Der Jumiravogel

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"Ich frag mich wo die anderen bleiben, nicht, dass sie unser Treffen heute vergessen haben." flüsterte Ralf neben mir. "Oder Schiss bekommen haben." flüsterte ich lächelnd zurück. "Von wegen!" ertönte eine Stimme hinter uns. Diese raue, sich im Stimmbruch befindende Stimme konnte nur Tom gehören. Ich drehte mich um und blickte in seine empörten Augen. Ralf drehte sich ebenfalls um und sagte: "Schön, dass du dich auch mal blicken lässt. Treffen war um acht und nicht um zehn nach." Tim verdrehte genervt die Augen." Kommt Caro auch noch?" Fragte ich. "Ja, sie und die Freundin von der sie euch schon erzählt hat, sie müssten jeden Moment da sein." Ich nickte und hoffte zugleich, dass Caro's Freundin kein so ein Mädchen-Mädchen ist. "Da sind wir!" rief die helle Stimme von Caro. Caro, ein Mädchen mit vollem, braunen Haar und lustig funkelnde Augen kletterte durch das Loch im Zaun. Hinter ihr war ein weiteres braun haariges Mädchen. Sie hatte die Haare zu einem lockeren Dutt gedreht, wobei unzählige kleine Haare zu allen Seiten abstanden. "Ich denke mal ihr kennt Leo." Sagte Caro. Nein, dachte ich. Nein, nein, nein. Bitte nicht das Mädchen, dass hinter mir im Geschichtsunterricht sitzt und irgendwelche Geschichten schreibt. Es ist nicht so, dass ich sie nicht mag, aber ich glaube einfach nicht, dass dieses schüchterne Mädchen für das was wir vorhaben, geeignet ist. Jemand mutiges wie Caro ist gut, aber nicht so jemand, der die Klappe nicht aufkriegt. Aber ich konnte nicht viel dagegen machen, jetzt war sie da. "Dann kommt." Sagte ich und schnappte mir meinen Rucksack.

Die anderen folgen mir, als ich auf das graue Gebäude zu ging. Am Eingang des alten Schwimmbades blieb ich stehen. Ralf zog seine Taschenlampe raus und ging an mir vorbei durch die aufgebrochene Tür. Wir knipsten ebenfalls unsere Lampen an und folgten ihm. Es war ein Schwimmbad wie jedes andere, doch das fahle Licht des Mondes und unsere Taschenlampen ließen es gruselig und einengend wirken. Vor einem Jahr hatte hier der Blitz eingeschlagen und seitdem war das Schwimmbad außer Betrieb. Da es in einem Monat abgerissen werden sollte, hatten wir beschlossen es uns vorher noch einmal anzusehen. Und da es im Dunklen viel lustiger war als im Hellen wollten wir hier übernachten. "Hey, wie findet ihr die Stelle?" rief Tom und seine Worte hallten gespenstisch nach. Ich drehte mich zu Tom um und sah ihn mit den beiden Mädchen vor dem Babybecken stehen. Es bot Schutz aufgrund einer kleinen Mauer und war groß genug für fünf Isomatten. Ich nickte und wir machten uns daran unsere Schlafsäcke aus den Rucksäcken zu holen. Dann kam Ralf. Ich brauchte nicht aufschauen um zu wissen, dass er uns anblickte, als wären wir verrückt geworden: "Ich Penn doch nicht im Babybecken!" Ja, das war typisch Ralf. Wir ignorierten ihn. "Jona, du willst doch wohl nicht ernsthaft da schlafen?" Blaffte mich Ralf an. Ich blinzelte gegen das Licht seiner Lampe und sagte: "Wieso nicht? Irgendwo müssen wir ja schlafen." Ralf hob empört die Arme und meinte: Aber, aber doch nicht da! Ralf meckerte noch ein wenig, aber schließlich legte er seine Isomatte neben meine. Als unser Nachtlager fertig war, zog Tom eine Brotdose raus und offenbarte uns dessen Inhalt. Fünf-Käsebrote und ein paar Kekse. Alle nahmen sich einen Keks. Als ich meinen Keks aufgegessen hatte fragte ich: "Wollen wir jetzt los?" Tom wischte sich noch die Krümel vom Mund und nickte. Wir wollten gerade zu unserer Erkundungstour aufbrechen als wir draußen ein lautes Knarzen hörten. Dieses Geräusch ertönte nur, wenn man die Holzplatte vor dem Loch im Zaun wegschob. Sofort verstummten wir. "Licht aus!" raunte uns Ralf zu und im Schwimmbad wurde es dunkel. Wir starten, angespannt über die kleine Mauer auf den hellen Eingang. Dann erschien dort eine massige Gestalt und bevor ich reagieren konnte erfasste uns der Lichtkegel seiner Lampe. "Das ist unser Platz! Verschwindet!" Ralf machte seine Taschenlampe ebenfalls an und nun konnte ich zwei weitere Personen hinter der Ersten erkennen und leider erkannte ich auch wer sie waren. Mitchell Orlands und seine Bande. Wie immer trug er eine Lederjacke mit Nieten, ein Totenkopf-shirt, schwarze Hose und Fußballschuhe. Seine Schuhe waren, auf meiner Schule, bekannt. Angeblich hatte er sie mit Stahlkappen aufgebessert und scharfe Sporen, wie bei einem Cowboy daran befestigt. Bevor ich Ralf daran hindern konnte rief er: Euer Platz? Wir waren zuerst hier! Mein Herz sackte in die Hose. Klar, Ralf konnte nicht wissen, wer Mitchel war, schließlich ging er nicht auf meine Schule, leider wusste ich es umso besser. Mitchel kniff die Augen zusammen und musterte uns. Er versuchte einzuschätzen ob er sich mit uns anlegen konnte. Ich hatte diesen Blick schon einmal gesehen und war daraufhin blau geschlagen nach Hause gekommen. Ich überlegte gerade, ob das vielleicht sein geheimes Drogenversteck war, denn laut Gerüchten, sollte er Cannabis abhängig sein, als sein Blick auf mich fiel. Sein Mund verzerrte sich zu einem grausamen Lächeln. Jona! Wie schön dich wiederzusehen, hast du deine Lektion etwa noch nicht gelernt? Ich war zehn, als er mich verprügelt hatte, jetzt war ich sechzehn und wir waren zu fünft, auch wenn ich nicht auf die Mädchen zählte. Mitchel! Willst du es wirklich auf ein fünf gegen drei anlegen? Drei gegen drei meinst du wohl. Die Mädchen zählen für mich nicht. Erwiderte er ruhig. In diesem Moment sprang Leo auf. Ich schaute sie verblüfft an. Wir zählen nicht? rief sie empört aus. Oh ich glaube, dass wir sehr wohl zählen. Und wenn ihr nicht gleich verschwindet rufe ich meinen Jumiravogel! Ich verstand nur Bahnhof. Jumiravogel? Mitchel sprach meinen Gedanken, laut lachend, aus: Jummi-vogel? Ha, dass du einen Vogel hast, glaub ich dir sofort. Einen recht großen sogar, der dir im Kopf rumzwitschert. Er schlug sich vor Lachen aufs Knie und seine Kumpanen fielen in sein Lachen ein. Leo richtete sich gerade auf und ihre Stimme klang plötzlich wie, von weit weg. Dunkel und kalt, mit einem leichten Echo im Hintergrund. Augenblicklich wurde es irgendwie kälter und ein Schauer lief mir über den Rücken. Was zum Himmel war hier los? Der Jumiravogel, ist eines meiner Selbstgezüchteten Wesen. Er hat blutrotes Gefieder, und Krallen, so scharf wie Messer. Einen sichelförmigen Schnabel und schwarze Augen. Er tötet ohne Grund und nimmt das Blut seiner Opfer in sich auf. Je blutrünstiger er ist, desto mehr schwarze Federn sitzen auf seinem Kopf. Er ist die Brut von Phönix und Tod. Alles in Allem ein Meisterwerk und natürlich hört er nur auf Mich. Bei den letzten Worten lächelte sie kalt. Mitchel brauchte einige Sekunden um sich aus seiner Starre zu befreien. Er lachte gekünzelt, doch Ich bemerkte, dass er nicht mehr so sicher war. Plötzlich ertönte ein gellender Pfiff und ich fuhr vor Schreck zusammen. Es brauchte eine Weile bis ich verstand, dass Leo gepfiffen hatte. Es folgte eine eisige Stille. Niemand wagte es auch nur einen Finger zu rühren. Gerade als mein Gehirn mich daran erinnerte zu atmen, erklang ein heiserer Schrei, der sich anhörte, wie der Ruf eines Sterbenden. Mitchels Freunde kreischten auf und starrten wie gebannt in den Himmel. Dann nahmen sie die Beine in die Hand und rannten um ihr Leben. Der Zaun klapperte und noch während Mitchel ihnen unschlüssig nachschaute. Erschien ein riesiger Vogel in der Öffnung der Tür. Er war mindestens so groß wie ein Adler, die Flügel weit ausgebreitet und die silberglänzenden Klauen zum Zugreifen geöffnet. Das Gefieder rot wie Blut und drei schwarze Federn auf dem Kopf. Mitchel schrie. Der Vogel flog in die Halle hinein und Mitchel bückte sich unter ihm hinweg, dann rannte er wie ein Verrückter den Anderen hinterher. Während ich noch Mitchel nachschaute war der Vogel auf Leos Arm gelandet. Immer noch geschockt, beleuchtete ich den Vogel, zitternd mit meiner Taschenlampe und konnte meinen Augen nicht trauen. Auf Leos Arm saß ein kleiner Falke. Sie kraulte ihm die Ohren und er knabberte vorsichtig an ihrem Ärmel. Was? stammelt ich. Leo lachte: Was so eine kleine Grusel-geschichte alles bewirken kann, nicht wahr? Die Anderen lachten auf, aber ich konnte das Alles noch nicht recht glauben. Ich hatte den roten Vogel doch mit eigenen Augen gesehen! Leo begann zu erklären, dass ihre Eltern eine Vogelzucht haben und, dass das ihr eigener Falke Fiona sei. Ich versuchte mir einzureden, dass es tatsächlich nur Einbildung war und lachte gezwungen mit den Anderen mit. Doch nach diesem aufregenden Ereignis hatten wir alle keine Lust mehr im Schwimmbad zu übernachten und gingen nach Hause.

Am nächsten Morgen fiel mir, beim Ausräumen meiner Tasche auf, dass ich irgendwie Leos Schlafanzug eingesteckt hatte. Wohl oder übel, musste ich ihn ihr zurückbringen. Ich suchte ihre Adresse raus und machte mich auf dem Weg. An der Tür empfing mich eine Junge, blonde Frau. Ich wollte, Leo etwas zurückbringen, dass ich versehentlich eingesteckt haben. Sagte ich und sie winkte mich herein. Leo ist hinten im Garten, bei den Vögeln. Sagte die Frau und brachte mich dorthin. Leo stand mit dem Rücken zu mir und hielt einen Falken auf dem Arm. Dein Schlafanzug! sagte ich kurz und legte ihn auf einen Tisch neben mir. Danke sagte Leo und drehte sich zu mir um. Ich lächelte sie an und hob die Hand zum Abschied. Gerade als ich ihr den Rücken zuwendete und gehen wollte durchfuhr mich ein Blitzgedanke. Schnell drehte ich mich noch einmal um und schnappte nach Luft. Da war er! Auf Leos Arm saß ein riesiger, rotgefiederter Vogel mit tiefschwarzen Augen. Einen Moment später saß dort aber wieder der kleine Falke. Leo blickte Mich lächelnd an. Sie schien zu wissen, was ich gerade gesehen hatte und sagte geheimnisvoll: Die Welt ist Magischer als du denkst!

Der Jumiravogel-Eine KurzgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt