Two boys holding hands.

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Die beiden Jungs, die im Büro des Direktors des Internats saßen, gaben ein jämmerliches Bild ab. Sie saßen beide nebeneinander auf den Stühlen, die dort genau für solche Fälle standen, dem Direktor direkt gegenüber.
Der rechte der Beiden, ein leicht muskulöser junger Mann namens Timon mit blonden, verwuschelten Haaren, war eigentlich ein Musterschüler. Er hatte in der Zeit, in der er hier gelebt hatte, nicht einmal Schwierigkeiten gemacht, passte im Unterricht auf und schrieb gute Noten. Aber er war auch ein ziemlicher Mädchenschwarm und der Direktor hatte mitbekommen, dass er außerhalb der Schulzeit nicht ganz so brav und folgsam war.
Der linke der Beiden, ein junger Mann namens Khalid mit nordafrikanischen Wurzeln und daher auch sehr dunklem Haar, der seinem Gegner in Sachen Muskelkraft wohl nicht nachstand, war hingegen das völlige Gegenteil. Er war aufmüpfig und immer wieder respektlos gegenüber den Lehrern, war öfter in Streitereien und kleineren Prügeleien verwickelt und auch in der Freizeit kein braver Junge. 

Im Moment hielten sich beide einen Kühlakku ins Gesicht, ihre Klamotten hatten Risse und sie bluteten an mehreren Stellen.

"Ich kann so ein Verhalten nicht dulden. Timon, vorallem von Ihnen hätte ich mir ein anderes Verhalten vorgestellt. Dass Khalid öfter in Prügeleien gerät, war mir bewusst, aber ich bin wirklich enttäuscht von Ihnen."
Die beiden Schüler sahen ihren Gegenüber gespannt an und warteten darauf, dass er ihnen ihre Strafe auferlegte.
"Eigentlich würde ich Sie bei so einem Ereignis für einige Zeit suspendieren. Da sich das aber vorallem Khalid aufgrund seiner schulischen Leistungen nicht leisten kann, habe ich mir eine andere Strafe überlegt. Ihr könnt euch entscheiden. Entweder ihr werdet für einige Zeit suspendiert oder -"

Er legte eine Pause ein, die den beiden Jungen wohl zu lang und eindeutig fehl am Platze war, denn sie rollten beide mit den Augen.

"- oder ihr setzt euch jetzt dann in der Mittagspause nebeneinander in den Schulhof und haltet Händchen. Eine Stunde lang."
Jetzt waren die beiden Jungen baff. Damit hatten sie nicht gerechnet. Eigentlich wollten sie auf keinen Fall mit dem jeweils anderen Händchen haltend im Schulhof sitzen, schon gar nicht eine Stunde lang. Aber beide wollten nicht allzu viel Unterricht verpassen. Timon wollte seinen guten Schnitt beibehalten und Khalid konnte sich schlicht und einfach keine weiteren schlechten Noten leisten.

Also wählten sie widerwillig die zweite Option.

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Sie waren DIE Attraktion. Es hatte sich mittlerweile schon ein Kreis um sie gebildet. Timon hatte die Augen geschlossen, ganz nach dem Motto "Sehe ich dich nicht, siehst du mich nicht". Khalid hingegen sah sich zähneknirschend um.
Er sah, wie eine Gruppe Jungs lachten.
Er sah ein paar Mitschüler Wetten abschließen, wer wen als erstes schlagen und wie lange sie es aushalten würden.
Er sah, wie Leute mit dem Finger auf sie zeigten.
Doch nicht das, was zu sehen war, war das Schlimmste.
Das Schlimmste war etwas, was man nicht einfach abstellen, nicht einfach aussperren konnte.
Es war das, was die beiden hören konnten.
Sie hörten beide die Beschimpfungen dieser einen Gruppe Jungs aus der Parallelklasse.
Sie hörten jedes einzelne "Schwuchtel", jedes einzelne "na los, küsst euch doch, zeigt uns ein bisschen Schwuchtelaction", jedes "ey Khalid, ich dachte im Islam ist Schwulsein verboten".

Bei jedem Satz, den die Jungs sagten, und bei jedem Lacher, den es daraufhin von der Menge gab, schloss sich Khalids Hand noch fester um Timons. Er war so wütend. Am liebsten hätte er ihnen ins Gesicht geschlagen, er war kurz davor einfach aufzuspringen und sie zum Schweigen zu bringen, als plötzlich seine Wut weniger wurde.

Timon hatte angefangen, mit seinem Daumen über Khalids zu streicheln, ganz sanft und ruhig. Khalid stoppte in seiner Bewegung und lehnte sich wieder auf seinem Stuhl zurück. Nach und nach würde sein Atem wieder ruhiger und er entspannte sich zunehmend.
Doch die Jungs setzten noch einen drauf. Sie wollten Khalid rasend machen. Also begannen sie, Dinge nach den Beiden zu werfen. Papier, Stifte, Steine. Alles, was sie finden konnten, flog in ihre Richtung. Und sie zielten nur auf Timon. Der hatte mittlerweile schon den Kopf eingezogen und hielt seine freie Hand schützend davor.

Khalid zögert nicht lange und tat etwas ohne Nachzudenken. Er stand auf und, um seinen Mitstreiter zu schützen, setzte er sich, ohne die Hand loszulassen, auf dessen Schoß. Er fing also mit dem Rücken die durch die Gegend fliegenden Gegenstände ab. Das brachte die Umstehenden doch ziemlich aus dem Konzept.

Doch das bemerkten die Beiden gar nicht. Denn aufgrund von Khalids Aktion hatte Timon seinen Kopf gehoben. Und Khalid hatte daraufhin bemerkt, wie wunderschön blau Timons Augen eigentlich waren. Sie erinnerten ihn an das Meer, blau mit einem grauen Schimmer wie eine Welle. Er konnte nicht wegsehen. Timon ging es ähnlich. Er wurde aus seiner Verwirrung direkt in Schokolade geworfen. Dunkle Schokolade. Das war nämlich die Farbe von Khalids Augen. Ganz in mindestens 70% Kakao gefangen strich Timon mit seinem Daumen der freien Hand über Khalids Wange und ehe die beiden irgendwie anders reagieren könnten hatten sich ihre Gesichter schon genähert und plötzlich lagen ihre Lippen aufeinander. Spätestens jetzt waren alle geschockt. Timon begann seine Lippen zu bewegen und der Kuss vertiefte sich.

Und nichts klang schöner, als die Hand des anderen zu halten.

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