meine Worte sind nicht zu hören. ,,Es tut mir so leid." Mein Blick sinkt auf den Boden. Ich versuche es erneut. ,,Es tut mir sooo leid. Ich war im Unrecht, lag so falsch!" Ich spüre die Tränen fließen. ,,Es tut mir leid, ich hätte das nicht tun sollen, hätte nichts gegen euch sagen sollen!" Meine Stimme wird immer schneller und ich verhaspele mich.
Ein nervöses Lachen entweicht meinen Lippen, als ich sage: ,,Ich habe Monate auf diese Möglichkeit gewartet und versucht, mich vorzubereiten! Und ich weiß immer noch nicht, was ich machen soll, was ich sagen soll. Ich weiß nicht, wie ich euch meine Dummheit erklären soll, warum ich das tat. Ich bitte euch nur, vergebt mir! Ich bin der Dümmste von uns allen! Ich weiß nichts!"
Ich halte meinen Atem an und lausche der Stille. Warte auf eine Antwort.

Ich wünschte, ich hätte das gesagt. Ich wünschte, ich hätte mich entschuldigt. Ich wünschte, ich hätte wenigstens die letzten meiner fröhlichen Familienzeit genossen. Ich wünschte, ich hätte ihnen erklärt, wie sehr ich sie liebe, wie sehr ich sie vermisst habe, wie sehr ich sie vermisse, wie sehr ich falsch lag. Ich wünschte, ich hätte mich entschuldigt. Irgendwie. Etwas gesagt, irgendwas. Hätte wenigstens den Tag mit ihnen verbracht. Richtig abschied genommen. Ich wünschte, ich hätte sie nie so enttäuscht.
Jede Familie zerbricht irgendwann. Jede Familie. Und ich habe die Zeit verschwendet. Meinen Mund hätte ich nur öffnen müssen. Ich hätte mich entschuldigen müssen. Wie ich es bei Dumbledore tat. Wie ich ihm, trotz dass er es nie verlangt hat, ihm erzählte, was ich wusste. Ihm von diesem Treffen berichtete.
Ich wünschte, ich hätte es gewusst. Ich wünschte, ich wäre nie so dumm und versessen gewesen. Ich wünschte, ich hätte sie nie verlassen. Warum habe ich mich nie entschuldigt? Ich weiß nicht. Ich weiß nichts.
Ich weiß nichts. Ich bin hilflos, dumm, klein.
Ich weiß nichts.

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