3| dream city: seattle.

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[traumstadt: seattle.]

Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass es Lia gut ging, hatte ich mich auf einen der weichen Ledersitze gesetzt. Ich war eine wirklich schlechte Schwester. Eine besonders schlechte.

Red' dir keinen Schwachsinn ein!, bat mein innerer Engel.

Maya und Lia wurden entführt! Das kann sie nicht mit ihrem inneren Frieden vereinbaren!, hielt der Dämon dagegen.

Logan. Ich sollte bei der nächstbesten Möglichkeit Logan kontaktieren. Er sollte Lia hier so schnell wie möglich raus holen. Sie ist doch erst sieben. In dem Alter sollte man noch keine Entführung durch einen Mafiaboss oder sonst jemanden erfahren. Gut, niemand, in welchem Alter auch immer sollte eine Entführung erfahren.

»Maya weißt du, wo die Toiletten sind?«, die piepsige Stimme von Lia riss mich aus meinen Gedanken.

Wie hieß er noch mal? Burn? Born? Nee ... ach ja, Bourne.

»Mister Bourne?«, rief ich durch das Flugzeug.

Sollte ich meinen Entführer wirklich siezen? Hatte er solchen Respekt verdient? Eigentlich, nein. Er kümmerte sich ja auch kein bisschen um meine Persönlichkeitsrechte.

Jayden kam einige Sekunden später zu uns und schaute mich abwartend an. Lias Augen suchten meine und sie schaute mich mit großen Augen an.

»Meine Schwester müsste mal auf Toilette.«, sagte ich langsam und streichelte kurz Lias Kopf.

»Soll ich sie dir zeigen, Lia?«, fragte Jayden und streckte seine Hand aus.

Lia begutachtet lange seine Hand, bevor sie mich anschaute, um still nach Erlaubnis fragte. Meine Mundwinkel hoben sich etwas an, ehe ich nickte.

Einige Sekunden später kam Jayden wieder und setzte sich mir gegenüber. »Nenn mich bitte Jayden.«

»Okay, Mister Bourne.«, erwiderte ich und verschränkte meine Arme.

Ich würde ihn sicherlich nicht Jayden nennen, wenn er mich darum bat. Er atmete geräuschvoll aus, während ich seinen intensiven Blick auf mir spürte.

Automatisch hob ich meinen Blick und erwiderte seinen. Meine Augen verengten sich mit jeder Sekunde, die wir uns weiter anstarrten. Aus meinem Augenwinkel erkannte ich ein leichtes Grinsen aus seinen Lippen. Natürlich fand er das lustig.

Unser Blickduell wurde unterbrochen, als ich vor Schmerzen mein Gesicht verzog. Mein Blick schnellte nach links zu Lia, die mich wütend anfunkelte. Ihre Zeigefinger schwebten vor meinen Rippen, bereit, mir noch mal ihre kleinen, spitzen Finger in die Seite zu bohren. Sie wusste genau, dass ich an dieser Stelle empfindlich war und nutze es immer wieder schamlos aus. Das war, ohne zu fragen, Geschwisterliebe.

»Aua, Lia, spinnst du?«, brachte ich hervor und hielt meine Seite.

»Ihr wolltet ja nicht hören.« Lia verschränkte ihre Arme vor der Brust und starrte uns beide an.

Ich wollte, gerade ansetzten, etwas zu erwidern, als die Ansage von dem Piloten uns informierte, dass wir uns im Sinkflug befanden und uns setzten, sollten.

»Ich will am Fenster sitzen!«, rief Lia entrüstet, nachdem ich auf den Platz am Fenster gerutscht war.

»Oh nein, erst tust du mir weh und dann willst du auch noch an meinem Lieblingsplatz sitzen? So funktioniert das nicht.«, sagte ich und klopfte neben mich.

Lia funkelte mich wütend an und ballte ihre Hände zu Fausten.

»Maus, setz dich jetzt! Wir befinden uns im Sinkflug.«, kommentierte ich ihre Reaktion und streckte meine Arme in ihre Richtung.

Lia reagierte nicht und ließ sich mehr oder weniger auf ihren Platz ziehen und anschnallen. Gerade noch rechtzeitig, denn keinen Augenblick später flog das Flugzeug durch eine Turbulenz. Auch ich schnallte mich an und lehnte mich in dem Sitz zurück.

***

Das Flugzeug landete nach einigen weiteren Turbulenzen in Seattle. Ich wollte schon immer mal nach Seattle und jetzt war ich es Geisel. Das wurde mein bester Urlaub sein, denn als Geisel wurde ich bestimmt die Freiheit besitzen, die Stadt zu erkunden.

Wir wurden von drei schwarzen Autos abgeholt. Ins erste Auto stieg Jayden ein, während Lia und ich ins zweite einsteigen sollten. Das Ganze empfand ich als übertrieben, aber für ein Mafiaboss war das Ganze wahrscheinlich ganz normal. Die Fahrt verlief ruhig und wir stoppten vor einem etwas abseitsliegendem Hochhaus. Dadurch, dass wir im zweitem Autos saßen, kamen wir mit ein paar Minuten Verspätung an. Jayden unterhielt sich vor dem hohen Metalltor mit einer Frau. Die Statur und die Ausstrahlung der Frau kamen mir vertraut vor. Als beide sich in unsere Richtung drehten, wusste ich auch warum.

Die Frau war meine Tante und die Zwillingsschwester von meiner Mom. Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, war auf der Beerdigung meiner Eltern. Isabelle sah aus wie Mom und sprach wie Mom. Sie war die zweite Version meiner Mutter, die ich immer noch jeden Tag vermisste.

Die Gesamtsituation und das ähnliche Gesicht meiner Mutter waren zu viel für mich. Viel zu viel. Meine Beine gaben unter mir nach und keinen Augenblick später war alles um mich herum schwarz.

***

Ich öffnete meine Augen und sah direkt in eine hell leuchtende Glühbirne. Automatisch schloss ich meine Augen wieder und drehte mich um. Falsche Entscheidung, da ich so mit einem lautem Rums auf dem harten Boden landete. Ernsthaft?

Die Ereignisse der letzten Stunden prasselten langsam auf mich ein und ich stand blitzschnell auf, um mich in dem Zimmer umzuschauen. Links neben mir war eine durchgezogene Fensterfront und ich hatte einen perfekten Blick auf die Skyline von Seattle. Ein Traum, nur nicht unbedingt in meiner Situation. Das Einzige, was das Zimmer ausfüllte, war das riesige Bett in der Mitte. Drei Türen gingen von dem Zimmer ab.

Ich trat näher an die Fensterfront und schaute nach unten. In welchem Stockwerk befand ich mich? Ungern würde ich ganz weit oben eingesperrt sein, wie Rapunzel. Ich war nämlich nicht in einem Disney Film und Flynn Rider würde mich auch nicht retten.

Etwas unsicher, was mich erwarten würde, ging ich auf die erste Tür zu und versuchte, diese zu öffnen. Vergeblich, die Tür war verschlossen. Also ging ich zur nächsten Tür, gegenüber von dem Bett und versuchte, auch diese zu öffnen. Diesmal mit Erfolg.

Die Tür öffnete sich lautlos und entblößte ein Ankleidezimmer. Die Schränke waren mit den unterschiedlichsten Kleidungsstücken in den verschiedensten Farben gefüllt.

Langsam betrat ich das Ankleidezimmer und fuhr mit meiner Hand über einige Stoffe. Ohne ein bestimmtes Ziel öffnete ich ein paar der Schubfächer und fand in einem der Fächer Unterwäsche. Unterwäsche für Frauen.

Sollte das für mich sein? Hatte Jayden Bourne das für mich ausgesucht? Innerlich schüttelte ich mich. Dieser Gedanke war verstörend und widerlich. Schnell und mit einem mulmigen Gefühl verließ ich das Zimmer und flüchtete in zu der nächsten und letzten Tür.

Es war ein Badezimmer. Ein riesiges Badezimmer. Die große Regendusche zu meiner rechten war überhaupt nichts zu dem Whirlpool vor der Fensterfront mit dem abstand besten Blick auf die Skyline Seattles. Die Stadt war hell erleuchtet und war eine gewaltige Konkurrenz zu meinem geliebten London.

Durch die ganzen Erlebnisse der letzten Stunden fühlte ich mich schmutzig und innerlich total ausgelaugt, also entfernte ich meiner Klamotten und stieg unter die gigantische Regendusche.

Tief in Gedanken stand ich unter der Dusche und überlegte, wie ich am besten dieses Schlamassel, in dem ich steckte, abwenden konnte, als ich Schritte hörte. Bestürzt sah ich, wie die Türklinke von dem Badezimmer hinunter gedrückt wurde. Mist! Ich hetzte aus der Dusche und hielt mir im letzten Moment ein Handtuch vor meinen nackten Körper.

Keinen Augenblick später blickte ich in zwei grüne Augen.

Sie und ErWo Geschichten leben. Entdecke jetzt