Minna trug immer diese kniehohen Stiefeln mit dem Dreck an den Spitzen und das lange rote Wollkleid mit dem Kragen, der ihren gesamten Hals bedeckte.
Ich hatte mir nie etwas dabei gedacht.
Sie war immer da, sah mich nie an. Und wenn sie es doch tat, sah sie mich nicht. Es war, als wäre ich nicht da.
Heute wollte ich wieder versuchen, sie anzusprechen. Ich hatte tausend Mal versucht, mich durchzuringen, doch ich konnte nicht.
Aber heute tat ich es.
"Hi", sagte ich nur. Sie hob nur kurz den Kopf, antwortete aber nicht.
Ich setzte mich auf meinen Platz. "Hast du heute genauso wenig Lust auf Mathe?" Ich wollte cool wirken, doch meine Stimme klang schüchtern und piepsig.
Sie sagte nichts, doch ich glaubte ein kleines Nicken gesehen zu haben. Vielleicht hatte ich heute Glück.
"Wir könnten Eis essen gehen, wenn du willst. Die Schularbeit ist eh erst in vier Wochen."
Sie lachte auf, warf ihre Haare zurück. Es klang wie eine helle Glocke, die nur für mich klingelte.
Doch das Lachen erreichte ihre Augen nicht.
Oh Minna, warum sah ich dich nicht? Warum sah ich den Schmerz, die Trauer nicht in deinem Blick?
Noch hatte ich Zeit etwas zu ändern.
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Die Sinne der Minna
PoetryMinna war immer nur da. Sie saß neben mir in der Schule, ging in den selben Sport. Und doch sah ich nicht, dass meine Sinne mich betrogen. Denn Minna war nicht immer da. Sie war fern in einer Welt, die nur sie sah, schmeckte, fühlte, roch und hört...