Seven Days

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Ohne diesen Zusammentreff, würde ich nun nicht mehr die Geschichte des fröhlichen jungen Mannes erzählen können.
Ohne diesen einen Zusammentreff, würde ich wohl nun von den Wolken herab schauen, würde nicht mehr kämpfen, keine Kraft mehr in mir tragen.

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Beim ersten Wiedersehen mit diesem speziellen jungen Mann dachte ich an einen reinen Zufall, glaubte daran, dass ein solch nettes Gespräch nichts weiter beinhalte, war froh eine solche Person für den Start meines Tages zu haben.
Nach schon zwei Tagen, in welcher ich den jungen Mann jeden Morgen am gleichen Platz vorgefunden hatte, begann ich mich auf jeden weiteren Tag zu freuen. Ich hasste meine Arbeit, hasste die Leute, die mir das Leben erschwerten, litt an psychischen Störungen, doch wenn ich an den Fremden an Gleis Zehn dachte zauberte sich ein Lächeln auf mein Gesicht, gab mir jeden Morgen einen Grund aufzustehen und weiterzumachen.

„I'm Taehyung! Kim Taehyung", hatte er sich bei unserem zweiten Zusammentreff mit breitem Lächeln vorgestellt, mich direkt unglaublich beruhigt.
Es war ein Tag gewesen, an welchem ich noch direkt am Bahnhof einem Nervenzusammenbruch erlag. Der junge Mann war zu mir gekommen, hatte mir ein Taschentuch gereicht und sanft meine Schulter gedrückt, begann zu erzählen wie schön das Leben doch war, dass man es wertschätzen sollte, immer das Positive sehen.
Ich hatte ihn an diesem Tag völlig hysterisch angeschrien, lautstark geschluchzt, dass er die Klappe halten sollte, sich sein Geschwafel einfach sparen, doch war er standhaft geblieben, hatte mich am nächsten Tag abgefangen, mich gefragt wie es mir ging.
Ich war so erstaunt gewesen wie nie zuvor, hätte ihn nicht wiedererkannt wenn er sich mein Gesicht nicht gemerkt hätte.
An diesem zweiten Tag war es mir etwas besser ergangen und ich hatte mich für mein Verhalten des Tages zuvor entschuldigen können, hatte ihm zu verstehen gegeben, dass ich normalerweise nicht so war, hatte mich sichtlich dafür geschämt. Doch Taehyung hatte nur lachend abgewunken, mir versichert, dass er es mir nicht übel nahm. Alleine seine Anwesenheit hatte mich schon unglaublich beruhigt, auch seine eigentlich hyperaktive Art war etwas, das mich nicht im geringsten bei unseren Gesprächen gestört hatte, nein sogar ganz im Gegenteil!

Zwei weitere Tage waren vergangen, in welchen ich zwei Stunden früher zu Gleis Zehn gegangen war, immer wieder verwundert feststellen musste, dass er immer auf dem gleichen Platz saß, die Blume im Kübel neben der Bank betrachtete, scheinbar mit dieser redete.

Ich hatte mich am vierten Tag zu ihm gesetzt, ihm gespannt zugehört wie er von der Pflanze schwärmte, ungeheuer viel Wissen über diese Blume trug, mich mit seiner Aufklärung vollkommen faszinierte, mehr und mehr in seinen Bann zog.
Er hatte mich dermaßen beruhigt, dass ich nicht anders konnte als lächelnd auf der Arbeit zu erscheinen, runterzuschalten und schließlich sogar meine Meinung zu vertreten. Ich schien nach einigen Tagen wie ein neuer Mensch, aufgeblüht durch die frische Brise dieses Mannes, endlich angekommen in meinem Leben.

Auch am fünften Tag war ich wieder früher zum Bahnhof gegangen, winkte meinem Freund glücklich zu, sah das Funkeln und Strahlen in seinen Augen als ich mich zu ihm setzte, wir über alles mögliche zu reden begannen, lachten und lachten und immerzu lachten.
Ich erinnere mich daran ihn nach seiner Familie und seinem Beruf gefragt zu haben, hörte gespannt zu wie er von seinen kleinen Geschwistern erzählte, verliebt davon schwärmte eine Familie zu gründen, Kinder der Welt schenken wollte. Wir verbrachten letztlich unsere zwei Stunden alleine damit über die kleinen Geschöpfe zu erzählen. Ich spürte wie sehr Taehyung sich damit verbunden fühlte, welch ein perfekter Vater er wohl einmal werden würde, freute mich schon jetzt für seine Kinder ein solch tolles Vorbild zu haben.

Der sechste Tag brach an und ich machte mich strahlend fertig, um das Haus zu verlassen, war gespannt welch interessante Geschichten und Erfahrungen mir der junge Mann heute erzählen würde, ging summend zum Bahnhof und ging unser tägliches Ritual durch: winken, begrüßen, lachen.
Ich hatte ihm gestanden wie sehr ich ihn mochte, seine Art mich zu beruhigen und aufzumuntern. Erklärte ihm, dass ich ihn um seine unbeschwerte, positive Art bewunderte und auch beneidete. 
Ich erinnere mich an die tausend Schmetterlinge, die in meinem Inneren herumschwirrten als er mich in seine Arme gezogen, mich hin und hergeschaukelt und mir tausend Mal ein Dankeschön geschenkt hatte, sich ebenfalls bei mir bedankt hatte, wenngleich ich nicht wirklich wusste warum und für was.
Ich verabschiedete mich auch an diesem Tag völlig entspannt, versprach auch am nächsten Tag wieder pünktlich zu sein. Er erklärte, dass er eine Beichte für mich bereithalten würde, winkte mir lächelnd nach bis ich im Zug gewesen war.
Den ganzen Tag hatte ich damit verbracht über seine Worte nachzudenken, fragte mich was die Beichte wohl sein mochte, glühte vor Aufregung, war ein einzelnes Nervenbündel, zweifelte plötzlich wieder ob ich es vielleicht gar nicht wissen wollte.

Am siebten Tag stand ich mit Bauchschmerzen auf, fühlte mich so übel wie schon lange nicht mehr, wollte am liebsten Zuhause bleiben, doch musste an mein Versprechen gegenüber Taehyung denken, wollte diesen nicht enttäuschen, kämpfte mich rein deshalb die Tür hinaus und versuchte die Blicke der Menschen zu ignorieren, fühlte mich schrecklich unwohl und beobachtet.
Ich kam an Gleis Zehn an, sah mich um, doch musste erschüttert feststellen, dass mein Freund nicht hier war. Womöglich war ihm etwas dazwischen gekommen und er würde gleich kommen, dachte ich mir und nahm auf unserer Bank Platz, wartete und wartete. 
Ich rief nach einer Weile bedrückt bei meinem Arbeitgeber an, gab vor krank zu sein, wollte in diesem Zustand einfach nicht zur Arbeit erscheinen.
Weitere Stunden vergingen, in welchen ich hunderte von Menschen und dutzende Züge kommen und gehen sah, doch nirgends Taehyung auftauchte. Mein Inneres zog sich immer mehr zusammen, ließ mich an mir selbst zweifeln. Vielleicht hatte er genug von mir? Vielleicht hatte er mir nur etwas vorgespielt? Tausende Gedanken, die mich herunterzogen, flogen durch meinen Kopf, brachten mich dazu schließlich auf der Bank in Tränen auszubrechen, den Nervenzusammenbruch, des Tages an welchem ich Taehyung kennengelernt hatte, erneut zu durchleben.
Ich hatte mich nach weiteren Stunden etwas beruhigt, war so niedergeschlagen wie nie zuvor und wollte weggehen, als ich noch einmal einen Blick auf die Blume neben der Bank warf, traurig lächeln musste und plötzlich etwas funkeln sah.
Ich sah, dass ein kleiner Briefumschlag zwischen den Stängeln steckte, daran eine silberne Halskette, mit einem kleinen Engelsanhänger, angebracht war. Neugierig nahm ich die Sachen aus dem Kübel, stellte fest, dass mein Name auf dem Umschlag stand und setzte mich wieder auf die Bank, las den Brief, der sich mir darin offenbarte.


„Liebe Y/N,

Es tut mir leid, dass ich meinen Antrag auf diese Weise machen muss, doch bleibt mir keine andere Wahl. Als ich dich kennengelernt hatte, hätte ich nicht gedacht, dass ich dieses Gefühl in meinem Leben noch erfahren dürfe. Ich war so glücklich Zeit mit dir zu verbringen, wünschte ich hätte noch weitere Zeit übrig, um dir zu sagen und zeigen wie sehr ich mein Herz an dich verschenkt habe. Doch meine letzten Stunden laufen ab während ich diesen Brief an dich schreibe. Ich hatte dir nie erzählt, dass ich einen Tumor habe, mir dieser den Rest meines Lebens nimmt, keine Heilung dafür möglich ist.
Ich war so froh deine Wandlung miterleben zu dürfen, zu sehen dass ich dir etwas Halt und Geborgenheit geben konnte, wünsche mir nichts sehnlicheres als dass du dies beibehältst. 
Wenn du diesen Brief liest möchte ich, dass du weißt wie sehr ich mich in dich verliebt habe, wie sehr ich mir wünsche, dass du trotz meiner Abwesenheit weiterkämpfst, meine Kraft in dir aufnimmst und für uns beide lebst.
Ich habe mich für diese Halskette entschieden, um immer bei dir zu sein. Als dein persönlicher Schutzengel, als Begleiter in allen Situation deines Lebens, die guten sowie die schlechten.
Es tut mir leid, dass ich dir diese schlechten Dinge nicht persönlich sagen konnte und mich auf diesem Wege verabschieden muss, doch ich hatte es nicht übers Herz gebracht, wollte dass ich dich lächelnd und fröhlich in Erinnerung behalte und du mich ebenso.
Mein Lachen und unsere Gespräche sollen dir Kraft schenken, Mut und auch Hoffnung.
Ich wünschte ich hätte mit dir mein Leben verbringen können, eine Familie gründen, die Kinder bekommen die ich immer haben wollte und ich wünsche mir nichts sehnlicher als dass du glücklich wirst, all deine Träume verwirklichst und dich nicht unterkriegen lässt.
Move on, because tomorrow will be a brighter day.

In Liebe,
dein Taehyung"


Ich saß mit Tränen überflutet am Gleis, nahm alles nur noch in Zeitlupe wahr, hielt die Kette und den Brief verkrampft in meinen Händen fest. Zwei, drei, nein gefühlt hunderte Male schrie ich in die Luft, ließ all den Schmerz frei, glaubte kaum was ich da gelesen hatte, wollte es mir nicht einmal annähernd vorstellen.
Ich betrachtete eine Weile das Schmuckstück in meiner Hand, ehe ich mich überwand und es mir um den Hals band, mir schwor es nie wieder abzunehmen, es so sehr zu schätzen wie auch mein Leben.

Kim Taehyung, der fremde junge Mann, der zu meinem einzigen Freund und schließlich meiner Liebe des Lebens geworden war.
Die Person, die mich noch heute bei nur einem einzigen Gedanken an ihn beruhigt, an das Gute im Leben und der Menschheit erinnert, mich glauben lässt alles schaffen zu können.
Ohne diese Begegnung wäre ich nicht die Person, die ich heute bin. Ich könnte nicht lachen, könnte nicht positiv denken. Ich wäre nicht in der Lage meine Geschichte zu erzählen, nicht in der Lage die Geschichte des fröhlichen jungen Mannes an Gleis Zehn weiterzugeben. Ich wäre ohne diesen Mann nicht in der Lage anderen Mut zu schenken, denn allein diese Begegnung, mein Schicksal, gab mir die Kraft Gutes zu tun bis an mein Lebensende, ein Vorbild in Kim Taehyung zu sehen und für immer durch ein unsichtbares Band mit ihm verbunden zu sein.

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