apology

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"Hallo, Adam.
Ich bin es.
Der, den du einmal liebtest.
Ich schreibe das, um dir zu sagen, dass es mir leid tut. Einfach alles tut mir so unendlich leid, ich kann nicht in Worte fassen, wie stark meine Schuldgefühle sind.

Es tut mir leid, dass ich mich nie getraut habe, zurückzukehren. Meine Angst vor diesem Ort war viel zu groß. Ich fürchtete mich davor, dass sich all meine Erinnerungen an dich überhäufen könnten. Wir haben uns hier kennengelernt, am 6. Juli 2014, vor genau 2 Jahren. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich dich hier zum ersten Mal sah, am Boden zerstört, aber trotzdem so wunderschön. Und wir waren hier so oft, obwohl es jeder außer uns mied, unser kleines Paradies. Aber jetzt nicht mehr. Dein Paradies liegt jetzt an einem anderen mir unbekannten Ort.

Es tut mir leid, dass ich so blind war. Ich habe nie gesehen, wie schrecklich es dir wirklich ging. Und ich konnte einfach nie verstehen, worin genau der Kern deiner Traurigkeit lag. Du hattest nichts, als wir uns trafen. Ich dachte, ich könnte dir helfen, in dem ich dieses Nichts mit Materiellem auffüllte. Ich gab dir ein Zuhause, einen Schlafplatz, warmes Essen, ein Bad, medizinische Versorgung. Ich versuchte, dir bei der Suche nach Arbeit zu helfen, obwohl wir beide wussten, dass es schwer werden würde, für einen ehemals obdachlosen, gebrochenen Mann Arbeit zu finden. Als es scheiterte und du verzweifeltest, dachte ich, es ginge nur darum, aber es ging um so viel mehr. Um deine Vergangenheit. Um deine Familie. Um ihren Tod.

Es tut mir leid, dass ich niemals gefragt habe, wie es dir geht. Es mag nebensächlich klingen, aber ich weiß, dass du nie mit 'Es geht mir gut' hättest antworten können. Dafür warst du immer viel zu ehrlich zu mir. Wie du weißt, hasse ich Smalltalk, deshalb mied ich diese Frage immer. Doch hätte ich nur etwas früher gefragt, wäre es vielleicht anders ausgegangen.

Es tut mir leid, dass wir unsere gemeinsame Zeit nie genießen konnten, weil immer etwas zwischen uns stand. Anfangs waren es noch Probleme damit, dich ins normale Leben zu bringen. Als das dann irgendwann funktionierte, lief es dennoch schief, weil ich immer der Meinung war, es wäre alles gut. Ich dachte, wir bräuchten einfach Zeit, um uns an unsere Situation zu gewöhnen. Aber das war es nicht. Ich war einfach nur zu dumm.

Es tut mir leid, dass wir so selten über deine Geschichte redeten. Du sagtest zwar immer, du würdest nicht gern darüber reden, aber ich bin mittlerweile der Meinung, das alles wäre komplett anders ausgegangen, hättest du dir nur einmal alles von der Seele reden können. Ich hätte auch gern alles über dich gewusst, nicht nur, wer du jetzt bist. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass deine Eltern sehr früh und deine kleine Schwester kurz vor unserem ersten Treffen starben. Ich weiß nicht mal, woran sie starben oder warum und seit wann du auf der Straße gelebt hast. Es macht mich irgendwie traurig, dass ich nur so wenig über deine Vergangenheit weiß. Hätte ich einfach darauf beharrt, mehr zu wissen. Irgendwann hättest du es erzählt. Aber ich hab ja nie groß danach gefragt.

Es tut mir leid, dass ich dich immer so sanft behandelt habe. Ich weiß nicht, warum es so war, aber ich war immer der Meinung, dich beschützen und vorsichtig mit dir umgehen zu müssen. Im Nachhinein merke ich, dass ich dich behandelt habe wie ein Kind, obwohl du älter warst als ich. Irgendwie widersprüchig, dass ich dich immer total übermuttert habe, mir aber trotzdem deine größten Probleme nie auffielen, weil ich mich an den falschen Stellen sorgte.

Es tut mir einfach leid, dass ich so viel falsch gemacht habe, als du noch da warst. Und dass mir all das erst jetzt klar wird, wenn es zu spät ist. Hätte ich diese Erkenntnis gehabt als du noch bei mir gewesen warst, wärst du vielleicht gar nicht erst weggewesen.

Ich habe so viel darüber nachgedacht. Ich habe mir Szenarien ausgedacht, was wohl passiert wäre, wenn das nicht gewesen wäre. Ich denke, das hat man in diesem Brief auch gemerkt. Aber ich werde versuchen, nicht so stark daran hängen zu bleiben. Auch wenn ich es absolut verschissen habe, haben wir uns geliebt. Ich habe dich damals etliche Male darum gebeten, nicht in Selbstmitleid zu versinken. Ich konnte nicht mit ansehen, wie du dir die Schuld für den Tod deiner Schwester gabst. Den Leuten, die sich um mich sorgen, will ich nicht das gleiche antun.

Du wirst dies wahrscheinlich nie lesen, aber das ist auch gut so. Mittlerweile denke ich sowieso, bei deiner Familie bist du besser aufgehoben als bei mir. 

In Liebe,
Noah."

Ich legte den Umschlag mit dem Brief auf das nasse Gras. Genau dorthin, wo du früher immer gelegen hattest, wo du jetzt immer noch liegst. Vielleicht schneist du demnächst ja sogar mal vorbei und liest ihn. Der Regen weichte das Papier etwas ein und die verlaufende Tinte färbte es blau. Ein paar Sekunden verharrte ich und sah zu, wie dein Name langsam verschwamm. Ich war nicht sicher, ob es Tränen oder Regentropfen waren, die mein Gesicht herunterliefen. Mit schwachen, wackligen Beinen stand ich auf und kehrte dem Brief den Rücken zu. Damit ließ ich unsere Vergangenheit, die wunderschöne Zeit mit dir, langsam hinter mir. Den Gedanken, nie wieder hier herzukommen, behielt ich im Hinterkopf, als ich mit schleppenden Schritten das Tor erreichte.
Dann verließ ich den Friedhof.

yellow dreams • purple mindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt