Es dauert nicht lange bis das Barts in Sichtweite kommt, ein älteres, vierstöckiges Gebäude, das das älteste Krankenhaus in London und Groß-Britannien ist. Natürlich habe ich diese Information, sowie die, dass das Krankenhaus im Jahre 1123 gegründet wurde, von Jim erhalten als er angefangen hat dort zu arbeiten. Er ist eine wahre Fundgrube an unnützem Wissen wenn man anfängt ihn zu fragen.
Mit einem mulmigen Gefühl bleibe ich in einiger Entfernung stehen, sodass ich den Parkplatz mit den Autos gut im Blick habe. Jims schwarzes Auto ist ebenfalls dabei. Nun heißt es einfach nur warten.
Immer wieder schaue ich auf die Uhr, doch die Zeiger schleichen fast schon über das Ziffernblatt. Bis fünf vor halb vier passiert nichts, und ich fange an zu zweifeln dass überhaupt etwas passieren wird.
Was mache ich hier eigentlich? Ich spioniere meinen Ehemann aus weil ich ihm nicht mehr vertraue. Ich sollte damit aufhören.
Gerade will ich mich umdrehen und gehen, da öffnet sich eine Hintertür und zwei Menschen kommen lachend heraus. Augenblicklich ist meine Aufmerksamkeit wieder da und ich kann meinen Blick nicht von der Situation abwenden, obwohl sich mein Herz schmerzhaft zusammenkrampft. Jim, grinsend und anscheinend bei bester Laune, geht neben der Frau, die ich schonmal mit ihm gesehen habe, her und hält ihre Hand. Diese Tatsache fällt mir erst auf als sie an seinem Auto stehenbleiben und sie ihn loslässt. Ich kann hören dass sie reden, aber nicht was sie sagen, da lehnt sich die Frau vor und gibt ihm einen Kuss auf den Mund. In diesem Moment setzt mein Herz für einen Schlag aus, ich spüre wie sich ein dicker Kloß in meiner Kehle bildet und mir die Luft wegbleibt. Geschockt starre ich auf die Szene nur etwa fünfzehn Meter vor mir, vorallem weil Jim den Kuss auch noch erwidert. Da lösen sie sich voneinander und er lächelt sie an, dann verabschieden sie sich. Bevor mein Mann ins Auto steigt, reiße ich mich los und verschwinde hinter der nächsten Ecke.
Vollkommen neben mir lehne ich mich gegen die Wand und versuche meine Atmung zu beruhigen. Da bemerke ich dass ich weine, die Tränen laufen unaufhaltsam meine Wangen hinab.
Was war das gerade? Nun ja, offensichtlich hatte ich recht mit meiner Befürchtung.
In einem plötzlichen Anflug von Wut stoße ich mich von der Wand ab, wische mir die Tränen weg und gehe die Straße entlang, weg vom Barts. Besser lasse ich mir erstmal nichts anmerken, einen Streit auf der Straße anzufangen ist das letzte was ich will. Hoffentlich fährt Jim jetzt nicht hier entlang, sonst bräuchte ich eine gute Erklärung.
Je weiter ich von diesem Parkplatz wegkomme, desto ruhiger werde ich, aber dafür werde ich traurig, und zwar die Art von Trauer die dich in ein tiefes, schwarzes Loch reißt. Es ist schon länger her dass ich diese Art gespürt habe.
Kaum zehn Minuten nachdem Jim losgefahren sein muss, erhalte ich eine Nachricht von meinem Mann. Ist er denn überhaupt noch mein Mann?Jim: Wo bist du? Bin jetzt fertig und kann dich abholen kommen :)
Ich muss mich zusammenreißen um ihm so normal wie möglich zu antworten.
Me: Bin gerade an einem Park.
Nachdem ich ihm noch die Adresse mitgeschickt habe, atme ich tief durch und stecke das Handy wieder weg. Zwar höre ich noch dass eine Antwort von Jim kommt, doch ich hole es nicht nochmal heraus. Mit ruhigen Bewegungen gehe ich zu einer Bank in dem kleinen Park und setze mich darauf während ich auf Jim warte.
Keine fünf Minuten später biegt sein Auto auch schon in die Straße ein, ich stehe auf, nehme meinen Rucksack und gehe auf den Bürgersteig. Er hält direkt neben mir und beugt sich hinüber um mir die Autotür von innen aufzuschubsen. Mit einem gezwungenen Lächeln steige ich ein und schließe die Tür hinter mir, dann fährt er wieder los.
"Na, wie war's?", erkundigt er sich lächelnd während er weiterhin auf die Straße schaut. Wie kann er nur so fröhlich sein.
"Ganz gut", antworte ich und versuche das leichte Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken.
"Ganz gut? Mehr nicht? Keine Einzelheiten oder sowas?", fragt er lachend nach. Offensichtlich hat er nichts bemerkt.
"Ganz gut im Sinne von ich habe den Job und war den ganzen Tag unterwegs", präzisiere ich meine Antwort und schaue seitlich aus dem Fenster. Egal wie sehr ich es versuche, ich kann den bissigen Unterton und meine Wut auf Jim nicht unterdrücken, genauso wenig wie meine Trauer.
"Hey, kein Grund mürrisch zu werden. Tut mir leid dass es so lange gedauert hat."
Nun dreht er den Kopf kurz zu mir und legt mir sanft eine Hand auf den Arm. Seine Wärme dringt durch den Stoff des Blazers und löst ein leichtes Kribbeln auf meiner Haut aus, doch gleichzeitig erinnere ich mir daran, wie er zu dieser Frau war.
"Dafür machen wir zu Hause was schönes zusammen, okay?"
Er hält an einer Ampel und nimmt meine Hand in seine. Aus einer natürlichen Reaktion heraus beginne ich mit dem Daumen über seine Haut zu streichen.
"Okay", stimme ich zu, schlucke aber schwer. Ich bezweifle wirklich es zu Hause für uns beide schön wird.
Die restliche Fahrt verbringen wir mehr oder weniger schweigend, allerdings glaube ich dass Jim mittlerweile gemerkt haben könnte dass etwas nicht stimmt.
Zu Hause angekommen steigen wir aus und ich gehe vor zum Haus während er noch das Auto abschließt.
Mit beinahe schon mechanischen Bewegungen ziehe ich meinen Rucksack aus und stelle ihn im Flur auf den Boden, den Blazer behalte ich aber an.
"Honey, ist irgendwas passiert?", fragt Jim nun besorgt nach als er durch die Haustür hereinkommt und legt mir eine Hand auf den Rücken. Mit einem Schaudern entziehe ich mich ihm indem ich in die Küche gehe, ohne ein Wort zu sagen.
"Mel?"
Er kommt mir hinterher und ich atme tief durch. Jetzt oder nie.
"Ich muss dich was fragen", sage ich mit möglichst ruhiger Stimme und drehe mich zu ihm um. Jim steht recht entspannt vor mir und legt leicht den Kopf schief, so als wolle er mir signalisieren dass er zuhört.
"Gehst du mir fremd?", spucke ich die Frage aus, die mir, seit ich ins Auto gestiegen bin, auf der Zunge brennt. Überrascht schaut Jim mich an und ich beobachte genau seine Reaktion. Er zögert.
"Nein... wie kommst du darauf?"
Das tut weh. In mir drin breitet sich Enttäuschung, Wut und Trauer zugleich aus. Enttäuscht bin ich, weil Jim nicht wenigsten die Courage hat mir die Wahrheit zu sagen wenn ich ihn so direkt frage.
"Warum tust du mir das nur an? Und dann auch noch nachdem was mit Seb und mir war."
Mir beginnen Tränen über die Wangen zu laufen und ich balle eine Hand zur Faust.
"Ich dachte ich könnte dir vertrauen was das angeht, dass wir gesagt hatten uns nicht mehr anzulügen! Wir beide waren uns einig dass wir uns gegenseitig sagen wenn irgendetwas schiefläuft. Aber dann muss ich feststellen dass du dir nicht nur einen neuen Job, sondern auch noch eine neue Freundin gesucht hast und mich belügst!", brause ich auf, da wird Jims Gesicht finsterer.
"Wie du bereits so treffend sagtest, du und Seb. Da hielt es keiner für nötig mich aufzuklären, obwohl wir uns schon da gegenseitig versprochen hatten, uns nicht mehr anzulügen", meint er trocken und ich muss mich zusammenreißen um halbwegs ruhig zu bleiben. Benutzt er das gerade ernsthaft als Rechfertigung für sein fremdgehen?
"Ja schön, ich habe dich einmal belogen, und das war weil es um Sebs Privatsphäre ging! Aber dafür bin ich dir niemals fremdgegangen, anders als du!"
"Nochmals, wie kommst du darauf?", wiederholt Jim seine erste Frage, nun etwas schärfer als vorher.
"Ich habe euch beide gesehen, Jim! Zuerst im Café, wo ihr euch prächtig zu amüsieren schient und du mir später sagtest, du hättest mit niemandem in deiner Pause gesprochen. Und das zweite Mal-"
Meine Stimme bricht und ich muss schlucken. Jim hingegen runzelt die Stirn und lehnt jetzt im Türrahmen zur Küche.
"Wann soll das gewesen sein?"
"In der Stadt", antworte ich knapp, während ich versuche meine Stimme wieder unter Kontrolle zu bringen, was mir aber misslingt.
"Und jetzt hör auf mich anzulügen, dich rauszureden und steh doch einfach dazu!", schreie ich ihn fast schon an, und meine Tränen können jetzt durch nichts mehr gestoppt werden. Plötzlich schaffe ich es nicht mehr aufrecht zu stehen und lasse mich schluchzend auf einen der Stühle fallen. Nun sieht Jim nicht mehr so abwehrend aus, sondern so als würde er realisieren was seine Taten in mir auslösen.
"Melody", versucht er es sanft, doch ich schüttele den Kopf.
"Versuch mir bloß nicht zu sagen dass es nur ein normales Gespräch war, das du vergessen hast, denn ich weiß dass es nicht so ist! Ich habe gesehen wie du sie geküsst hast!"
Augenblicklich schreckt Jim zurück, sichtlich geschockt über das, was ich ihm gerade ins Gesicht geschrien habe.
"Woher... wie?", fragt er erst schockiert, dann wird er wütend als er die Lösung erkennt.
"Du hast mir nachspioniert?!"
Grimmig, soweit es mit verheultem Gesicht geht, schaue ich ihn an. Er wirft die Arme in die Luft, dreht sich weg, rauft sich die Haare und krallt seine Hände hinein. Ich sehe ihm an dass er nur kurz davor ist, richtig auszurasten.
Ohne Vorwarnung dreht er sich ruckartig wieder zu mir um und funkelt mich aus dunklen Augen an. Instinktiv stehe ich auf um nicht mehr unter ihm zu sein, und versuche uneingeschüchtert auszusehen.
"Was hätte ich denn machen sollen? Du hast ja offensichtlich nicht mehr die Wahrheit gesagt", antworte ich auf seine Frage möglichst ruhig, aber meine Stimme zittert leicht. Darauf scheint Jim keine wirkliche Antwort zu finden, oder er ist einfach nur zu wütend dafür.
Es dauert eine kleine Weile bis er seine Sprache wiedergefunden hat, und dann beginnt er leise zu lachen.
"Wow, ich muss ja vollkommen blind gewesen sein", murmelt er mehr zu sich selbst, da überwinde ich meine anfängliche Überraschung und schnaube.
"Ich würde eher sagen, dass du nur Augen für deine neue Freundin hattest."
"Ja... sie fordert wirklich meine gesamte Aufmerksamkeit", meint er und ich zucke innerlich zusammen.
"Weißt du was witzig ist?", fragt er mich und lehnt sich gegen die Ablage. Verwirrt und verletzt schüttele ich den Kopf. Ich will es nicht wissen, aber ich halte den Mund.
"Seb hat mir gesagt dass du genau so reagieren würdest wenn du von Molly erfährst."
Aha, Molly heißt sie also.
"Und warum hast du es dann nicht gelassen?", erkundige ich mich bitter und er beginnt zu grinsen, etwas was mich rasend macht.
"Weil das mit Molly ein Spiel ist."
"Das ist ja mal super toll Jim! Jetzt fühle ich mich so viel besser-"
"Shh, Melody, ich bin noch nicht fertig", unterbricht er mich.
"Ich will nichts von Molly, ich liebe sie nicht und werde sie schon bald nicht mehr wiedersehen. Sie ist nur ein Weg um an Sherlock heranzukommen."
Sherlock. Schon wieder.
Meine Schultern sacken nach unten und ich schlucke hart. Nur wegen dieses Mannes drohen Jim und ich auseinanderzubrechen, habe ich meinen Job und meinen Nachnamen verloren. Nur weil Jim plötzlich von ihm besessen ist.
Anscheinend ist meine Reaktion nicht die, die Jim von mir erwartet hat, denn er legt den Kopf leicht schief. Wie soll ich denn reagieren? Jubeln und ihm gratulieren?
Plötzlich fühle ich mich so klein, hilflos und verloren. Ich kann ihn nicht mehr verstehen, kann ihn nicht mehr erreichen, egal was ich mache, und er versteht mich nicht. In diesem Moment scheinen die Wände immer näher zu rücken und mich zu verschlucken.
"Schon klar", sage ich mit erstickter Stimme und lasse mich wieder auf den Stuhl sinken. Niemals hätte ich gedacht dass ich einen Mann so hassen könnte ohne ihn wirklich zu kennen, doch jetzt gerade hasse ich Sherlock Holmes mehr als alles andere. Gleichzeitig werde ich aber auch unendlich traurig und lehne meinen Kopf gegen die Wand. Am liebsten möchte ich die Augen schließen und wenn ich sie wieder öffne, ist alles wieder in Ordnung. Aber natürlich geht das nicht, das wäre ja zu einfach.
Trotzdem schließe ich die Augen um Jim nicht ansehen zu müssen, auch als er sich langsam auf mich zu bewegt.
"Honey, es tut mir leid, okay?"
"Geh weg Jim", weise ich ihn ab und höre wie er stehenbleibt.
"Du kannst mich nicht andauernd verletzten und es immer mit einem 'Tut mir leid' abtun", füge ich leise hinzu, öffne die Augen wieder und wische mir mit dem Ärmel über die Wange. Schweigend steht er vor mir, bis er schließlich mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck einen Schritt zurücktritt.
"Ich... ich wusste nicht...", fängt er unbeholfen an, scheint aber zu merken dass das nichts bringt. Ohne ein weiteres Wort zu sagen verlässt er den Raum und ich höre wie er die Treppe hinaufgeht.
Mit einem leisen Seufzer bleibe ich hier in der Küche sitzen und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Fantastisch. Im Aufstehen wische ich mir nochmal über die Augen während ich in den Flur gehe um mein Handy aus dem Rucksack zu holen. Kurz überlege ich, was ich Katie schreiben soll. Irgendwie will ich ihr die Wahrheit nicht erzählen, dann müsste ich allerlei erklären, beispielsweise was Jim mit 'ein Spiel' meint.Me: Falscher Alarm, er hat mir nur nicht davon erzählt, weil er nicht wollte dass ich mich aufrege oder mir Sorgen mache :)
Den Smiley zu setzen, kostet mich Überwindung, aber um authentisch zu wirken, muss ich das machen.
Katie: Okay, das ist irgendwie süß aber auch... bedenklich. Dann ist also zwischen euch alles wieder gut?
Me: Ja, alles super.
~×~×~×
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Moriarty In Love - The Game
Hayran KurguFortsetzung von "Moriarty In Love": "Es wird alles gut, Honey. Vertrau mir." "Das würde ich gerne Jim." Melody und Jim haben schon viel gemeinsam, und auch alleine, überstanden. Doch nun kommen neue Schwierigkeiten auf sie zu, und das nicht nur in i...