14. Dein Hochzeitstag (1)

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Teil 1

AZAD

„Du läufst in den Saal rein, du spürst, dass ich da bin
Du trägst dieses Armband, das ich dir gab vor Jahren
Du schaust mich an für einen Moment, es fällt dir schwer zu lächeln
Der Moment, wo deine Blicke meine Blicke treffen
Ich spür' dein'n Atem, dein Herz schlägt immens
Du schaust mich an und ich weiß, was du denkst
Sag mir, liebst du mich?"

Magnis - Dein Hochzeitstag

Vorsichtig setzte ich meinen Fuß in das Haus der Familie Demir, um die Brautabholung von Leyla mitzubekommen.

Es waren inzwischen drei Tage vergangen, seitdem ich meine Nachbarin getroffen hatte und seitdem waren wir uns nicht mehr über den Weg gelaufen.

Herzlich begrüßte mich Lelyas Vater und zog mich mit sich ins Wohnzimmer, wo nahezu all ihre Familienangehörigen versammelt waren. Jeder von ihnen kannte mich, jeder hatte mich als ein Familienmitglied akzeptiert.
Viele dachten seit Jahren, dass ich an Cans Stelle sein würde.

Auch von ihrer Mutter wurde ich begrüßt, nachdem diese mit einigen Tellern mit Essen den Raum betrat. Sie zog mich etwas grob aus dem Wohnzimmer und führte mich die altbekannten Treppen hoch, in das Stockwerk wo auch Leylas Zimmer war. „Sie könnte dich gebrauchen", lächelte sie und klopfte an der Zimmertür ihrer Tochter. Leylas Cousine Hale öffnete die Tür und blickte erst in das Gesicht ihrer Tante und anschließend in meins. Bemitleidend sah sie mich an, versuchte es aber im selben Moment wieder zu überspielen und öffnete die Tür ganz weit, sodass wir nun in das gesamte Zimmer sehen konnten. "Azad", rief Leyla aus und rannte auf uns zu. Ihr Kleid saß ihr wie angegossen, ihre Schminke war dezent aber perfekt und ihre lockere Hochsteckfrisur harmonierte perfekt mit ihrem Gesamtbild.

Sie war so perfekt.

„Langsam", lachte Hale und beobachtete Leyla dabei, wie sie sich auf mich stürzte. Leicht taumelte ich nach hinten, doch konnte mich noch rechtzeitig halten und lächelte Leyla an, während meine Hände ihre Taille umfassten. „Iyi misin (Geht's dir gut)?" erkundigte ich mich und blickte ihr tief in die Augen. Ich konnte in diesem Moment so viel in ihnen erkennen. Die Angst, die Verwirrtheit, die Zweifel, die Verletzlichkeit, die Schuldgefühle.

„Azad, bitte überzeug mich davon, dass ich Can heiraten sollte", flüsterte sie und blickte hoch in mein Gesicht.

Tu es nicht, würde ich am liebsten sagen. Lass es, wenn du so sehr zweifelst.

Aber das konnte ich ihr nicht antun. Ich hatte doch selbst über die letzten zwei Jahre gesehen, wie glücklich sie mit ihm war.
Diese Zweifel waren menschlich, und wahrscheinlich waren sie auch dringend notwendig. Wir hatten sogar damals bei meiner Schwester die Zweifel mitbekommen, und das obwohl sie Pamir Abi mehr als sich selbst liebte - und genau das hatte sie uns allen nach der Hochzeit gezeigt. Ich musste ihr also nur das klar machen.

„Denk an meine Schwester", lächelte ich meine beste Freundin also an und konnte nicht verhindern, dass mich Schuldgefühle plagten. Schwach schob ich sie nach hinten und brachte ein wenig Platz zwischen uns und ließ sie letztlich los – das konnte ich Can nicht antun. „Du hast doch an ihrem Hochzeitstag gesehen, wie sehr sie gezweifelt hat. Und denk jetzt daran, wie glücklich sie mit Pamir Abi ist", meine Augen füllten sich unwillkürlich mit Tränen – was tat ich hier verdammt nochmal? Stumm nickte Leyla, und lächelte ganz schwach. „Danke Azad", flüsterte sie. Kurz danach hörten wir bereits viele Frauenstimmen, die sich uns näherten. Wahrscheinlich kamen Leylas Freunde gerade vom Friseur her, um ihrer Freundin zur Seite zu stehen. „Oh hey Azad", grüßte mich die erste, woraufhin ich stumm nickte. Dass sie mich kannten, überraschte mich nicht —Leyla hielt sich mit ihren Erzählungen nie zurück. „Der Arme", hörte ich eine andere flüstern, „er muss zusehen, wie seine Liebe einen anderen heiratet." Leylas Augen wurden automatisch groß, als auch sie das Gesagte hörte. Ihre Freundin konnte eindeutig nicht flüstern. „Ich gehe dann mal", lächelte ich gezwungen und richtete mein Hemd. Leyla öffnete ihren Mund, wollte mich bitten zu bleiben — ich kannte ihre Körpersprache besser, als viele andere Leute — doch sie zog sich zurück, konnte und durfte nicht so egoistisch sein. „Wir sehen uns später im Saal", sprach ich aus, während ich ihr Zimmer für immer verließ.
Ohne lange zu trödeln und von irgendjemandem erwischt zu werden, verließ ich das Haus rannte förmlich zu meinem Wagen — meinem Retter in der Not.

Fels in der BrandungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt