8. Sizilien

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AZAD

"Gott kann hart sein, doch nie härter, als der Betroffene ertragen kann."

Paulo Coelho - Der fünfte Berg

In meinen vier Wänden angekommen, packte ich einige Sachen für meinen Urlaub, sammelte alle nötigen Unterlagen zusammen und stieg anschließend zur Erholung in die Dusche.

Mit einem Handtuch um meine Hüften lief ich aus dem Bad raus, als es plötzlich an meiner Tür klopfte und ich sie seufzend öffnete.

Welcher Nachbar es wohl dieses Mal war?

Ein verunstalteter Mevlüt war aber alles andere als meine Erwartung. Ich zog ihn rein, begutachtete seine Wunden, indem ich sein Kinn leicht umfasste und es leicht nach rechts und links bewegte, und schob ihn Richtung Wohnzimmer. „Ich ziehe mich kurz an und komme sofort Bruder", ließ ich ihn wissen und sprintete in mein Zimmer.

„Was ist passiert?", fragte ich Mevlüt, während ich seine aufgeplatzte Augenbraue desinfizierte. Kurz zog er scharf Luft ein und entspannte sich im nächsten Moment wieder, als sein Körper sich an den Schmerz gewöhnte. „Hat dir Okan von der Sache mit Kübra erzählt?", fragte er und lehnte sich in dem Sofa zurück. Nach einem Nicken meinerseits fuhr er fort. Im Prinzip war die Frage überflüssig, weil Okan mir immer alles erzählte.

„Ihre Cousins haben das anscheinend mitbekommen und haben mich eben in der Stadt erwischt und zugerichtet", lächelte er traurig und blickte gegen die gegenüberliegende Wand. „Woher hätte ich wissen können, dass der eine Cousin plante sie zu heiraten", flüsterte er und sah mich verzweifelt an. „So läuft das bei denen ab, Bruder. Kübras Schwester hat auch ihren Cousin geheiratet", erklärte ich ihm und legte ihm meine Hand auf das Knie.

„Verfickte Kacke", hörte ich ihn verzweifelt sagen und musste kurz lachen. „Sei froh, dass du das erfahren hast, bevor ihr irgendwas am Laufen hattet", gab ich meine Meinung dazu ab und lächelte ihn ermutigend an. „Ja, da hast du wohl recht. So war es nur eine kurze Schwärmerei. Ich weiß nicht was ich gemacht hätte, wenn ich sie wirklich lieben würde", sein Blick wanderte aus dem Fenster und er schaute in die Ferne.

„Naja, ich lass dich dann mal in Ruhe. Ich muss morgen früh aus dem Haus. Meine Mutter schiebt schon Stress, weil ich nicht direkt nach der Klausur nach Hause gefahren bin", unterbrach er die Stille, die herrschte, während wir beide aus dem Fenster starrten. „Wie willst du ihr dein Gesicht erklären?", fragte ich vorsichtig und ließ meine Blicke über sein Gesicht wandern, was mit roten Flecken übersät war.

Mevlüts Mutter war ohnehin überfürsorglich, ich konnte mir nicht ausmalen, wie verzweifelt sie über den Zustand ihres Sohnes wäre.

„Wahrscheinlich mit der Wahrheit. Sie würde sonst keine Ruhe geben", zuckte er mit den Schultern und intensivierte seinen Blick. „Und was hast du noch vor?", fragte er mit einem ernsten Blick. „Ich gehe dann auch langsam schlafen. Fliege morgen weg", erklärte ich meinem Freund und er nickte nur wissend. „Hat uns Okan schon erzählt. Sizilien. Die Hauptstadt Palermo oder? Ich hoffe du erholst dich Bruder", lächelte er und stand mit langsamen Bewegungen auf. „Ja genau, das hoffe ich auch für dich Mevo. Frankfurt soll dir guttun", lächelte ich ihn ebenfalls an und umarmte ihn zum Abschied.

Nachdem ich Mevlüt verabschiedete, lief ich in mein Zimmer um mich schlafen zu legen. Doch dem sollte nicht so sein, denn mein Handy fing an zu klingen, sodass ich Okans Anruf entgegennahm.

„Was gibt's?", sprach ich in den Hörer und setzte mich aus Respekt vor ihm auf - so als könnte er mich sehen. „Kann ich bei dir pennen? Bevor ich einen Entzug haben werde, habe ich deine nervige Art nötig", gab er nach kurzem Zögern von sich und brachte mich zum Schmunzeln. Mit schnellen Schritten bewegte ich mich zu meiner Sprechanlage und drückte den Kopf, um die Tür zu öffnen. „Woher wusstest du, dass ich hier stehe", hörte ich seine überraschte Stimme. „Meslek sırrı (Berufsgeheimnis)", grinste ich vor mich hin und lehnte mich an den Rahmen der Tür, um ihn gleich willkommen zu heißen.

Fels in der BrandungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt