17. Mister Wulf

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Es ist schwerer als gedacht mit Jim in einem Haus zu leben, mit ihm zu reden und den Nachmittag zu verbringen ohne dass wir uns groß berühren. Besonders das Wochenende ist hart, vorallem als Jim mich traurig anschaut weil er mich in den Arm nehmen wollte, ich aber verneint habe. Aber ich muss standhaft bleiben, sonst habe ich keine Chance bei Jim jemals etwas durchzusetzen. Denn wenn ich jetzt nachgebe, kann mein Ehemann mich spielend leicht um den Finger wickeln, und das will ich nicht.
Allerdings finde ich es äußerst merkwürdig, als Jim eines Abends den flauschigen Hello-Kitty-Schlafanzug aus dem untersten Fach meines Schranks holt und damit ins Bett geht, nicht ohne mir einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen. Den Schlafanzug hat er mir nur kurz nach dem Weihnachten geschenkt, in dem ich ihm den Rentierpulli geschenkt habe, seine versprochene Rache. Doch anstatt auf seinen Blick zu reagieren, gehe ich einfach weiter ins Gästezimmer, in dem ich für die Zeit dieser 'Freundschaft' schlafe. Getrennt von Jim. Ist das jetzt sein Ernst? Er benutzt das als Ersatz für mich?
Am Montag gehe ich das erste Mal zu meiner neuen Arbeitsstelle, und damit kommt noch mehr Spannung in Jims und meine Beziehung, denn ich hatte keine Ahnung mit wem ich zusammenarbeiten würde.
Meine neuen Kollegen sind alle nett, aber mein Chef, Mister Wulf, ist es nicht. Gleich am ersten Tag schnauzt er mich an, weil ich eine Minute zu spät gekommen bin, aber danach muss ich zum Glück nicht mehr mit ihm reden, weil er den ganzen Tag weg ist. Seine Sekretärin tut mir leid, denn diese sieht vollkommen überarbeitet aus.
Ich erzähle Jim bewusst nichts von Mister Wulf, denn dann würde er sofort ausrasten und auf Beschützermodus schalten.
Am zweiten Tag, also am Dienstag, muss ich Jim aber abends davon erzählen, und zwar aus einem bestimmten Grund.
Es ist kurz nach der Mittagspause und ich lerne gerade von einem meiner neuen Kollegen wie ich die Dateien am Computer verwalte, als es plötzlich Aufruhr im Büro gibt. Die laute Stimme unseres Chefs reißt uns alle aus unserer Arbeit, denn er schreit anscheinend gerade seine Sekretärin an. Ich glaube sie heißt Anna.
Plötzlich geht die Tür zu seinem Büro auf und Anna kommt heraus, sich mühsam beisammen haltend. Ohne ein Wort zu sagen, marschiert sie in Richtung der Aufzüge. Als sie an mir vorbeikommt, sehe ich dass sie kurz davor ist zu weinen.
Da stürmt Mister Wulf wutentbrannt ebenfalls aus seinem Büro. Er ist ein hoch gewachsener, schlanker Mann mit einer Glatze, und seine kalt-grauen Augen funkeln wütend. Augenblicklich stehe ich auf, so wie die meisten anderen meiner Kollegen auch, und beobachte wie unser Chef vor uns allen, gut sichtbar, stehenbleibt.
"Jetzt starrt mich nicht so an! Ich brauche eine neue Sekretärin, und zwar schleunigst!", brüllt er uns an und ich zucke unwillkürlich ein wenig zusammen. Hui, wenn das immer so zugeht...
Mister Wulf lässt seinen stechenden Blick durch den Raum voller Angestellten schweifen, bis er schließlich an mir hängenbleibt. Oh nein.
"Sie! Mitkommen!", befiehlt er mir harsch, wartet aber gar nicht auf eine Antwort von mir, sondern marschiert sofort wieder zu seinem Büro. Mit zögernden Schritten folge ich ihm, die Blicke meiner Kollegen im Rücken spürend. Warum ausgerechnet ich?
In seinem Büro sucht mein Chef nach irgendetwas in seinem Schreibtisch, während ich selbst unbehaglich davor stehen bleibe.
"Mister Wulf? Darf ich fragen warum Sie ausgerechnet mich als ihre Sekretärin haben wollen? Ich bin noch nicht mal ganz zwei Tage hier und wohl kaum für den Job qualifiziert."
"Ich brauche ein halbwegs hübsches Anhängsel für meine Pressekonferenzen und anderen Kram, deswegen müssen Sie diese Einverständniserklärung unterschreiben."
Mit einer groben Bewegung klatscht er ein Blatt Papier vor mir auf den Tisch und ich nehme es vorsichtig in die Hand.
"Ich erwarte die unterschriebene Erklärung morgen früh um sieben auf meinem Schreibtisch", befiehlt mein Chef barsch und ich lasse das Blatt wieder sinken.
"Sir, ich denke ich bin wirklich nicht geeignet für den Job", wiederhole ich energischer, doch Mister Wulf schaut ärgerlich zu mir herüber.
"Sie werden ihn annehmen, ansonsten sind Sie sofort gefeuert!"
Na toll, jetzt muss er auch unbedingt übertreiben und mir sofort drohen.
Mit zusammengekniffenem Mund bleibe ich vor dem Schreibtisch stehen, da herrscht mein unliebsamer Chef mich an.
"Haben Sie verstanden?!"
"Ja Mister Wulf", erwidere ich kühl.
"Gut", schnaubt dieser während er sich in seinen hohen, schwarzen Drehstuhl fallen lässt.
"Holen Sie ihre Sachen und richten Sie sich in ihrem neuen Büro ein."
Ständig dieser Befehlston, der geht mir langsam auf die Nerven.
Ohne ein Wort zu sagen, verlasse ich sein Büro, das Papier noch immer in der Hand. Ich habe nicht vor, diese Erklärung zu unterschreiben, egal was dann passiert.
"Und lassen Sie sich von Sybille einarbeiten!", ruft mir Mister Wulf noch hinterher und ich verdrehe die Augen. Ein Glück dass er von dort aus nicht mein Gesicht sehen kann.
Mittlerweile gehen alle wieder ihrer Arbeit nach, aber als ich zu meinem, eigentlich noch ziemlich neuen, Schreibtisch gehe und meine Tasche nehme, schauen mich einige neugierig an.
"Und? Sollen Sie jetzt wirklich als seine Sekretärin arbeiten?", erkundigt sich Frank, einer meiner, eigentlich noch ebenfalls ziemlich neuen, Kollegen und ich nicke.
"Ich habe zwar keine Ahnung wie er zu dieser Entscheidung kommt, aber ja, das soll ich. Aber wollen tu ich das nicht"
Ich lächle ihn schief an und räume mit einem Seufzen meine Sachen wieder in meine Tasche. Nicht dass ich schon groß ausgepackt hätte.
"Ist der eigentlich immer so?", erkundige ich mich mit gedämpfter Stimme, damit unser Chef das auf keinen Fall hört.
"Leider ja, fürchte ich. Allerdings ist es schlimmer geworden seit seine Frau ihn einfach mit den Kindern verlassen hat und er jetzt alleine ist", antwortet Frank mir bedauernd. Mister Wulf und Kinder? Wenn der wirklich ständig so drauf ist, ist das echt kein Wunder dass seine Frau ihn verlassen hat.
"Aha, okay. Naja, ich muss mich jetzt einrichten, bis später."
Ich hänge mir meine Tasche über die Schulter, dann gehe ich zu meinem neuen Büro, welches direkt neben dem von Mister Wulf liegt. Es ist recht beschaulich, mit einem großen Fenster direkt gegenüber der Tür, einem Schreibtisch davor und einem Drehstuhl, ähnlich dem von Mister Wulf. Außerdem stehen auf der rechten Seite zwei Aktenschränke, und auf der linken Seite befindet sich eine Tür, die anscheinend direkt in das Büro meines neuen Chefs führt. Mit einem unbehaglichen Gefühl stelle ich fest dass auf dem Schreibtisch noch einige persönliche Sachen von Anna liegen. 
Nach kurzem Suchen finde ich einen leeren Pappkarton und beginne die Sachen vorsichtig darin zu verstauen, dann kann Anna sie sofort mitnehmen wenn sie nochmal wiederkommt. Nur wenige Minuten später kann ich mich auf dem Schreibtisch ein wenig ausbreiten und schaue interessiert die Dokumente durch, die einfach darauf liegen gelassen wurden.
Da sind ein paar Unterlagen, die Mister Wulf noch unterschreiben muss, Akten von Kunden und noch mehr Dinge die ich allerdings nicht verstehe. Ich bin sowasvon ungeeignet für den Job als Sekretärin.
Als ich damit halbwegs fertig bin, mache ich mich auf diese Sybille zu finden. Sybille entpuppt sich als braunhaarige Frau mit braunen Augen, die sich freundlich lächelnd dazu bereiterklärt, Mister Wulfs 'Wunsch' mich einzuarbeiten, nachzukommen. Sie ist etwa in meinem Alter, vielleicht ein wenig älter, und ich erfahre während eines Gesprächs dass sie erst vor zwei Monaten aus dem Mutterschutz zurückgekommen ist. Ihre Tochter Jamie wird zu Hause von einer Babysitterin versorgt während Sybille selbst, wie ihr Mann, arbeiten geht.
Man sieht es der Frau ein bisschen an dass sie einmal schwanger war, aber es ist jetzt nicht super auffällig. Obwohl sie meint, dass sie heute wenig geschlafen hat und deswegen ein wenig mürrisch sei, hat sie unglaublich viel Geduld mit mir und bleibt stets freundlich wenn sie mir etwas erklärt. Ich habe sogar das Gefühl dass sie mich mag.
"Vielen Dank Sybille, jetzt kann ich wenigstens anfangen diese Herausforderung anzugehen", meine ich nach bestimmt zwei Stunden und Sybille lächelt ein äußerst sympathisches Lächeln. Sympathisch ist auch die Tatsache, dass sie beinahe sofort zum Du übergegangen ist.
"Kein Problem, immerhin musst du ganz von vorne anfangen", erwidert sie, da öffnet sich die Tür zu Mister Wulfs Büro und er kommt herein.
"Sind Sie jetzt endlich fertig?", fragt er ungehalten und Sybille schaut sofort wieder professionell drein.
"Für den Anfang ja, Sir", antwortet sie gefasst und mit einer bewundernswerten Ruhe, obwohl unser Chef alles andere als ruhig ist. Ich glaube das ist wichtig wenn man Mutter ist.
"Schön, dann bringen Sie mir einen Kaffee", motzt er in meine Richtung und die Tür geht wieder zu.
"Du Ärmste", meint Sybille zu mir und ich seufze leise.
"Ich krieg das schon hin, er ist ja auch nur ein Mensch."
Und er ist wenigstens berechenbarere als Jim wenn der seine Launen hat.
"Okay, aber wenn du Fragen hast, dann komm einfach zu mir", meint Sybille auf dem Weg aus meinem Büro zu mir und lächelt wieder. Das wäre schön wenn wir Freundinnen werden würden.
"In Ordnung, mach ich", antworte ich, das Lächeln ehrlich erwidernd, dann gehe ich weiter in Richtung Kaffeeautomat.
Erst als ich davor stehe, fällt mir auf dass ich keine Ahnung habe wie Mister Wulf seinen Kaffee haben will. Egal, wenn er mir nichts sagt, ist das nicht mein Problem.
Mit einer Tasse voller schwarzem, heißen Kaffee mache ich mich auf den Rückweg in Mister Wulfs Büro und klopfe an seine Tür bevor ich eintrete.
"Was hat das so lange gedauert."
"Entschuldigen Sie, aber da ich erst meinen zweiten Tag hier bin, musste ich den Automaten erst finden", antworte ich, ungerührt von seinem aggressiven Unterton während ich ihm die Tasse hinstelle.
"Nächstes Mal mit Süßstoff", bemerkt er nach dem ersten Schluck und ich nicke, dann warte ich. Worauf, das weiß ich auch nicht so genau.
"Wie heißen Sie eigentlich?", erkundigt er sich nach gefühlt fünf Minuten, jetzt schon weniger aggressiv.
"Melody Smith", lautet meine Antwort, wobei ich bei meinem Nachnamen kurz zögern musste. Moriarty hat mir so viel besser gefallen.
"Ah."
Erneutes Schweigen. Toll, das wird ja mal ein super Arbeitstag.

~~~

Gegen halb fünf gehe ich die Straße zu unserem Haus entlang, ganz versunken in meine Musik die ich auf dem Weg höre. Tatsächlich war der restliche Tag noch recht anstrengend, denn Mister Wulf wollte gefühlt zehn Sachen gleichzeitig von mir, und ich habe Mühe seinen Anforderungen nachzukommen. Der Computer bereitet mir momentan noch Probleme, denn die Firma benutzt eine spezielle Software um ihre Kunden einzuordnen und zu kategorisieren und da habe ich noch nicht durchgeblickt. Unangenehmerweise musste ich Sybille vier Mal um Hilfe bitten, auch wenn sie mir versichert hat, dass das kein Problem sei, dafür sei sie doch da. Trotzdem ist mir das unangenehm.
Zu Hause ist Jim bereits da als ich die Haustür aufschließe, und kommt mit einem Grinsen aus der Küche auf mich zu. Er wirkt unheimlich beschwingt, doch ich werde dadurch sofort daran erinnert dass er ja eine Freundin auf der Arbeit hat. Klar ist er da gut drauf.
"Hey", begrüße ich ihn mit einem schwachen Lächeln und protestiere nicht, als er mir einen Arm um die Schultern legt.
"Hallo", grinst er zurück.
"Warum denn so fröhlich?", frage ich nach und entwinde mich seinem Arm, um meine Jacke auszuziehen.
"Weil es bald vorbei ist, also das mit Molly. Außerdem habe ich eine Überraschung für dich."
"Super. Was denn für eine Überraschung?"
Da lacht er auf.
"Nana Mel, das sage ich dir noch nicht. Du musst dich noch gedulden."
"Mhm."
Während ich meine Tasche auspacke, fällt mir der Zettel in die Hand, den Mister Wulf, oder einfach nur Wulf, mir anfangs gegeben hat.
"Ach ja, darüber muss ich noch mit dir reden", murmele ich und Jim schaut mir neugierig über die Schulter.
"Was ist das denn?"
"Eine Erklärung dass man mich fotografieren, filmen und die Ergebnisse veröffentlichen darf", erkläre ich.
"Moment mal, ich dachte du hast einen Bürojob?!", entrüstet sich Jim, da erzähle ich ihm was heute passiert ist. Schweigend hört er mir zu ohne eine Miene zu verziehen, doch als ich fertig bin, ist sein Gesicht wie Stein.
"Auf keinen Fall wirst du diese Erklärung unterschreiben, ist das klar? Ich habe dich nicht extra verschwinden lassen damit du dann doch in irgendwelchen Zeitungen auftauchst, sichtbar für jedermann!"
"Erklär das mal meinem Chef", meine ich, die Arme vor der Brust verschränkt. Aber insgeheim stimme ich Jim zu, wenn auch aus anderen Gründen. Ich will mein Gesicht nicht neben dem von Wulf in Zeitungen sehen.
"Das werde ich auch!", braust mein Ehemann auf und beginnt wild in der Luft herumzugestikulieren, da stockt er plötzlich.
"Aber warum arbeitest du denn jetzt als Sekretärin für diesen Wulf, weigerst dich aber für mich zu arbeiten?", fragt er leicht beleidigt nach und ich schaue ihn vorwurfsvoll an.
"Jim, das habe ich dir alles schon erklärt."
Mit einem Seufzen gehe ich in die Küche um mir etwas zu essen zu machen.
"Schon gut, musst nicht gleich wieder sauer sein", meint er als er mir hinterherkommt.
"Sorry, es war heute einfach ein bisschen viel. Wann ist denn das mit Molly genau vorbei?"
"Recht bald, ich beginne nämlich das Spiel für Sherlock. Wieso, vermisst du mich etwa?"
Er grinst und ich seufze leise.
"Ja", sage ich leise, werde aber sofort wieder ernst.
"Aber ich halte es trotzdem durch."
Auch wenn eine innige Umarmung und ein Jim zum kuscheln jetzt gerade dringend nötig wären.

***

Moriarty In Love - The GameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt