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Nachdem der Prinz seinen Hengst gestriegelt hatte, verließ er die Ställe und begab sich auf den Weg in seine Gemächer.

Die Gänge waren dunkel und nur spärlich von Fackeln beleuchtet.
Wie erwartet, traf er um diese Stunde niemanden mehr an. Sie waren allesamt wohl mit etwas besseren beschäftigt, als durch die Korridore zu irren.

Es war nicht mehr weit bis zu seinem Gemach, als er stehen blieb und lauschte. Er hatte das Gefühl, dass ihn jemand beobachtete.

»Thor. Zu welchem Zweck wandelst du in der Dunkelheit?«
Loki drehte sich in die Richtung, in welcher er seinen Bruder vermutete. Erst regte sich nichts und er begann an seinem Verstand zu zweifeln, doch dann trat eine Gestalt aus der Dunkelheit. Goldenes Haar, stattliche Statur. Thor. Das genaue Gegenteil Lokis.

»Wo warst du?«, fragte Thor. Er verschränkte die Arme vor seiner kräftigen Brust, wie eine besorgte Mutter. Loki wunderte sich, dass er von seiner Abwesenheit wusste. Meist interessierte es seinen Bruder nicht, wo er sich herumtrieb, wenn es nicht in seiner unmittelbarer Nähe war.

»Ich wüsste nicht, was es dich interessieren sollte.«, antwortete Loki kalt.

Ihm war klar, dass er Thor gegenüber nie Wärme zeigte, also würde er in diesem Moment nicht damit anfangen. In seinen Augen verdiente er es nicht.
Gehässig lachte Thor auf. Es war ein kehliges, raues Lachen.

»Ich wusste, dass du so etwas sagen würdest, Bruder. Das sieht dir so gleich.«

Noch immer konnte Loki das leichte Lächeln auf seines Bruders Lippen erkennen, doch mit einem Mal verschwand der Ausdruck, der für einen Außenstehenden als nette Geste gedeutet werden konnte, und Thor wurde ernst.

»Mutter macht sich Sorgen um dich. Du bist so abweisend. Gegenüber mir und Vater. Doch vor allem abweisend ihr gegenüber. Ich weiß nicht, was in deinem Kopf vorgeht, doch wenn gegen mich einen Groll hegst, strafe nicht sie mit deinem kindischen Verhalten. Es bricht ihr das Herz.«

Lokis Blick heftete sich auf den Boden. Er konnte seinen Bruder nicht länger ansehen. Auch Thor erging es ähnlich. Ohne auch nur auf ein einziges Widerwort, ließ er Loki stehen und wandte sich ab.

Wütend warf der Prinz die Tür seines Gemaches hinter sich zu. Er zog seinen Mantel aus, knüllte ihn so gut es ging zusammen und warf ihn quer durch das Zimmer, sodass sich einige Strähnen seines perfekt zurückgelegten Haares lösten.
Hektisch atmete er ein und wieder aus. Er zitterte am ganzen Körper, schrie laut auf und sank zu Boden.

Die Konfrontation mit seinem Bruder zehrte an seinen Kräften.
War Thor denn so blind, dass er selbst nicht wusste, was er mit seinen Taten seinem Bruder antat? Versuchte er überhaupt, ihn zu verstehen? Lag die Schuld nicht mehr bei Thor und Odin als bei ihm, da er durch seines Bruders Taten und der unzureichenden Zuneigung seines Vaters erst zu dem wurde, der er eben nun einmal war?
Loki fand keine Antwort. Er dachte, dass er nicht einmal mit dem gesamten Wissen aller Welten zu einer logischen Erklärung kommen würde.

Er erinnerte sich an die Tage, an denen es nur Thor und ihn selbst gab. Sie waren unzertrennlich, haben zusammen gespielt. Gekämpft. Doch als er an diese Tage zurück dachte, merkte er heute, dass sie auch damals schon gegeneinander, um die Anerkennung ihres Vaters kämpften. Um den Sieg. Und Thor hatte eindeutig gewonnen. Er war der rechtmäßige Erbe.

Vielleicht sollte es schon immer so sein. Wer wusste schon, ob Loki dieses Schicksal schon von Anbeginn seines Lebens vorbestimmt wurde.
Doch wenn es so war, dann bestand er dieses Schicksal mit Leichtigkeit. Er konnte dem nicht entkommen, es schien ihn zu verschlingen und er wusste, dass er in der Traurigkeit ertrinken würde, wenn ihn keiner davor bewahrte. Doch wusste er auch, dass er selbst der Schlüssel und somit sein eigener Schmied sein musste.

Behind Green Eyes || Loki LaufeysonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt