Chapter I • Kylie

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Regen peitschte an die Frontscheibe des alten BMWs. Bevor sie jedoch weiter an dem kalten Glas fließen konnten, wurden sie vom Scheibenwischer weggewischt.
Das beruhigende prasseln des Regens spielte sich eher im Hintergrund ab, da die Musik auf volle Lautstärke gestellt worden war.
»Schütt' mir nochmal was ein«, schrie ich über die laute Musik hinweg und bat Brandon, der hinter mir saß, mir etwas von dem Vodka in meinem Becher zu geben. Er war einfach schon so dicht, dass es ihm schwerfiel die fast leere Flasche stillzuhalten und so kippte die Hälfte von dem, was eigentlich in meinen Becher hätte landen sollen, zu Boden.
Begierig kippte ich den Alkohol runter. Ich spürte, wie meine Angespanntheit sich langsam löste. Mein Freund hatte mich verlassen, nach fast einem Jahr Beziehung, machte er mit mir Schluss mit den Worten: »Es war eh nie etwas richtiges zwischen uns beiden. Ich liebe dich nicht.«
Dann war er weg. Ich hab komplett die Fassung verloren und bin ausgerastet. Ich habe ihm alles liderliche an den Kopf geworfen, damit er nicht sah, wie tief er mich verletzt hatte. Es war eine Art Taktik die eigene Schwäche zu verbergen.
Nach dieser Auseinandersetzung redete er nicht mehr mit mir. Er tat so als hätte ich niemals in seinem Leben existiert. Die ganzen nächtelangen Gespräche wurden vergessen. Dates wurden komplett aus dem Kopf radiert. Ich war nicht mehr „sie“ für ihn, sondern nur noch „Jemand“.
Jemand, der sich in der Beziehung mehr zusammenreisen hätte sollen.
Jemand, der für ihn nur das Beste wollte.
Jemand, der sein Temperament nicht unter Kontrolle hat. Die letzten Wochen hat sich alles so leer ohne ihn angefühlt. Dann kamen meine Freunde und hatten den besten Vorschlag seit langem.
»Wie wär's wenn wir einen kleinen „Roadtrip“ machen am Wochenende“, lachten sie und zwinkerten mir dabei zu. Natürlich meinten sie damit eine Autofahrt über Nacht durch einen dunklen Wald mit viel Alkohol und ohrenbetäubender Musik.
Das war genau das was ich gebraucht hatte.
Kyra, die am Steuer saß, boxte mir lachend gegen die Schulter: »Vergiss das Arschloch. Er hat dich nicht verdient und das weißt du auch. Ihr hattet ständig nur Streit. Sei einfach froh das du ihn loshast!«
Ich seufzte. Ja, ich sollte loslassen. Es ist besser so. Er hat mir nur einen Gefallen damit getan.
Ich fing an zu lachen. Erst leiser, dann immer lauter: »Ja, ihr habt recht! Ich scheiss auf ihn!«
Man könnte meinen der Regen würde immer stärker werden. Ich sah hinaus. Die Fernlichter waren an und trotzdessen war es schwer etwas zu erkennen. Man konnte selbst die Bäume nichtmal um uns herum erkennen.
Wir waren alleine auf der abgeschiedenen Landstraße, seit einer halben Stunde schon hatten wir niemanden mehr gesehen. Es war schon unheimlich.
Aber was soll's. Alle lachten und hatten Spaß. Selbst ich hatte sogar etwas Spaß. »Ganz ehrlich, Leute, kennt ihr den neuen aus der Elften? Der ist ziemlich heiß, findet ihr nicht auch?«, meinte Kyra. Melissa und ich fingen an zu kichern und bestätigten ihre Aussage. Brandon hingegen meinte nur: »Er ist vielleicht heiß, aber heißer als ich definitiv nicht.«
Kyra, Melissa und ich fingen an loszulachen. Ich meinte zu erkennen, dass Brandon sogar durch die Dunkelheit etwas rot wurde.
Der Regen fing langsam an sich zu legen. Nun konnte man ein paar Meter von der Straße in den tiefen Wald erblicken. Plötzlich aber trat eine dunkle Silhouette aus der Dunkelheit über die Straße. Ich meinte sogar, dass sie sich sogar sehr langsam humpelnd auf uns zubewegte.
Alle schrien »Achtung«, Kyra selbst ließ einen erschreckten Schrei von sich los und drehte das Lenkrad um 180°.
Das Auto drehte sich mehrere Male um sich selbst, ich verlor die Orientierung. Ein harter und ohrenbetäubender Aufprall ließ uns nun endlich zum Stehen kommen.
Ich stieß mich irgendwo an, ein stechender Schmerz breitete sich von meinem Kopf über den ganzen Körper aus. Die Musik war schon längst verstummt, auch die Schreie der anderen.
»Leute?«, fragte ich angsterfüllt, zuerst leise, dann wieder etwas lauter. »Leute?« Ich hörte leise Schritte. Sie waren langsam. Erschreckend langsam. Ich versuchte die Autotür zu öffnen. Vergeblich. Vielleicht kam der Typ uns zu Hilfe. Trotzdem hatte ich ein großen Gefühl der Angst. Die Schritte kamen jetzt immer näher. Ich musste hier raus. Ich sah mich um. Das Dachfenster war zersplittert, darin klaffte nun ein großes Loch.
Ich nahm all meine Kraft zusammen und zog mich raus. Die Glassplitter, die sich durch meine Haut bohrten, taten höllisch weh. Als ich mich nun endlich halb rausgezogen hatte sah ich mich um.
Nun waren die Schritte ganz nah und ich wusste auch jetzt von wem. Oder was. Es sah aufkeinenfall menschlich aus. Vielleicht war es mal ein Mensch.
Das eine Bein war um 90° verdreht.
Ein Arm fehlte.
Stattdessen prangte dort eine blutende Wunde.
Die Haut war leichenblass, aber sie hatte schon einen fast grünlichen Unterton. Aber das Gesicht war das Schlimmste von allem.
Die Augenfarbe war verblichen.
Das einst intensive blau hatte einen milchigen Film darüber.
Überall hatte es aufgeplatzte und blutende Wunden.
Ich wollte schreien, doch ich bekam keinen einzelnen Ton über meine Lippen.
Das Ding hatte genau mich fixiert.
Es starrte mich ununterbrochen an und schien nach mir greifen zu wollen. Irgendwie arbeitete mein Körper schneller als mein Gehirn. Ich arbeitete mich aus dem Loch des Glases heraus und sprintete davon.
Ich sah nicht mehr zurück.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 03, 2017 ⏰

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