Wütend schmeißt sie die Badezimmertür zu und lässt kaltes Wasser über ihre Hände fließen. Wie sie ihre Mutter, ihren Vater und ihre Schwester hasste.
Warum wollen sie, dass es ihr gut geht? Das sie genug isst, dass sie positiv denkt und das sie ihre Probleme ihnen anvertrauen kann? Sie will kein Mitleid, sie möchte nicht dass sich irgendjemand für sie interessiert.
Sie hasste sie.
Voller Zorn beißt sie auf ihre Lippen und kleine rote Blutstropfen vielen in das Waschbecken. Sie vermischten sich mit dem Wasser und wurden von Sog des Abflusses mit in die Tiefe der Kanalisation gerissen. Sie wollte dass sie fort gehen, einfach verschwinden. Diese Wut kam so oft, dass sie glaubte sie langsam nicht mehr ertragen zu können. Sie drehte den Wasserhahn zu, trocknete ihre Hände am Handtuch ab und lief im Badezimmer umher. Knetete ihre Hände um ihre Wut abzubauen und als es nicht half schlug sie sich selber. So hart und mit solch einer Kraft, dass Tränen ihre Wangen hinab liefen. Sie riss das Handtuch vom Haken ab und stopfte sich es in den Rachen und schrie. Sie fiel auf die Knie und schrie.
Nach einer langen Zeit hängte sie das Handtuch wieder an und raufte sich die Haare. Die Wut, der Hass, loderte immer noch in ihr. Sie öffnete die Badezimmertür und tapste den Flur zur Kommode ihres Vaters entlang. Sie öffnete die oberste Schublade und nahm die Pistole in ihre kleinen Hände. Wie oft hatte sie schon daran gedacht ihre Familie auszulöschen?
Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt. Vater sitzt im Wohnzimmer am Esstisch und bearbeitet Arbeiten seiner Studenten, Mutter und ihre Schwester waren ebenfalls dort und schauten eine dämliche Sendung im Fernsehen. Es wäre perfekt.
Doch irgendetwas in ihr schrie, dass es falsch sei. Dass sie es nie wieder rückgängig machen könnte, dass sie ihre Familie doch eigentlich liebte. Diese Stimme, die versuchte erhöht zu werden, wurde von anderen übertönt. Von denen die Hass und Wut verkörperten. Die sie im inneren in Flammen gesetzt hatten. Und es ist so heiß und brennend dort, dass sie versuchen muss, es zu löschen. Und es schien als wäre ihre Familie umzubringen die einzige Möglichkeit, um das Feuer loszuwerden, bevor es ihren ganzen Körper in seine Gewalt nahm. Schon lange brannte in ihr der Wunsch den Ausdruck von Angst und Überraschung in den Augen ihrer Eltern zu sehen. So oft hatte sie Bücher oder Krimis gesehen, wo Menschen einen anderen Menschen umbrachten. Sie wollte es nicht nur sehen oder lesen, sie wollte es spüren. Spüren wie es ist jemanden das Leben zu nehmen. Zusammen mit der Wut brannte dieses Verlangen in ihrem Herzen. Und an diesem Abend stärker als die anderen Tage. Es war an der Zeit. Leise und mit Bedacht lud sie die Pistole. Sollte sie es wagen? Sie hörte ihre Mutter lachen und ihre Schwester, die einen Kommentar zu der Serie abgab. Dieses Lachen, diese Unbeschwertheit, ließen die Flammen der Wut in ihr erneut entfachen.
Ja, heute war der Tag wo sie zum ersten Mal erfahren wird, wie es ist einen Menschen das Leben zu nehmen. Dann konnte sie mitreden, sie konnte sich mit den Leuten aus den Büchern oder den Serien identifizieren und entweder genauso oder anders fühlen. Sie tapste den Flur entlang und blieb am Türrahmen stehen. Ihre Mutter und ihre Schwester saßen auf dem Sofa mit dem Rücken zu ihr und auf dem Bildschirm bewegten sich irgendwelche Typen. Ihr Vater war der Erste der sie sah.
Diese Überraschung ließ ihr Herz höher schlagen. Diese Angst, diese Unfassbarkeit, dieses Gefühl, das sie überströmte, war atemberaubend. Das war ein Moment, eine Erfahrung, die ihr nie jemand wieder wegnehmen könnte.
„Lena, was...", seine Stimme verlor sich und er ließ sein Kugelschreiber auf den Tisch fallen und stand auf. Er klammerte sich krampfhaft an der Lehne fest und schaute mich mit weit aufgerissenen Augen an.
