Heute Abend würden Lin und ich den Feuerwesen im Wald einen Besuch abstatten. Unsere erste Prüfung. Denn wir beide benötigten Eierschale, um uns bei den weiteren Aufnahmeprüfungen für Sorx überhaupt versuchen zu dürfen. Gleichzeitig hoffte ich darauf, dass diese rote Blume auf meinem Arm wieder auftauchen würde, so wie bei meiner ersten Begegnung mit den Feuerdornlern.
Um Mitternacht vor dem Hauptgebäude der Insel, so war es vereinbart. Doch bis es soweit war, hatte ich noch einige Stunden Zeit. Die würde ich nicht vergeuden. Zuerst stand Abendbrot mit meiner Mom auf dem Plan. Sie wusste, dass ich in den letzten vier Monaten immer öfter außer Haus war, doch klärte es zum Glück damit ab, dass ich endlich Anschluss gefunden hatte. So verabschiedete ich mich nach unserem Essen gleich wieder mit der Entschuldigung, bei einer Freundin zu übernachten.
"Unternehmt mir aber ja nichts draußen, heute Nacht soll eine Regenfront aufziehen.", warnte sie mich mit einem Augenzwinkern, als ich gerade die Teller vom Tisch geschnappt hatte. Beinnahe wären sie mir aus der Hand geglitten. "Ach Mom, unser Filmeabend findet drinnen statt.", hatte ich erwidert und lächelnd den Kopf geschüttelt. Innerlich bildete sich bei dieser Lüge ein Knoten in meinem Bauch, der sich schmerzlich zusammen zog. Doch ich konnte nichts ändern, konnte nicht erklären, dass eine Asiatin und ich bald auf einer Insel mitten im Ozean einen Nachtspaziergang unternehmen würden, der sicherlich bei Unwetter noch schwieriger zu vollziehen war als sowieso schon. Sie hatte mir ein Lächeln zurück geschenkt und war ahnungslos in die Küche gelaufen. Ich hatte mich verabschiedet, war scheinheilig aus der Haustür gegangen und hatte mich hinter dem nächsten Busch per Seelenübergang direkt nach Shaetaar befördert. Mittlerweile war ich mit der Seelenwelt so vertraut, dass mir ein Übergang innerhalb weniger Minuten gelang. Schon als meine Füße den Grund der Insel berührten und ich den wohligen Duft der Natur einzog, eine Mischung aus Moos und dem lieblichen Duft der Frühlingsblumen, fühlte ich mich geborgen. Wie ein Rückzugsort, der mich mit offenen Armen empfing. Ich ging zu meiner Hütte, in der sich neben dem Bett nur wenige Habseligkeiten befanden. Doch was ich brauchte, war hier. Der Bambusstab, den ich vor einem guten halben Jahr im Wald gefunden hatte: schmal genug, um ihn wendig durch die Lüfte sausen zu lassen, und doch robust, um harte Schläge auszuführen. Ich musste meinen Kampfstil verbessern, selbstständig handeln, um Leon eines Tages zu schlagen und in Sorx zu bestehen. Der Stab war meine einzige Waffe oder zumindest etwas vergleichbares. Die Übungsschwerter brachte Leon wenn schon zu unseren Kämpfen mit und keines davon gehörte zu meinen Besitz. Ich schnappte mir den Stock, den ich einst bei einem misslungenen Kunstprojekt benötigt hatte, und stürmte voller Eile aus der klapprigen Holztür. Bevor ich mich bremsen könnte, rannte ich gegen jemanden, der sich ungünstigerweise ziemlich genau vor meiner Tür aufgehalten hatte. Taumelnd stolperte ich zurück, rang vergeblich mit der Erdanziehungskraft, verlor den Kampf, und krachte schlussendlich doch zu Boden."Schätze, ich bin einfach zu umwerfend, oder?", ertönte eine kecke Stimme über mir.
Wie automatisch zogen sich meine Mundwinkel nach oben. "Auch schön dich zu sehen, Phil.", grüßte ich ihn.
Seine Hand schob sich in mein Blickfeld und ich lies mich hochziehen. "Na, was machst du ganz allein hier draußen?" Sein Blick schweifte zu dem Bambusstück, das in meiner Hand ruhte.
"Und was willst du mit dem Grünzeug?"
Meine Faust traf ihn krachend am Oberarm und gespielt verletzt zuckte er zurück. Ein breites Grinsen zierte noch immer mein Gesicht.
"Das ist Bambus, du Hohlkopf.""Stimmt, hatte ganz vergessen, dass ihr Erdbändiger ja eine besondere Bindung zu Unkraut habt."
"Das ist kein Unkraut."
"Klar. Grün und pflanzlich: Unkraut." Empörung spiegelte sich auf meinem Gesicht.
"Dann geh doch weg." Mein Grinsen wurde zwanghaft unterdrückt.
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Lodernde Blüte
FantasyVerunsichert, ohne Freunde. Allein, kein Vater. Unbeachtet, ein Nichts. Niemand kennt sie. Niemand sieht, was tief in ihrem Inneren verborgen liegt. Bis jetzt. Der Schein trügt die junge Cora, welche mit der Existenz der verborgenen Inseln, der Heim...