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Mit einem aufgesetzten falschen Lächeln betrat ich die Schule. Schon am Eingang wurden mir viel sprechende Blicke zugeworfen und ich konnte mich nicht entsinnen, jemals etwas getan zu haben. Ich schluckte einmal. Zweimal. Sanft trugen mich meine innerlich zitternden Beine zu meinem Schließfach und ich presste mich dagegen, als könne es mir eine Art Schutz bieten. Durch eine Hand, welche neben meinem gesenkten Kopf auf das Schließfach gehämmert wurde, schreckte ich auf und mir entfloh ein leichtes ängstliches Keuchen. Manchmal fühlte ich mich so verletzlich. Ich tat alles, was in meiner Macht stand, um hier klar zu kommen, doch irgendwie schien das Schicksal anders mit mir verkehren zu wollen. Nun war ich hier gefangen, allein, zurückgelassen in dieser schadhaften Welt, die von Selbstjustiz voreilig zerfressen schien. Wer könnte sich ein Urteil erlauben, wenn wir alle doch nur auf Äußeres Acht geben, ohne nur auch vorher daran zu denken, dass es einer Person eventuellen Schaden zufügen könnte, würde man das Gesehnte aussprechen?

Der Klügere gibt nach, was aber sollen wir tun, wenn die Welt nur vor Dummheit triefte?

Erneut wanderte mein Speichel meine Kehle hinunter, verlieh meiner schon verängstigten Haltung etwas noch Erbärmlicheres. „Taehyung", sprach diese Stimme voller Stolz und Hochmut zu mir und ich kniff meine Augen zusammen. Seine Hand wanderte näher zu meinem Körper, ich fing an zu zittern. Bleib stark, wisperte ich in meinen Gedanken. Doch selbst nicht einmal ich schien auf mich zu hören. Lächerlich. „Taehyung!", rief er nun lauter und ich zuckte merklich zusammen, drehte mich langsam aber sicher um und blickte auf den dreckigen Boden. Schüler jeglicher Art huschten an uns vorbei, lachten oder stöhnten genervt auf, da sie ja schon wieder eine Arbeit schreiben würden. Doch niemand schenkte uns Beachtung, sie waren es schon gewöhnt...

Mein Gegenüber griff mein Kinn fest, drückte es harsch nach oben und ich konnte mir kein schmerzliches Geräusch verkneifen. „Gib mir dein Geld, ich hab meins vergessen", meinte er nur und musterte mich abschätzig. Immer dachten sie, sie wären besser als ich, höher gelegen. Auf ihrem hohen Ross schielten sich zu mir hinab und ich konnte nicht anders, als zu wünschen mit dem Erdboden Eins zu werden. Denn da gehörte ich ja anscheinend hin. Einen Wert scheine ich nicht zu besitzen, sonst würden sie mich nicht wie Dreck behandeln, mich so beschädigen. Langsam und mit Bedacht griff ich in meine Jackentasche, kramte das Geld heraus, welches ich mir für die nächsten Tage gespart hatte und lies es widerwillig in seine kühle Hand nieder, Das Klirren der Münz stücke ließ mich alles ausblenden, meine Umwelt verschwamm. Es könnte auch von den sich anbahnenden Tränen kommen, welche schon beinahe meine Wangen hinunter kullerten. Gezwungenermaßen hielt ich mein Schluchzen kurz, knapp und schmerzlos. Mein Gegenüber grinste, er schien endlich das bekommen zu haben, was er sich ja ach so sehnlichst wünschte. Mit einem letzten Schubs an meinen Spind zog er von dannen, hochnäsig den Kopf in die Luft gestreckt, als wäre er eine Art Herrscher und wir alle, vor allem aber auch ich, seine Untertanen. Ich seufzte einmal tief auf, entspannte sogleich alle meine Muskeln und plumpste mit dem Rücken an das kalte Metall. Wie lange würde ich es hier aushalten? Wie lange noch würde es dauern, bis ich endlich meine Erlösung fand? Wann würde es endlich aufhören?

Meine Gedanken kreisten um vieles, doch nicht das, vorüber ich mir eigentlich Gedanken machen sollte. Der Unterricht hatte schon vor Minuten begonnen und noch immer stand ich hier, an mein einziges Stück Privatsphäre, welches mir blieb, angelehnt. Jederzeit könnte jemand hier vorbei kommen und mich ermahnen, dann würde ich beim Rektor sitzen und dass war mir viel zu riskant. Es würde mich stören, auch nur einen Makel in meiner reinen weißen Akte vorzufinden. Ich war ein guter Schüler, hatte gute Noten und auch recht viele Interessen, weshalb es mir schwer fiel, meine begrenzte Zeit nur auf eine einzige Sache zu beschränken. Für vieles blieb einfach keine Zeit, so gern ich auch alles ausprobiert hätte. Am liebsten tanzte ich. Es half mir gewisse Gefühlseskapaden wie vorhin einfach hinter mir zu lassen und ein neues Ich zu entdecken. Einen neuen Taehyung. In einer komplett anderen Welt mit anderen Menschen, mit toleranten und lieben Menschen. Alleinig daran merkte man, dass ich dies mir alles nur erträumte. Irgendwann würde ich es allen zeigen, die mir hier Unrecht taten. Irgendwann schien mir jedoch noch eine ganze Weile entfernt, weshalb ich meinen Kopf schüttelte und den Gang entlang trottete, um mich nicht vollends zu blamieren, würde mich hier jemand erwischen. Meine Schritte hallten in den schmalen Gängen wieder und baldig befand ich mich vor meinem Klassenzimmer. Ein letztes Mal wischte ich mir über meine Augen, Tränen zeichneten meine Wangen schon lange nicht mehr, ich war viel zu stolz, um es zuzugeben. Salzige Spuren waren das Einzige, was an meinen vorherigen Ausbruch erinnerte, doch wer würde mir schon solch Beachtung schenken? Niemand. Also war ich auf der sicheren Seite zu behaupten, niemand würde sich für mich und meine Probleme interessieren. Ich öffnete die Tür und zu meiner Verwunderung stand kein Lehrer vorne und hielt eine wohlverdiente Predigt, nein. Es war still, alle schienen wie gefesselt darauf zu warten, dass erste Worte gesprochen wurden, doch es blieb still. Vor der Tafel stand ein Junge, braune bis schwarze, zerzauste Haare mit einem leichten Pony. Er hatte unsere Schuluniform an und schien beinahe in Selbstbewusstsein zu versinken. Mit leichtem Interesse betrachtete ich ihn still weiter, als ich mich auf meinen geschädigten und abgenutzten Platz setzte, ganz hinten, wo mich keiner auch nur ansehen konnte. Es war mir so viel lieber, keine ungewollte Aufmerksamkeit, die mir zukommen würde. Keine Schläge, Tritte, Sprüche oder schlimmeres, was wie ein Platzregen auf mich nieder nieseln würde.

Der Junge fing an zu sprechen, sein Name war Jungkook und er war ein Austauschschüler aus einem anderen Teil Südkoreas, von welchem ich noch nie zuvor gehört hatte. Und normalerweise war Heimatkunde ein Klacks für mich. Freundlich blickte er durch die Masse, seine Augen fixierten jedoch mich und ein breites, ehrliches Grinsen bildete sich auf seinen Lippen. Vorzüglich blickte er mir beim Sprechen in die Augen, so schien es zumindest, denn es war so, als würden meine tiefsten Geheimnisse mit einem Blick offen gelegt werden. Das Gefühl von Unsicherheit und Furcht durchzog meine Adern, als er seine ersten Schritte in meine Richtung machte. Ich schluckte schwer. Würde er sich hier hinsetzten, dann hätte er ein Problem. Sein Ruf wäre unmittelbar zerstört, auch wenn ihn alle so verträumt ansahen.

Ein Räuspern ließ mich aufschrecken und ich fuhr durch meine blonden Strähnen, welche dank des vorherigen Events an meiner von Schweiß durchtränkten Stirn klebten. „J-Ja?", meine Stimme zitterte und bebte, doch er lächelte nur gelassen. „Darf ich mich neben dich setzen?", war seine Frage und mein Herz blieb für einen kurzen Augenblick stehen. „was?", hauchte ich und blickte ihn mit fragenden Augen von unten aus an. „Tu es lieber nicht, Jungkook, der Junge wird dein Niveau nur runterziehen. Der ist es nicht wert, kostbare Zeit zu verschwenden.", ertönte es aus einer mir unbekannten Ecke, meine Gedanken kreisten nur um diese Worte und ich senkte meinen Kopf. „Ja genau! Taehyung ist so nutzlos! Glaub mir, wer den als Freund möchte, der ist ja total beschränkt", lachte ein weiterer und ich sank immer mehr in meinen Stuhl. „Der hatte ja noch nicht mal eine Freundin! Sieh doch, wie er da herumkauert, den will doch eh keiner haben!", kicherte jemand, dessen Namen ich mir nie so richtig einprägen konnte. Doch ich empfand es als nutzlos, als ich diese Worte hörte. Ich war ihnen egal, sie wollten mich nicht. Und wenn, dann nur für Geld, Hausaufgaben oder zum Vergnügen. Sie lachten alle, jeder einzelne von ihnen sah mich spöttisch an, beinahe schon hochnäsig thronten sie auf ihren Sitzplätzen und ich hasste jede Sekunde an Aufmerksamkeit, die extra nur mir galt. Ich hasste es. Ich wollte, dass sie aufhören...so sehr. Wieso tut denn niemand etwas dagegen? Tränen bahnten sich den Weg über meine Wangen, was tat ich falsch, um so etwas zu verdienen? Wahrscheinlich war ich nur ein Stück Dreck, welches einfach weggeworfen wird und dem keine Beachtung oder Liebe zukam. Eventuell war dies meine Lebensphilosophie. Eventuell war es mein Motto, mein Dasein. Eventuell hatten sie alle Recht und ich glaubte ihnen jedes Wort.

„Ha! Die Heulsuse fängt an zu weinen! Tae Tae, das Baby. Ich fang' mich nicht mehr!", und nun schallte es aus allen Richtungen und Sprüche flogen über meinen Kopf, die Stimmung wurde hektischer und lauter und unerträglicher. Wie erbärmlich. Wie lächerlich...und doch so wahr. Ich schluchze und möchte gerade aufstehen, als sich eine wärmende Hand sich auf meiner Schulter ablegte. Ein aufmunterndes Lächeln, welches nur mir zu gehören schien ließ mein Herz um einige Frequenzen schneller schlagen. Doch als er wegblickte triefte reines Gift aus ihnen heraus. Jungkook blickte finster und voller Hass durch die Menge, die er eben noch voller Freude beäugte. „Wie könnt ihr dem armen Jungen so etwas antun? Fühlt ihr euch nicht schlecht? Wisst ihr überhaupt, wie es ist, wenn man selbst so ein Mobbingopfer ist? Vielleicht solltet ihr euch mal in seine Lage versetzen, er kann bestimmt nichts dafür!", seine Stimme bleib trotz beben seines drohenden Untertones ruhig und bestimmt und es machte die Sache um Längen gruseliger, als sie es schon war. Einige fingen an sich zu räuspern, murmelten ein leises „'tschuldige", andere wiederum schnaubten nur verächtlich, drehten uns den Rücken zu, damit sie darüber lästern konnten. Und dann war da noch ich, der mit aufgerissenen Augen auf Jungkook starrte und versuchte etwas zu entdecken, eine Kleinigkeit, die ihn auffliegen lassen würde. Denn niemand hielt zu mir, niemand würde mich vor ihnen beschützen. Und erst recht würde sich niemand neben mich niederlassen mit einem einfachen und doch vielfältigen Lächeln. „w-wieso hast du das gemacht? Jetzt werden sie dich nicht mehr mögen..", murmelte ich und vergrub mein Gesicht in meine zitternden Hände. Einige Zeit blieb es ruhig. „Das interessiert mich nicht.", gab er zu und ich wagte es, einen Blick durch meine Finger zu riskieren. Doch alles was er tat war lächeln. Und das war genug. „Aber", fing ich an und wollte fortführen, doch er kam mir zuvor, nahm eine meiner kalten Hände in die seine und erwärmte nicht nur meine Haut, sondern auch mein Inneres. „Taehyung", er blickte mir ernst in die Augen, „Du bist nicht mehr allein".

Und das war alles, was er zu sagen brauchte. Das war alles, was ich gebraucht hatte, all diese Zeit, all diese Jahre über. Freudentränen huschten über meine Wangen und seit langem wieder lächelte ich ein echtes Lächeln, welches nur Jungkook galt. Und er sah mich an, vertraute Augen, ein sanftes braun. Vielleicht würde sich nun alles bessern. Nun, da Jungkook an meiner Seite war, konnte ich zufrieden in meine strahlende Zukunft hineinblicken und meine vermoderte Vergangenheit hinter mir lassen. Denn nun gab es jemanden, der mich akzeptierte, wie ich war und sich nichts aus den anderen machte, sich nicht abschrecken lies. Und ich war dankbar, so unendlich dankbar.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 22, 2017 ⏰

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