Das grüne Licht der Ampel stach mir in die Augen. Meine Beine setzten sich in Bewegung. Ich nahm aus dem Augenwinkel etwas war, doch lief unbeirrt auf die Bordsteinkante. Es war ein Radfahrer, der genau auf mich zusteuerte. Er hatte rot, schien das aber zu ignorieren. Ich lief schneller, damit er hinter mich ausweichen konnte, doch er fuhr mir direkt vor die Füße. Ich spürte einen harschen Ruck und der Radfahrer taumelte. "Hast du keine Augen im Kopf, du dumme Göre?", schrie er. Mein Herz pochte wild und ich zwang mich dazu, nicht zu reagieren. Während ich weiterlief, stellte ich mir immer wieder die Frage, wieso die Menschen, die im Unrecht waren, immer besser dran waren, als die Menschen im Recht. Ich langte mit den Händen tiefer in meine Jackentaschen, denn sie zitterten vor Aufregung. Allmählich verlangsamte sich mein Herzschlag wieder und ich setzte meinen Weg fort.
Die große, hölzerne Eingangstür der Schule knallte hinter mir zu. Heute schien es doppelt so schwer, die grauen Treppen hinaufzulaufen. Ich stolperte über eine Stufe und fühlte mich wieder zurückversetzt in die Situation vor 10 Minuten. Im ersten Stock bog ich nach links in den Westflügel. An meinem Klassenraum machte ich halt, öffnete die Tür und betrat griesgrämig wie jeden Morgen den Klassenraum. Mein Sitznachbar Kalle grinste mir zu und ließ gleich einen seiner dämlichen "Drittes-Reich-Witze" vom Stapel. Ich setzte mich und bedeutete ihm mit meinem Blick, dass ich nicht in der Verfassung für solche Dinge war.
Unsere Lehrerin legte eine DVD ein. Bis um 09.30 Uhr schauten wir nun einen französischen Film mit deutschen Untertiteln. Ich hatte noch nie verstanden, inwiefern es unsere Französischkenntnisse schulte, wenn wir uns, um den Film zu verstehen, nur auf die Untertitel beschränkten. Die Klingel ertönte und unsere Lehrerin fuhr den Rechner herunter. Lehrerwechsel. Unser Klassenlehrer betrat den Raum, unter seinen Arm hatte er die diesjährigen Zeugnisse geklemmt. Er breitete kurz seine Sachen auf dem Lehrerpult aus und fing dann an, uns über Organisatorisches aufzuklären. Damit vergingen erst einmal 15 Minuten. Dann bemängelte er 20 Minuten diverse Fehlverhalten der Klasse, das Übliche eben.
"Leroy Anthony", rief Herr Bender. Er verteilte Die die Zeugnisse immer nach dem Anfangsbuchstaben geordnet.
"Luna Leyermann". Nun war ich an der Reihe. Ich wollte Herrn Bender mein Zeugnis abnehmen, doch er hielt es fest und sprach mich auf einige Noten an. Meine Chemienote war nicht sonderlich erschreckend für mich, über Physik ärgerte ich mich jedoch. Herr Bender ließ mein Zeugnis endlich los und ich bewegte mich wieder an meinen Platz. Kalle krallte sich sofort das Zeugnis und errechnete einen Durchschnitt. "2,6", sagte er, "nicht außerordentlich schlecht, aber verbesserungsbedürftig." "Jaja.", murmelte ich bedrückt. Ich wartete sehnsüchtig auf das Ende der Stunde. Noch 5 Minuten, noch 4, noch zwei, die Klingel ertönte erneut und wir strömten aus dem Raum.
Zielstrebig lief ich nachhause, packte meine Sachen und eilte zum Zug. Endlich ging es wieder in die Heimat. Meine Mutter fuhr erst einige Züge später, da sie erst um 18 Uhr von der Arbeit zurückkehrte. Ich stand zusammen mit einer Menge anderer Leute am Bahnsteig und musterte die Schienen. Hier und da sah man eine Maus vorbei huschen. Es war laut. Die Straßenbahnen klingelten regelmäßig, wenn sie am Bahnhof vorbei fuhren, hinter mir fuhren S-Bahnen und Regionalzüge ein und aus. Sie quietschten laut, wenn sie zum Halten kamen und quietschten noch lauter, wenn sie wieder beschleunigten. Auf dem Gleis, an dem mein Zug fuhr, kam ein ICE vorbei. Der dadurch entstandene Wind schlug mir meine langen Haare ins Gesicht. Ich fummelte sie mir wieder vom Mund, da die Hälfte wie immer an meiner Lippe kleben geblieben war.
Nach einer Bahnhofsdurchsage fuhr mein Zug ein. Es war total überfüllt und wie auch viele andere, fand ich keinen Sitzplatz. Eine halbe Stunde stand ich nun im Zug. Meine Reisetasche schnitt mir durch ihr Gewicht in die Schulter. Die Füße fingen an zu schmerzen. Die Klimaanlage funktionierte ebenfalls nicht, deshalb waren wir alle von einer erdrückenden Hitze umhüllt. Die nächste Station war ein Lichtblick, die Türen öffneten sich und sofort strömte frische Luft in den Zug. Ich konnte mir sogar einen Sitzplatz verschaffen. Eine ältere Frau, die mir nun gegenüber saß, lächelte mir zu. Ich lächelte zurück und schloss die Augen. So müde war ich um 12 Uhr noch nie gewesen.
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The Way Of Love
RomanceDie 16-jährige Luna Leyermann wohnt mit ihrer Mutter in der Großstadt. In ihrer Freizeit fahren beide immer in die Heimat, um Lunas Vater und ihre Halbschwester zu besuchen. Luna treibt sich nachts mit ihrer Schwester im Dorf rum und lernt dabei den...