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Kennt ihr das, wenn ihr dringend auf die Toilette müsst, aber ihr seid gerade unterwegs und ihr könnt es nicht mehr unterdrücken? Ja? Es ist schrecklich, nicht wahr? Tja, ich könnte euer Beileid jetzt echt gut gebrauchen. Ich bin gerade in so einer Situation.





Mein kleiner Bruder und ich stehen gerade vor einer öffentlichen Toilette und als ob das Schicksal es heute auf mich abgesehen hätte, muss es genau heute eine unendlich lange Schlange geben. ,,Arya? Hast du vielleicht Geld dabei?'', fragt mich Tyler. Er deutete auf ein Preisschild, das an der Toilettentür angebracht war: 50c für Klo alle ; deswegen die Frage.





Ich kramte in meiner Tasche nach meiner Geldbörse und nahm mir 2x 50c-Münzen heraus und legte eine in die Hand meines Bruders. ,,Danke.'', murmelte er und sah wieder abwartend nach vorne.

Die Schlange zur Männertoilette war kürzer geworden und mein Bruder wäre der nächste.

Plötzlich tippte mich jemand an der Schulter an, ich drehte mich überrascht um und riss meine Augen auf, als ich sah. Ulalala wer ist denn das? Er war einer dieser Typen, die aus einem Liebesroman stammen könnten, weil sie so verboten fesch aussahen.


Graublaue Augen, die an Gewitterwolken erinnerten, stachen aus seinem blassen Gesicht, welches von Muttermalen übersät war, heraus. Seine Haare sahen so aus, als ob ihm dauernd eine Windböe über den Kopf wehte. Und seine Lippen? Nicht ganz perfekt geschwungen, aber sie fühlten sich weich und fest. A-Also glaubte ich zumindest.


Ich sah ihm wieder in die Augen und wurde rot, als ich merkte wie er mich verschmitzt angrinste. Ja, eindeutig ein Lausbube.

,,Hi, ich wollte dich was fragen."
Oh mein Gott, seine Stimme klingt so tief, rau und unglaublich verrucht. Er sah von mir zu der Männertoilette. Ach so, er hatte wohl kein Geld dabei.
,,Tut mir echt leid, ich habe kein Geld mehr."
Der Fremde sah mich verwirrt an. Ok, ok ich hatte noch Kleingeld.
Mich überkamen sofort Schuldgefühle, da ich gelogen hatte, um ihn abzuwimmeln.
Obwohl abwimmeln wollte ich ihn eigentlich nicht...

,,Warte." Ich hole meine Geldbörse wieder heraus und wollte ihm gerade eine 50c-Münze in die Hand drücken, als er plötzlich anfing zu lachen.

Wieso lachte er bloß?
Ich sah ihn wahrscheinlich sehr verwirrt an, weil er auf einmal noch mehr lachen musste.

,,Was ist so lustig?" Er schüttelte nur belustigt den Kopf, bevor er schweratmend seine Hände auf seine Knie stützte. Er sah erschöpft aus.


Wieso sieht er so fertig aus, er hatte doch nur gelacht? Als er sich wieder gesammelt hatte, sah er mich mit neu gefundenem Interesse an und sagte: ,,Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob wir mal was zusammen trinken gehen."

,,Oh." Jetzt fing ich an zu lachen, weil ich ihn komplett missverstanden hatte und er sah mich mit einem schwerdeutbaren Blick an.

Und als ich wieder realisierte, dass ein heißer Typ etwas mit mir trinken gehen wollte, sagte ich unsicher: ,,Ehm, wieso nicht?"

Er strahlte über das ganze Gesicht und alleine dieses Grinsen machte ihn noch attraktiver als er schon war.

Als wir unsere Nummern untereinander ausgetauscht hatten, zwinkerte er mir noch zum Abschied zu.
Ich sah ihm hinterher und sah noch, wie er zur U-Bahn ging.


,,Die junge Dame? Könnten Sie vielleicht weitergehen?", höre ich eine alte Frau hinter mir rufen. ,,Tut mir leid." Schuldbewusst warf ich ihr noch einen Blick, bevor ich schnell aufs stinkende WC ging.



¤

Tyler und ich waren bereits zu Hause und sahen uns einen Film an, während wir Pizza aßen. Ich glaube, wir beide sollten mal was anderes essen als nur Pizza. Aber weder er noch ich konnten kochen und unsere wunderbare Mutter ist mal wieder auf irgendeiner Reise.

Sie war so gut wie nie zuhause, weil sie Reiseführer schrieb und daher immer selten da war. Man wusste nie, wann sie mal kommt oder geht. Ich meine, sie ließ Tyler und mir jeweils immer 500€ für einen Monat zukommen, aber die Mutterrolle war nie was für sie gewesen, vor allem nachdem unser Vater nach meiner Geburt abgehauen ist. Und komischerweise hatte ich auch nicht das dringende Bedürfnis meinen Erzeuger zu suchen und kennenzulernen. Ich weiß, ich weiß immerhin ist er mein Vater, aber ich bin auch ohne ihn gut mein ganzes Leben klargekommen.



Ich sah auf die Uhr und merkte, wie spät es eigentlich schon war. ,,Tyler, ab ins Bett. Morgen ist Schule!"

Er stöhnte genervt auf und als ich ihn noch immer streng ansah, versuchte er es mit Schmollmund und Hundeblick.

,,Oh nein, junger Mann. Du gehst jetzt schön ins Bett." ,,Komm schon, Arya! Ich bin schon 14 Jahre alt. Wieso kann ich nicht länger aufbleiben?"


,,Weil du noch groß und stark werden musst. Alles klar?"

Noch ein genervtes Augenrollen seinerseits und dann ging er auch schon die Treppen hinauf. Ich seufzte und musste mir selbst eingestehen, dass ich auch ganz schön müde war.

Das Wochenende war stressig. Ich musste Tyler zum Arzt bringen und von einer Geburtstagsfeier abholen. Tyler und ich hatten uns dann um den Haushalt gekümmert und sind dann erschöpft auf das Sofa gefallen.
Es war wirklich anstrengend, wenn die eigene Mutter nicht da ist und man alles alleine machen muss. Aber hey, was soll ich schon machen?







¤
Tyler hatte mal wieder beschlossen, ohne mich zur Schule zu gehen. Danke, kleiner Bruder. Ich muss mich beeilen, sonst komme ich zu spät, eigentlich passiert mir sowas nie, aber heute bin ich zu spät aufgewacht. Ich flitze ins Bad und beginne mit meiner Morgenroutine.


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Sunday Candy- Donnie Trumpet

KAI *DISCONTINUED*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt