'Auszug'

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Wenn man so darüber nachdenkt, war ich während der Zeit in der Höhle fast wie ein Höhlenmensch geworden.
Ich hatte zu niemandem Kontakt, jagte Tiere im Wald um mich zu ernähren und bemalte die Höhlenwände mit der schwarz-grauen Asche, welche vom Feuer übrig blieb, um meine Zeit zu vertreiben.
Ich weiß es hört sich komisch an, doch das Malen war meine Leidenschaft. Mit den Bildern , welche ich malte, verband ich so vieles. Tausende Gefühle, tausende Gedanken, tausende Erinnerungen und tausende Stunden Arbeit steckten in diesen Bildern. Diese Bilder drückten so viel aus, erzählten ganze Geschichten. Wenn man sie genauer betrachtete konnte man vieles aus ihnen hinaus interpretieren. Man hätte einen Roman über ein einziges Bild schreiben können.

Genau diese Bilder würden mir fehlen. Aber das war auch das einzige an dieser Höhle, was mir jemals fehlen würde.
Ich packte langsam meine wenigen Habseligkeiten ein. Dazu gehörten eigentlich einzig und allein mein längst veralteter und doch treuer MP3-Player mit Kopfhörern, die noch den uralten Baldy-Phones ähnelten, ein Foto von meiner gesamten Familie und mir, eine Fotocollage mit all meinen Lieblings- und Urlaubsorten und meinen wenigen Essensvorräte, welche hauptsächlich aus Kräutern und getrocknetem Rehfleisch bestanden. Es schmeckte zwar nicht wirklich lecker, fand ich zumindest, aber es tat seinen Dienst. Um nicht zu verdursten ging ich täglich zu einem in der Nähe liegendem Fluss, welcher halbwegs sauberes Wasser hatte.

Nach dem ich mein bescheidenes 'Reich' ausgeräumt hatte, betrachtete ich noch ein Mal meine Bilder. Ich hatte Tränen in den Augen, als  ich die Motive einiger Bilder erblickte und ich ließ sie laufen.
Es würde das letzte Mal sein, dass ich weinte, denn ich wollte nicht für ewig in der Vergangenheit stecken bleiben.
Ich sollte nach vorne gucken und das beste aus der Situation machen. Naja, dass war leichter gesagt, als getan, doch ich wollte es wenigstens versuchen.
Noch ein Mal wollte ich Lächeln können, noch ein Mal mein eigenes Lachen hören, welches so sehr dem meiner Mutter ähnelte.

Ich guckte noch ein Mal, ob ich alles hatte, was nun wirklich nicht schwer war, und verließ mit einem letzten Blick die Höhle, welche ich so viele Jahre mein Zuhause nennen konnte. Ich würde sie nicht vergessen können, dafür würde ich sie aber auch nicht vermissen.
Im Schutz der Dunkelheit und der Bäume ging ich los. Ich hielt mich vom Waldrand fern, da sich nachts noch ein paar späte Jäger aufhielten. Sie selber nannten es ja lieber 'Essensbeschaffung mit Waffen' aber wo ist da der Unterschied? Mord ist Mord und Tot ist Tot. Egal ob man sie jetzt Jäger nannte oder nicht. Ich selber jagte ja auch, zumindest in der Zeit, welche ich in der Höhle wohnte. Hier im Wald gilt das Prinzip: Fressen oder gefressen werden.

Meine Habseligkeiten unter den Arm geklemmt, schlich ich weiter über das Unterholz. Die Stille um mich herum gab mir einen gewissen Schutz, eine Gewissheit, das ich alleine war, mich niemand beobachtete. Ich hatte keine Angst vor ihr, so wie einige Menschen, die sich nicht weiter als zwei Meter in den Wald hinein trauten.
Meine roten Augen suchten die Umgebung mit stechendem Blick nach irgendetwas ab, was meine Ohren überhört haben könnten, doch da war nichts. Es war still, dunkel und einsam.

Ich lief noch lange weiter, bis die Bäume weiter auseinander standen und ich meine Flügel ausbreiten konnte. Der Wind strich um sie, umhüllte jede noch so kleinste Feder. Das Gefühl von Freiheit durchströmte mich, als wäre es flüssiges Magma. Es war heiß und doch ließ es mich erschaudern. Schon lange hatte ich meine Flügel nicht mehr ausbreiten können und sie waren stets zusammengeklappt auf meinem Rücken geblieben. Es war ein atemberaubendes Gefühl es wieder zu können.
Leicht stieß ich mich vom Boden ab und schwang mich in die Lüfte. Mit kalten Fingern griff der Wind nach mir und die Luftströme erfassten meine Schwingen. Ganz langsam stieg ich immer mehr an und schlug kräftig mit meinen Flügeln. Meine Knochen knackten und gewöhnten sich nach einiger Zeit wieder an die Bewegungen.
Es war ungewohnt wieder zu fliegen.
Fliegen bedeutete Freiheit, welche ich lange Zeit nicht hatte. Naja, so ganz stimmt das nicht. Mein Körper war frei, besaß dir Freiheit, doch mein Herz nicht. Es war eingesperrt in einem dunklen Käfig, von einer dicken Eisschicht überzogen.
Der Käfig war gebrochen worden, doch die Eisschicht konnte ich nicht schmelzen, zumindest nicht alleine.
Sie würde nur durch Glück und Liebe wieder schmelzen.
Durch Liebe zu und von anderen Personen.

Während ich über dies all dies nachdachte flog ich langsam nach oben. Dort erwartete mich eine fluffige, riesige Wolke, welche aussah wie Zuckerwatte. Ich flog in die Wolke hinein, wobei sich kleine Wassertropfen auf meinen Klamotten, meinen Haaren und meinen Flügeln absetzten. Im Mondschein glitzerten sie und es war atemberaubend.
Die Tropfen spiegelten das reine Mondlicht wieder, welches sich in ihnen brach.
Es sah wunderschön aus.
Solch eine Reinheit sah man selten.

Während sich immer mehr Tropfen auf meinen Körper setzten, sah ich schon vom weiten eine Burg. Sie war riesig und unbeschreiblich schön. Meine Augen suchten nach irgendwelchen Personen, die noch draußen rumlaufen könnten, fanden jedoch keine. In einigen Zimmern brannte noch Licht, welches jedoch innerhalb Sekunden ausging.
Meine Flügel bereiteten sich auf einen Sturzflug vor und schon kurz darauf stürzte ich auf die Erde zu. Immer näher und näher kam mein Körper dem Boden und doch breitete ich meine Flügel noch nicht aus. Die Luft zischte an mir vorbei und ließ meine Haare um meinen Kopf herum peitschen.

Noch 6 Meter...

Noch 5 Meter...

Noch 4 Meter...

Noch 3 Meter...

Noch 2 Meter über dem Boden breitete ich meine Schwingen aus. Nur einen Meter noch und man hätte mich vom Boden kratzen können.
Ich ließ meinen Arm sinken und berührte die leicht feuchte Erde. Immer langsamer und langsamer flog ich über sie und schließlich landete ich.

'Willkommen an dem Mythical-Internat' stand dort mi geschwungener Schrift über dem imposanten Eingangstor. Ich schritt drauf zu und drückte es schwerfällig auf. Auch wenn ich stark war, konnte ich es nur schwer öffnen. Es war schließlich ein elektronisches Tor und wurde normalerweise nicht von Hand geöffnet.
Als es soweit offen war, dass ich durch passte, ließ ich eines meiner Beine vorschnellen und trat nun auf unbekanntes Terrain.

Und genau in dem Moment ging der Alarm los...

Erst Leben, dann Tod und wie geht es weiter?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt