A Letter

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So let me go
I don't wanna be your hero
('Hero' – Family Of The Year)

Der Tag der Beerdigung war schnell gekommen. Mario hatte fast alles allein geregelt. Er hatte mir bloß immer wieder Fragen zur Gestaltung der Bestattung gestellt. Um ehrlich zu sein, hatte ich nicht besonders auf seine Fragen geachtet. Immer nur okay und 'Das schnellste geht in Ordnung' waren meine Standartantworten gewesen. Mario hatte mir alles durchgehen lassen. Ich konnte nicht klar sagen, wie ich den Tag und die Nacht überstanden hatte. Irgendwie war alles einfach so an mir vorbei gegangen. Es war ja nicht so, dass ich Mario alles planen lassen wollte, im Gegenteil, aber es war so schwer zu funktionieren. Manchmal sogar unmöglich. Es war etwas armselig, ja, doch das zu wissen, machte mich nicht weniger unfähig.

Bald war es soweit, wir würden ihn unter die Erde bringen. Wo ich war? In der Kirche, allein. In der Hand ein Stück Papier. Mario hatte es aufbewahrt, nachdem ich es in meiner Wohnung fallen gelassen hatte. Der Brief mit meinem Namen drauf, der hinter Mum's Bild gesteckt hatte. Ob ich ihn lesen wollte, den Abschiedsbrief meines Vaters? Keine Ahnung. Ich wusste doch eh schon, was er von mir gehalten hatte. Doch dann dachte ich daran, wie sehr ich mir gewünscht hätte, so etwas von meiner Mum zu bekommen. Etwas von ihr, das mich erinnerte, dass sie an mich gedacht hatte, bevor sie starb. Und selbst wenn es nur hasserfüllte Gedanken sein sollten, dann hatte er immerhin an mich gedacht, nicht wahr?

Mit zitternden Fingen faltete ich den Brief also auf, war kurz überrascht darüber, wie lang er wirklich war. Und dann verlor ich mich in den Worten. Seine Worte waren alles, was ich noch sah.

Liebste Isabella,

Wenn du das hier liest, bin ich schon nicht mehr da.
Ich bin mir sicher, dass du unglaublich wütend auf mich sein musst.
Dass du mich hasst. Und das ist okay, das habe ich verdient.
Aber es gibt so Vieles, was ich dir sagen muss, was ich dir vorher nicht sagen konnte.
Auch wenn ich nicht das Recht besitze, dich um etwas zu bitten, doch hoffe ich, dass du diesen Brief zu ende liest und ihn dir zu Herzen nimmst.
Ich weiß, dass ich dir kein guter Vater war und das werde ich auch nicht mit diesem Brief versuchen zu sein. Dafür habe ich dir einfach zu sehr wehgetan. Ich werde nie wieder gut oder rückgängig machen können, wie ich dich behandelt habe. All den Kummer, den ich dir bereitet habe.
Das Einzige, was ich tun kann, ist, dir die Erklärungen zu geben, die du verdient hast.

Vielleicht wird es dir helfen loszulassen, ich hoffe so sehr, dass es das wird. Dass du endlich einsiehst, es war nicht deine Schuld, dass ich nicht mehr glücklich geworden bin.
Menschen sind für ihr eigenes Glück verantwortlich und wer nichts dafür tut, um glücklich zu werden, ist selbst schuld. Merk dir das, mein Kleines.

Ich habe nie den Augenblick vergessen, als ich dich zum ersten Mal im Arm gehalten habe. Es war das schönste Gefühl überhaupt. Es ist wahr, was man über das Vatersein sagt; sobald man sein Kind zum ersten Mal in den Armen hält, liebt man es und kein Gefühl ist stärker als das.

Isabella, mein Kind, du musst wissen, dass das Gefühl nie verloren gegangen ist. Ich habe nie aufgehört dich zu lieben. Das musst du mir einfach glauben, ich weiß, dass ich es dir so schwer gemacht habe und diese Worte seit Jahren nicht mehr ausgesprochen habe. Denn leider heißt Liebe nicht, dass man automatisch deswegen die richtigen Entscheidungen trifft und ich habe alles falsch gemacht, was man als Vater falsch machen kann. Das werde ich mir nie verzeihen.

Ich habe deine Mutter so sehr geliebt, dass ich nie geschafft habe, es in Worte zu fassen. Und auch heute kann ich nur sagen, dass der Schmerz über ihren Tod einfach unerträglich war. Es war als hätte sie all meine guten Seiten und meine Lebensfreude mit sich ins Grab genommen und mir blieb nur mein Schmerz und der Hass auf diese Welt, die uns deine Mutter so gnadenlos entrissen hat.

Maybe tomorrow (Mario Götze)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt