3. Hochzeit

1.8K 106 103
                                    

ZÜMRA

„Ich werde warten bis du einschläfst", sagte Bilal nachdem wir bei uns im Haus ankamen. Kurz nickte ich, verschwand alleine in meinem Zimmer, um mir meine Schlafsachen anzuziehen. Ich war nur dankbar, dass wir das Nachtgebet während der Halbzeit des Spieles alle gemeinsam gebetet hatten.
„Du kannst gerne hier schlafen", bat ich ihm an, während ich meine Tür öffnete, und ihn somit ins Zimmer bat. Er schüttelte lächelnd den Kopf, während er mit langsamen Schritten reinlief. War ja nur einmal quer über den Balkon zu ihm. Da war das Angebot eigentlich schon überflüssig.

„Qurban (Schatz)?", sprach ich meinen Milchbruder nach einigen Minuten an und bekam sofort seinen weichen Blick zu spüren. „Ja dilêmin (Mein Herz)?", fragte er und ich musste kurz grinsen. „Singst du mir was vor?", bat ich ihn und bereute es gleichzeitig wieder. Er hasste es zu singen, obwohl seine Stimme so wunderschön war. Kurz nickte er und nahm – nachdem er sich seine Jacke ausgezogen hatte – auf meinem Doppelbett auf der linken Seite, also auf der Seite auf der ich nie schlief, Platz.

„Ji bîra min nacî (Ich kann es nicht vergessen)?", erkundigte sich Bilal, nachdem ich mich unter die Decke gelegt hatte und nach einem kurzen Nicken meinerseits fing er an das Lied von Ibrahim Rojhilat zu singen, was ich so sehr liebte.
Warum auch immer beruhigten mich kurdische Lieder mehr als türkische.
Nebenher strich Bilal über meine Haare, was dazu führte, dass meine Atmung immer flacher wurde und ich kurz davor war in den Schlaf zu fallen. Kurz bevor ich einnickte, schwirrte mir eine Frage in meinem Kopf, die ich nicht unbeantwortet lassen wollte.

„Bilal... Denkst du ich begegne ihm irgendwann wieder?", hörte ich meine schläfrige Stimme und versuchte durch meine fast geschlossenen Augen zu meinem Bruder zu sehen. „Vielleicht... Wenn es in deinem Schicksal geschrieben steht, ist die Welt so klein und du begegnest Mevlüt zu einer total unerwarteten Zeit", nahm ich seine Stimme wahr, bevor sich meine Augen endgültig für den heutigen Tag schlossen und ich in einen traumlosen Schlaf fiel.

„Guten Morgen, Anne", lächelte ich als ich die Küche am nächsten Morgen betrat. Meine Mutter war dabei den Tee für unser Frühstück zu kochen, weswegen ich mich an einen der Schränke machte um Geschirr rauszuholen. „Guten Morgen, Kuzum. Deck doch bitte für acht Leute, deine Schwester und Hatice'ler kommen auch", bat sie mich, weswegen ich nach mehr Tellern griff. „Dann essen wir drinnen im Esszimmer oder?", erkundigte ich mich und ließ einen flüchtigen Blick zum kleinen Esstisch in der Küche gleiten, woraufhin sie nur stumm nickte.
Mit acht Tellern und Besteck für genauso viele lief ich die kurze Strecke von der Küche ins Esszimmer und fing an den Tisch zu decken.

Eine halbe Stunde später war die Familie vollständig und wir fingen an gemeinsam zu frühstücken. Meine Mutter hatte – wie immer – bei den Vorbereitungen ein wenig übertrieben. Wie immer hatte sie viel zu viel zubereitet, deutlich mehr, als wir essen konnten. Und dennoch lernte sie nie aus diesem Fehler.
Die Atmosphäre am Esstisch war mehr als nur angenehm und ich wunderte mich wieder einmal, wie nah wir zu einer Familie stehen konnten, die keinerlei Verwandtschaft – abgesehen von der Ehe zwischen meiner Schwester und Ismail Abi – zu uns hatte.
Im Vergleich dazu war das Verhältnis meiner Eltern zu ihren eigenen Geschwistern nicht sonderlich gut. Die Geschwister meines Vaters sahen wir seit einigen Jahren – vor allem nach dem Tod meiner Großeltern – kaum noch. Wenn es hochkam vier Mal im Jahr, wobei zwei davon die beiden religiösen Feste im Islam waren und wo es Gang und Gäbe war, dass sich die Familie unter sich versammelte.

Die Geschwister meiner Mutter dagegen konnten wir nicht so oft sehen, da sie in Österreich lebten. Ihre Familie war nach der Ehe meiner Eltern umgezogen und so war sie als einziges Familienmitglied in Deutschland dageblieben. Sie telefonierte zwar täglich mit ihren Geschwistern, und doch war das Verhältnis brüchig.
Ich wusste, dass ihre besten Freundinnen – meine Milchmütter – ihr öfter beistanden, als jemand anderes es jemals könnte.

Fels in der BrandungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt