1. Bones

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„Wie lange leben Katzen eigentlich, Papa?"

Arne hatte in seiner Kindheit nur eine einzige Katze gekannt: Bones. Das war der Kater seiner Großmutter. Sie behauptete einmal, Bones wäre kurz nach dem Tod ihres Mannes aufgetaucht. Opa Harald war Seemann gewesen und sein Schiff war irgendwann in einem Sturm untergegangen.

„Ich weiß nicht, wie lange Bones gelebt hat. Er ist damals verschwunden."

„Wieso verschwunden?" Arne spürte, wie Pia jetzt neben ihm stand und ihren Kopf an seine Schulter legte. Seine Hände glitten über die Tastatur des Laptops. Karin war seit drei Tagen nicht mehr nach Hause gekommen. Damit war das ihre bisher längste Sauftour. Doch zwischendurch schrieb sie mit ihrem Smartphone immer wieder kurze, giftige E-Mails an Arne. Er brauchte den Bildschirm nicht zuzuklappen, Pia lernte gerade erst lesen. Und in diesem Moment interessierte sie sich nur dafür, was damals aus Bones wurde.

„Na gut, ich glaube es wird Zeit, dass ich Dir vom Katzenschiff erzähle."

„Vom Katzenschiff?"

Ihre Augen schauten groß an. Sie hätte den kompletten Inhalt ihrer Gummibärchenkiste gegeben, um zu erfahren, was es mit dem verschwundenen Bones und dem Katzenschiff auf sich hatte.

„Du putzt Dir die Zähne, ziehst Deinen Schlafanzug an und danach treffen wir uns auf dem Sofa und ich erzähle Dir alles, abgemacht?"

Schnell und fast lautlos trugen ihre kleinen Füße sie ins Badezimmer. Ein paar Sekunden später hörte der Vater die Putzgeräusche der Zahnbürste.

Draußen hatte sich der Abend in den Bäumen vor dem Fenster niedergelassen. Arne knipste die Schreibtischlampe aus, als noch eine weitere Mail von Karin im Postfach angezeigt wurde: „Ich kann Deine langweilige Fresse nicht mehr ertragen. Warum muss unsere Tochter gerade Dir so ähnlich sehen?"

Karin sparte nicht mit Gemeinheiten, wenn sie betrunken war. Arne war es lieber, dass sie in diesem Zustand mit ihren alten Musikerfreunden unterwegs war, als ihm und dem Kind das Leben hier zur Hölle zu machen. Er entschied sich, ihr heute nicht mehr zu antworten. Sie würde wieder nach Hause kommen und wie immer Besserung versprechen. Sie würde sich für ihre verbalen Ausrutscher entschuldigen. Arne müsste doch verstehen, dass sie ihr altes Leben vermisse, sie sei eben keine typische Mutter. Das habe sie schon zu ihm gesagt, als Pia noch unterwegs war. Er hatte zu hohe Erwartungen an sie gehabt. Aber sie würde sich ab jetzt zusammenreißen, versprochen.

Doch dieses Mal würde ihr Wohnungsschlüssel nicht ins Schloss passen. Arne hatte keine Ahnung, wie es danach weitergehen sollte, doch etwas musste sich ändern. Er musste sich und das Kind vor Karin schützen.

„Kommt Mama denn heute wieder zurück?"

„Heute noch nicht, aber vielleicht morgen. Sie hat gesagt, ich soll Dir einen großen Gutenachtkuss geben."

„Wirklich?" Pia runzelte die Stirn, sie hatte Arne wieder beim Lügen ertappt. „Aber jetzt noch nicht. Erst das Katzenschiff!"

Sie klopfte mit der rechten Hand neben sich auf das Sitzpolster, als eindeutiges Zeichen, dass es jetzt losgehen könne. Die andere Hand hielt ihren Teddy fest im Arm. Arne setzte sich neben seine Tochter und fing mit leiser Stimme an zu sprechen:

„Mein Großmutter war eine Oma, wie jedes Kind es sich wünscht. Sie lachte viel und hörte mir gerne zu. Sie trug immer einen langen Rock, dazu meistens eine dunkle Bluse mit einem Blumenmuster drauf. Ihre Haare hatte sie oft hochgesteckt. Sie lebte in einem großen flachen Haus mit einem Strohdach in der Nähe des Meeres. Eigentlich hätte sie ein so großes Haus nicht gebraucht, aber bereits ihre Großmutter hatte darin gewohnt und sie war dort auf dem Küchentisch zur Welt gekommen.

Das KatzenschiffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt