"Gaël! Nein, nein, nein und nochmals; NEIN!", schreit Mrs Nichol.
Ich laufe an den Rand des Eisfeldes, wo mich meine Trainerin ungeduldig erwartet.
Sie streicht sich die blonden Haare hinters Ohr, presst ihre Lippen aufeinander und schüttelt den Kopf durchgehend.
"Gaël, was ist los mit dir.. Du bist jetzt schon die ganze Saison so richtig unkonzentriert. Ich dachte, dass du auf dem Eis alle Sorgen vergessen kannst."
Betreten senke ich den Blick. "Ich.. Es tut mir leid Lori."
In einem jetzt etwas versöhnlicherem Ton antwortet sie mir: "Liegt es an der Musik? Am Programm? Soll ich dir etwas neuen zusammen stellen?""Ich kann mich in letzter Zeit nicht konzentrieren.. Das ist alles."
"Du bist seit einem Jahr nicht mehr konzentriert Gaël.", seufzt sie. "Geh für heute Nachhause und ruh dich aus. Morgen will ich dich jedoch wie immer, pünktlich auf dem Eis sehen!"Ich kann Gaël nicht mehr zusehen. Seit einem geschlagenen Jahr versuche ich, ihn wieder auf den rechten Weg zu bringen, doch nichts hilft. Wenn das so weiter geht, werde ich als seine Trainerin zurücktreten. Es wären noch genügend Bewerbungen - für neue Schützlinge - Zuhause auf meinem Schreibtisch.
Er kommt mit seiner Sporttasche aus der Umkleidekabine und wünscht mir noch einen schönen Abend. Ich schaue ihm hinterher und grüble weiter darüber nach, wie ich ihn wieder motivieren kann.
Plötzlich klingelt mein Handy und ich nehme den Anruf abwesend entgegen."Lori, Gott sei Dank! Ich hatte schon Angst, dass ich dich nicht erreichen werde..", wie immer.. Meine Schwester, total hysterisch.
Genervt antworte ich ihr: "Ja Lydia, wer soll denn sonst Zugang zu meinem Handy haben?"
Ohne auf mich einzugehen plappert sie weiter und nach einer langen Diskussion gebe ich mich geschlagen. Ich werde ihr diese Bitte erfüllen.
Ich öffne die Tür und ziehe leise meine Schuhe aus. Mit ein wenig Glück würde mich meine Mutter nicht hören und ich kann mich direkt in mein Zimmer verkriechen. Auf Zehenspitzen versuche ich jetzt, am Wohnzimmer vorbei zu gehen.
"Gaël, bist du das?"
Mist, wie konnte sie mich trotzdem hören?
"Ja, ich bin's Mom.. Lori hat mich heute ein bisschen früher Nachhause geschickt."
Ich höre, wie sie aufsteht und ein paar Sekunden später erscheint sie im Wohnzimmereingang. "Warst du wieder nicht konzentriert?" In ihrer Stimme schwingt Sorge mit. Kein Stück vorwurfsvoll, wider meines Erwartens.
Trotzdem werde ich wütend. "Und wenn schon, kann ich halt nicht ändern. Lass mich doch in Ruhe!", schnauze ich sie an.Geschockt sieht mich meine Mutter an. Sie ist verletzt, das sehe ich in ihren Augen. Ein paar Tränen wollen sich einen Weg über mein Gesicht bahnen - ich drehe mich weg - bevor sie etwas merkt und stürme die Treppe hoch.. Direkt in mein Zimmer und dann lass ich die Tür knallen. Nun laufen die Tränen - wie zwei kleine Wasserfälle - über mein Gesicht. Ich werfe mich aufs Bett und vergrabe mein Gesicht in Tobi's Fell.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, versiegen meine Tränen und ich setze mich - mit Tobi im Arm - in den Schneidersitz. Morgen war der letzte Tag der Ferien und ich hatte mir vorgenommen, wieder besser zu werden im Eiskunstlauf.Satz mit X war wohl Nix mein Lieber.
In zwei Tagen begann die Schule wieder, oder wie ich es nannte: Meine persönliche Hölle.
Seit bald einem Jahr, hasst man mich in der Schule und ich werde täglich gemobbt. Keine der Schüler-AG's wollte mit mir zu tun haben. Man könne ja seinen Ruf verlieren, wenn man einen Homosexuellen aufnimmt.
Hier waren alle sehr konservativ eingestellt.
Unsere Nachbarn, der Bäcker, die einheimischen Lehrer und sogar die Schüler.
Irgendwann gegen elf Uhr schlafe ich ein und träume wieder vom selben Traum wie immer. Der Tag an dem alles begann.Am nächsten Morgen weckt mich die Sonne, weil sie mir ihre hellen, warmen Strahlen mitten ins Gesicht pfeffert.
"Nanu? Normalerweise ist die Sonne doch noch nicht so hoch, wenn mein Wecker.." Geschockt starre ich auf das Drecksding. Um 04.26Uhr blieb der Zeiger stehen und ich suche mein Handy, für eine korrekte Zeitangabe.10.39Uhr
Jetzt bin ich hellwach. Ich stürme aus dem Bett direkt in das Bad - welches nur von meinem Zimmer aus begehbar war - und springe unter die Dusche. In Rekordzeit habe ich mich eingeseift und die Haare gewaschen. Sobald ich die Trainingskleidung angezogen - und die Schlittschuhe in der Tasche verstaut - habe, verlasse ich das Haus und sprinte los in Richtung Eishalle.
Ausser Atem komme ich am Ziel an und wundere mich, dass Lori's Wagen immer noch auf dem Parkplatz stand. Unser Training sollte doch um 09.30 Uhr beginnen und sie ist nicht der Typ Mensch, der auf andere wartet. Ich öffne also die Tür zur Eishalle und höre wie jemand übers Eis läuft. Neugierig gehe ich näher heran und sehe einen Jungen - ungefähr in meinem Alter - regelrecht übers Eis schweben. Seine kinnlange blonde Haare trägt er zu einem Pferdeschwanz und die grünen Augen funkeln voller Konzentration."Ausgezeichnet Noë! Achte jedoch etwas mehr auf dein freies Bein. Und jetzt, versuch den Vierfachen!"
Moment.. Sie meint doch nicht etwa einen vierfachen Flip.
Diesen Sprung sollte ich auch immer in mein Programm einführen, da meine Stehquote jedoch unter 10% betrug, hat sie die Komponente enttäuscht wieder aus meiner Kür genommen.
Gebannt starre ich nun auf diesen Jungen.Rückwärts holt er Anlauf - auf der linken Innenkante - soweit so gut. Jetzt tippt er mit dem rechten Fuss kurz aufs Eis und springt ab. Er schafft alle 4 Umdrehungen und landet sauber auf der rechten Aussenkante. Ein perfekter, vierfacher Flip. Ich war hin und her gerissen, einen solchen aus nächster Nähe erleben zu dürfen. Auch Lori sieht zufrieden aus, zu sehr, meiner Meinung nach.
"Noë, das war hinreissend! Mein Eiskunstläuferherz hat gerade einen riesen Sprung vor Freude gemacht. Einfach nur.. Wow.", Mrs Nichol strahlt diesen Noë hoffnungsvoll an und blanke Panik überrennt mich. Wollte sie etwa aufhören, meine Trainerin zu sein? Hatte sie genug von meinen schlechten Leistungen?
Wird mir dieser Junge meinen Coach stehlen? Wird dieser verdammt gutaussehende Typ sowas wagen? Wow, Gaël, komm runter. Er ist der Feind!
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Und plötzlich ändert sich Alles..
Romantizm"Ich hab gesagt, du sollst mich nicht anfassen!" In meinen Augen sammeln sich Tränen und ich schaue mit - vor Scham - rotem Kopf, direkt in seine Augen. "JD' ... Bitte...", das letzte Wort war nicht mehr als ein Wispern und er schaut mich angewidert...