O triste, triste était mon âme

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Sie war aschfahl im Gesicht und hatte gerötete Augen, die sich augenblicklich wieder mit Tränen füllten als sie den Brief, der zittrig in ihrer Hand beinahe schwebte, las.

Verzweifelt versuchte sie, Sinn und Ordnung in die Gedanken zu bringen, die ihr durch den Kopf rasten. Und immer wieder erklang in ihren Ohren, die hohle, vertraute Stimme, die nach einer Antwort auf ihre Fragen verlangte.

Wieso hatte sie bloß nicht an die Risiken und Folgen gedacht, als sie diesen unseligen Artikel schrieb?

Wie hatte sie sich einbilden können, die Wahrheit könnte stärker als Geld und Macht sein?

Vor allem aber, wie konnte ihr, ihr längst ans Herz gewachsene Professor, der so viel dafür getan hat, damit sie überhaupt diese Chance ergreifen konnte, sie einfach so vor die Tür werfen?
Er war doch jener, der sie immer wieder dazu ermutigte, die Zähne durchzubeißen, wenn sie kurz davor stand alles wieder hinzuwerfen.

In ihrem Verstand schrien Dutzende Stimmen durcheinander, Vorwürfe und Gegenwürfe, Beleidigungen und Rechtfertigungen. Reue und Trotz lieferten sich wüste Rededuelle über ihre gebückte Gestalt hinweg.

Doch egal, wie oft sie die Fragen in ihrem Kopf hin und her wendete, von wie vielen Seiten aus sie sie auch betrachtete, sie fand einfach keine Antworten darauf.

Alisha hatte wochenlang Tag und Nacht an diesem Artikel gearbeitet wie an einer Geheimwaffe. Vor allem aber hat sie sich in Sicherheit gewogen, dass ihr Pseudonym nicht zu knacken sei.
Eliza Makepeace.
Und nun hatte Eliza Makepeace verloren, denn sie war enttarnt und entdeckt worden.

Nur noch einige Monate trennten sie von ihrem größten Erfolg, für den sie seit Jahren jedes einzelne Opfer auf sich genommen hatte.
-Ein Stipendium.

Wie die Vogelscheuche ohne Hirn, der Zinnmann ohne Herz und der Löwe ohne Mut aus den Lieblingsmärchen ihrer Kindheit hatte sie den Zauberer von Oz gesucht, damit ihr Wunsch in Erfüllung ging. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass die böse Hexe ihr eine Falle stellen würde. 

Alishas Arbeit über die rote Gefahr, mit der sie das Stipendium für sich gewinnen wollte, war beinahe fertig und jetzt war all ihr Einsatz, den sie nur ertragen hat, weil sie ihr Ziel erreichen wollte, vernichtet.

Langsam, unwiderstehlich wie Flutwasser, das einen mürben Staudamm durchdringt, und sich immer breitere Kanäle schafft, immer neue Risse verursacht, sickerte die Erkenntnis in ihren Verstand, was sie alles aufs Spiel gesetzt und verloren hatte. 

Sie hatte in den vergangenen Monaten so viel Glück gehabt - es schien ihr fast, als hätte sie all ihre zustehende Glücksvorräte dieses Lebens schon bis zur Neige ausgeschöpft.

Der Regen, der leicht begonnen hatte, fing an heftig zu prasseln und sie begann herzzerreißend zu schluchzen. Lange zurückgehaltene Tränen durften unter dem dunklen Regenschleier endlich vergossen werden.

You'll never be aloneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt