Das Haus der Liebe

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Mit gesenktem Kopf lief sie die Straßen hinunter, zurück zu dem kleinen, grauen Haus, das sie ja eigentlich nie verlassen hatte. Der Flur war immer noch lang und dunkel und ihre Mutter trug immer noch dieses Lächeln auf den Lippen, das wohl genügend Zuneigung zeigte, die man von einer Mutter erwartete, allerdings genügend Distanz zwischen die beiden schob, um sie aus jeglicher Verantwortung zu ziehen. Sie schenkte ihr bitteren, lauwarmen Kaffe in eine der Tassen, die schon früher immer auf den dem dunklen Holztisch gestanden haben, wenn Verwandten zu Besuch kamen. Alles war immer noch so gleich, doch sie glaubte -musste wissen -dass sie sich verändert hatte. Denn das war sie sich selbst schuldig. In der Stille des Hauses war ein merkwürdiger Frieden eingekehrt. Zwischen den schweren Herrenmäntel, die zwar noch im Schrank unten im Schlafzimmer hingen, deren Geruch nach herben Rasierwasser genauso eingestaubt war wie die Mäntel selbst. Und auf der hölzernen Treppe, die zwar noch unter jedem Schritte knarzte, die aber keine schwarzen Lederstiefel mehr hinunter polterten. Doch sie wusste, dass in ihr noch kein Frieden eingekehrt war und sie musste glauben, dass sie ihn in diesem kleinen, grauen Haus finden würde.
Nachdem sich ihre Mutter entschuldigend zum Geschirr spülen und Schweigen in die Küche verzogen hatte, machte sie sich auf die Suche. Langsam öffnete sie die Tür zu dem Kinderzimmer, aus dem sie herausgewachsen war. Sie krabbelte unter das Bett, wandte den Kopf nach und sah die schwarzen Lederstiefel, die plötzlich links neben dem Bett auftauchten. Sie hielt den Atem an und redete sich ein, dass sie weniger Luft bräuchte, denn ihr Körper schrumpfte doch weiter und weiter, bis er klein und weich und zart war. Zwei Hände packten ihren Arm und zogen sie über den vergilbten, kratzigen, roten Teppich unter dem Bett hervor. Sie wehrte sich nicht, sie schrie nicht. Sie starrte an die Zimmerdecke. Eines Tages, war sie trotzig zum Baumarkt gerannt, eher wütend auf sich selbst als auf irgendwen sonst und hatte rote Farbe gekauft. Zuhause strich sie damit die Decke. Denn Rot war die Farbe der Liebe. Rosenrot. Frühlingsrot. Blutrot. Stechend rot. Rot. Ihrer Mutter sagte sie das Rot würde doch gut zum Teppich passen. Die Farbe war ungleichmäßig aufgetragen und wenn sie da so lag auf dem Teppich den Blick an die Decke gerichtet, da sah sah sie Bilder dort in der Farbe. Ein Mädchen, das eigentlich eine Prinzessin und in einem Turm gefangen war und die von einem Prinzen gerettet wurde. Wie in dem Märchen, dass sie sich abends vorlas, wenn sie mit einer Taschenlampe unter dem Bett lag und die Nachtmonster sie nicht schlafen ließen. Unbeweglich lag sie auf dem Teppich. Grobe Finger, die sich unter ihre Haut gruben und sich durch ihre Eingewände wühlten. Ein flacher roter Himmel über ihr, indem sie wieder vergeblich Sterne suchte .Als wollte die Decke sie daran erinnern, dass sie geliebt wurde, dass es ja eigentlich ihre Schuld war. Sie war eben schon immer ein hübsches Mädchen gewesen und schon immer so fröhlich und gutherzig, dass einfach jeder, der sie traf, sie lieben musste. Und das erfüllte sie mit Hass. Sie durfte das nicht. Still liegen. Taub. Nicht fühlen. Aber das ging nicht mehr. Ihre neuen, sanften Hände zogen die schmerzenden, rauen Hände unter ihrer Haut hervor. Dann halfen sie der Mutter in Küche. Drückten sacht und liebevoll auf das verstummende Lächeln. Legten das feuchte Geschirrtuch über die erschreckten Augen. Kamen zurück zu ihrem starren Körper in dem roten Raum, zogen sie hoch, richteten sie auf. Und dann ging sie. So erfüllt von Liebe wie sie es noch nie gewesen war die Straße entlang. Weg von dem Ort, an dem Liebe Rot war. Weg von dem kleinen grauen Haus, in das sie nie zurückkehren würde.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 10, 2017 ⏰

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