„Bleib dort!", ich hob die Waffe mit beiden Händen und richtete sie auf meinen Vater. Sie sah wie ihre Mutter sich umdrehte erschrocken die Hand auf den Mund schlug und ihre Schwester zusammen zuckte.
„Tut mir leid, Papa", sagte sie, so leise, dass niemand außer ihr es hörte. Dann schoss sie ab.
Die Kugel traf ihren Vater in der Brust und er fiel auf den Boden. Der letzte Blick war voller Angst und Unklarheit, so dass sie den Kloß in ihren Hals hart herunter schlucken musste. Wie erstarrt blieb sie stehen, die Waffe immer noch über halb des Stuhls auf ihren Vater gerichtet, der dort eben gestanden hatte und nun auf dem Boden lag. Rotes Blut verfärbte den weißen Teppich rosa. Was für eine Sauerei, dachte sie, was für eine eklige Sauerei. Ihre Mutter unterdrückte einen Schrei und fing an mich anzuflehen, auf mich einzureden, sodass ich Kopfschmerzen bekam.
„Halt den Mund, Mama, bitte halte einfach mal deinen verdammten Mund", sie schwenkte die Pistole und zielte auf den Kopf ihrer Mutter. Sie fuhr zusammen, wimmerte und entschuldigte sich immer und immer wieder. Sie machte sie wahnsinnig und dennoch kostete sie diesen Augenblick aus. Sie holte Kraft aus ihr. Sie schoss und hielt weiterhin Blickkontakt mit ihrer Mutter, auch als ihr Kopf förmlich vor ihr Explodierte und sie Blutspritzer auf T-Shirt und Gesicht abbekam. Es besprenkelte sie wie Sommersprossen. So hübsch und so warm.
„Mach die Augen zu", sie wollte es sanft sagen, aber es kam aus ihren Mund wie ein Befehl, den man sich lieber nicht widersetzen sollte. Ihre Schwester schüttelte nur den Kopf, während Tränen ihre Wangen hinab rinnen.
„Bitte, Lena..."
Doch bevor sie auch nur aussprechen konnte drückte sie ab. Die Kugel durchbrach ihre Haut und bohrte sich in ihr Fleisch, durchbohrte ihr Herz. Sie sank zur Seite und fiel halb von Sofa auf den Boden. Es war still.
Wie in Zeitlupe ging sie um das Sofa herum und legte die Pistole auf den Beistelltisch. Dann sank sie auf den Boden und vergrub ihr Gesicht in den Händen und weinte.
Ihre Familie war tot.
Das was sie sich vor ein paar Minuten so sehnlichst erwünscht hatte, war nun vollbracht und nagte an ihr. Sie wollte es nicht, aber dennoch hatte die Neugier, wie es wohl ist jemanden zu töten, wie sie reagieren würden, wenn sie sie mit der Pistole sahen, gesiegt.
Was war sie nur für ein dummes, dummes Kind.
Sie kroch zur ihrer Mutter und ihre Hose durchtränkte sich mit dem Blut ihres Vaters. Wie hypnotisiert starrte sie es an. Dann schrie sie. Nahm den leblosen Körper ihrer Mutter und schaute in das nicht mehr vorhandene Gesicht. Sie schrie, dass es ihr leid tut, das sie alles tun würde, um es wieder rückgängig zu machen. Dann weinte sie hysterisch und zitterte, wie unter Strom. Sie brauchte jemanden der sie in Arm nimmt. Wie ein Baby wiegte sie ihre Mutter ihn Arm und bald darauf bebten ihre Schultern nur noch und ab und an entfuhr ihr ein Schluchzer. Nach einer gefühlten Ewigkeit, stütze sie sich an den Beistelltisch ab und ergriff den Telefonhörer.
Sie wählte die Tasten, lauschte auf den Wahl Ton und auf das vertraute Piepen. „Notrufzentrale, was kann ich für sie tun?" Sie schluckte schwer und ihr Blick schweifte zu ihrer Schwester, die mit geschlossenen Augen halb auf den Boden, halb auf dem Sofa lag. Dann blickte sie zu ihrer Mutter und zum Schluss zu ihren Vater. Eben noch hatte dort ein Herz Blut durch den Körper gepumpt.
„Ich habe meine Familie umgebracht. Ich habe ein perfektes Familienbild zerstört, in welchen ich kein Platz hatte." Es tut mir so leid.
DU LIEST GERADE
The Fear Of Being Forgotten
PoetryTexte Gedichte Worte Gedankenfetzen, die es wert sind niedergeschrieben zu werden, aber zu klein sind, um eine Geschichte daraus zu weben. Vielleicht findet ihr euch in dem ein oder anderem Text wieder. || Genau wie Augustus Waters (The Fault In Our...