Kapitel 1

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(POV: Ela)

Der Geruch von Desinfektionsmittel stieg mir sofort in die Nase, als ich die kleine Arztpraxis betrat. In dem alten Wartezimmer saß nicht eine Person, was nicht gerade dazu führte, dass ich mich besser fühlte.

Das Wartezimmer war mit sieben weißen Stühlen,  die alle nebeneinander an der Wand standen,  einem Glastisch in der Mitte und einem zahlreichen Angebot von Zeitschriften ausgestattet. Hier und da hingen einzelne Auszeichnungen der Praxismitarbeiter und diverse Plakate von irgendwelchen Projekten gegen irgendeine Krankheit. Ich ging zu dem weißen Stuhl ganz am Ende des Zimmers und versuchte mich irgendwie abzulenken. Ich nahm mir eine der Zeitschriften und schaute mir das Cover an.

Erschienen am 12.03.2011.

Ich musste grinsen. Es ist vollkommen okay, wenn man in einem Wartezimmer nicht immer die aktuellen Ausgaben einer Zeitschrift findet. Vollkommen okay. Aber nach 3 Jahren nicht ein Mal auf die Idee zu kommen, die Zeitschriften auszuwechseln war mir unbegreiflich.

Ich fing an mich zu langweilen und da Harry, mein bester Freund, mich schon die ganze Zeit anschwieg, fing ich an über alle möglichen Dinge nachzudenken. Ich hatte aber leider die dumme und äußerst nervige Angewohnheit auf meiner Unterlippe zu kauen, wenn ich zu viel nachdachte. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen ehe er an einem Fleck an der Wand hängen blieb.

Sah stark nach Rost aus. Aber Wände können doch nicht rosten. Vielleicht hing da auch mal so eine Auszeichnung und der Nagel war gerostet. Aber Nägel rosten nur, wenn sie mit einer Flüssigkeit in Verbindung kommen. Vielleicht ein Rohrbruch. Ja, das klang logisch. Aber wenn es zu einem Rohrbruch kam, kommt bestimmt auch bald zu Schimmel. Ziemlich unhygienisch... Was aber noch viel schlimmer ist: Was ist, wenn hier irgendwo Krabbelviecher waren?! Oh mein Gott wie eklig! Um welches Krabbelviech es sich wohl handelte? Bestimmt Ameisen. Oder Kakerlaken. Soweit ich weiß, können Kakerlaken neun Tage ohne Kopf überleben, ehe sie verhungern...

Ich stupste Harry an und er zuckte zusammen. Er war wohl auch in Gedanken versunken gewesen.

"Was gibt's?", fragte mich Harry mit einem süßen Lächeln.

Ich griff seine Hand und schaute ihm ganz tief in die Augen.

"Hast du hier zufällig eine Kakerlake ohne Kopf rumrennen sehen?"

Harry fing sofort an zu lachen und ich musste automatisch mitlachen. Er hatte mit Abstand eine der schönsten Lachen, die ich je gehört habe. Am besten war aber immer noch wie er sich dann immer versuchte zusammenzureißen. Er bekams aber nie hin und das war auch der Grund wieso wir immer so viel lachten.

Es passiert was lustiges → wir lachen → Harry versucht sich zu beruhigen → sieht dabei total dämlich aus → wir lachen über ihn

Ich war echt glücklich ihn an meiner Seite zu haben und das als meinem besten Freund.

Als er sich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte und ihm nicht mehr vor lachen die Tränen kamen fragte er mich, wie ich auf so eine dämliche Frage gekommen sei.

"Naja, du hast mich ja die ganze Zeit ignoriert und ich wollte mir keine Gedanken darüber machen, wieso wir heute überhaupt hier sind. Und da ist mir der Fleck aufgefallen und", ich hörte auf zu erklären, weil Harry mich so einfühlsam ansah.

Er nahm mich in den Arm und sagte:

"Ela, hör mir jetzt gut zu. Es wird alles gut. Deinem Herzen geht es bestimmt wieder besser und der Arzt wird dir keine schlechte Nachrichten überbringen. Daran glaub ich ganz fest."

Ich blinzelte die Tränen weg und lächelte ihn an. "Du hast recht. Wie immer."

Ich knief ihn in seine Wange und er klaute mir meine Nase.

"Ich hab deine Nase.", verkündete er lauthals und grinste breit.

Ich lachte. "Gib mir meine Nase wieder zurück!"

"Erst wenn du unser Motto sagst."

"Am Ende wird alles gut. Und wenn nicht alles gut ist, ist es auch nicht das Ende."

Er gab mir meine Nase zurück und drückte mich noch einmal fest, bevor wir uns wieder hinsaßen.

Im selben Moment, kam Herr Doktor Pazinsky in das kleine Wartezimmer.

"Frau Chest?"

Ich hob die Hand. "Hier."

Sein Blick verdunkelte sich und ich hab in meinem ganzen Leben noch nie so einen Blick gesehen. Ein Blick, der so viel Mitleid ausdrückte, dass es unbeschreiblich ist.

"Ich habe sehr schlechte Neuigkeiten für Sie.", verkündete er mir einer sehr gefassten Stimme.

Mein Magen verkrampfte sich schlagartig und ich musste fest schlucken. Ich griff nach Harrys Hand und er drückte sie, um mir zu zeigen, dass ich nicht alleine war.

"Was hab ich?", fragte ich im Flüsterton.

Bis dahin war mir gar nicht aufgefallen wie ich angefangen hatte zu zittern.

Die Antwort rieß mir den Boden unter den Füßen weg...

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