In den nächsten Tagen lief wieder alles seinen gewohnten Gang. Ich hatte total viel Spaß mit Isabell und Alina. Außerdem freute ich mich irgendwie schon auf Sonntag. Ich hatte mich dazu entschieden Miss Jones Angebot anzunehmen und am Sonntagmorgen in den Stall zu gehen. Abbrechen konnte ich das ganze Experiment ja immer noch.
Pünktlich um 9:00 Uhr betrat ich am Sonntagmorgen den Stall. Es war niemand da und ich war drauf und dran wieder umzukehren, denn allein die Anwesenheit der vielen Pferde machte mir Angst. Nach weiteren drei Minuten ging ich völlig fertig nach draußen und lehnte mich erleichtert an die Stallwand. Ich hatte die ganze Zeit panisch im Stall gestanden und ängstlich die Pferde beobachtet – ich konnte mich einfach nicht rühren. Die Erinnerung an den Unfall war sofort wieder zurückgekehrt. Die ganzen Bilder liefen wie ein Kinofilm in meinem Kopf rauf und runter. Erst zehn Minuten später erschien Miss Jones. „Entschuldige bitte, Emily, ich habe es nicht eher geschafft!" „Macht nichts!", erwiderte ich knapp. „Na dann komm, lass uns reingehen!" Ich zögerte. Mir war gar nicht wohl bei der Sache und am liebsten wäre ich einfach davongelaufen. „Emily, kommst du?" „Ich kann das nicht! Ich kann da nicht rein gehen!", sagte ich und war den Tränen nahe, was mir allerdings gar nicht gefiel. Ich war doch kein Kleinkind mehr! „Hast du wirklich so große Angst vor Pferden?", wollte Miss Jones wissen. „Wenn es nicht so wäre, würde ich wohl kaum so ein Theater machen. Ich bin nämlich keine gute Schauspielerin!" „Weißt du, wenn es nach mir ginge, müsstest du auch gar nicht reiten, aber Frau Bernd besteht darauf", sagte Miss Jones lächelnd. „Aber glaub mir, Pferde sind so wundervolle Tiere!" „Sie haben ja auch sicher nicht das erlebt, was ich durchmachen musste." „Das stimmt! Ich kenne deine Geschichte nicht, aber ich verspreche dir, dass du es nicht mit einem schwierigen Pferd zu tun bekommen wirst. Ich pass auf dich auf." „Mir wurde damals auch gesagt, dass das Pferd gaaanz lieb ist. Ein lautes Geräusch und das blöde Vieh tickt komplett aus." Miss Jones ging einen Schritt auf mich zu und nahm meine Hand. „Emily, ich verspreche dir, dass dir nichts passieren wird. Außerdem sollst du ja auch noch nicht heute reiten!" Ich ließ mich schließlich dazu überreden, doch einmal den Stall zu betreten. Ganz langsam folgte ich Miss Jones. Plötzlich schoss der Kopf eines Pferdes aus der Box und berührte mich am Arm. Ich schrie auf und sprang zur Seite. Miss Jones konnte sich dagegen das Lachen nicht verkneifen. „Lotta ist ein wenig frech. Sie erschreckt einen leidenschaftlich gerne, das ist sozusagen ihr Hobby." „Sie hätten mich ja auch vorwarnen können." „Ja, es tut mir leid. Aber Lotta würde auf keinen Fall jemanden beißen oder so. Zumindest hat sie das bisher noch nie gemacht!" Das ganze wurde immer unheimlicher, aber wusste, dass ich das jetzt durchstehen musste. Wenig später blieb Miss Jones vor einer Box stehen, ich wartete einige Schritte entfernt. „Du kannst ruhig näher kommen", forderte sie mich auf. Ich machte einen Schritt, langsam und zögernd. Schließlich stand ich auch vor der Box, neben Miss Jones. „Das ist Charlie", sagte sie und deutete dabei auf das Pferd in der Box. Ein hellbrauner Araber Hengst sah mich neugierig an. „Wenn du magst, dann unterrichte ich dich auf ihm!" „Ich will aber nicht reiten!", weigerte ich mich weiterhin. „Charlie ist mein Pferd und ich kann dir versichern, dass er ein ganz Lieber ist." „Wie gesagt, das hat man mir damals auch versprochen und ich wurde trotzdem abgeworfen. Mag ja sein, dass er brav ist, aber ich glaube trotzdem nicht, dass ich meine Angst vor Pferden überwinden kann." „Wenn ich dir dabei helfe, dann schaffst du das!" „Was würde denn passieren, wenn ich mich weiterhin weigere zu reiten?" „Nun ja, Frau Bernd ist da glaube ich ziemlich skrupellos. Ich denke mal dass sie als erstes deine Eltern informieren wird. Wenn das allerdings nichts hilft, wirst du im schlimmsten Fall von der Schule verwiesen oder man wird dir nahe legen, dass eine andere Schule geeigneter für dich wäre. Was dann im Endeffekt aber auf das gleiche hinaus läuft." „Das wäre schlecht", sagte ich mehr zu mir selbst als zu Miss Jones. „Eben deshalb möchte ich dir ja helfen. Es wäre doch schade, wenn du dich wieder an eine neue Schule gewöhnen müsstest. Zumal ich den Eindruck habe, dass du schon Freundschaft mit Alina und Isabell geschlossen hast." „Aber was soll ich denn machen? Ich kann doch nicht von heute auf morgen meine Angst unter Kontrolle haben?!" „Pass auf, ich schlage dir was vor. Wenn du mir versprichst, dass mit mir zusammen arbeitest und dir von mir helfen lässt, werde ich mit Frau Bernd und der Direktorin sprechen und sie bitten, dass du zuerst einmal Einzelunterricht bei mir bekommst. Den Unterricht gestalte ich dann auf meine Weise!", sagte sie und zwinkerte mir zu. Ich dachte eine Weile nach und kam dann zu dem Schluss, dass es wohl das Beste war. Mir blieb ja nichts anderes übrig. „Meinetwegen", stimmte ich zu. „Ich glaube aber, dass ich eine schwierige Schülerin sein werde", sagte ich halb scherzend und halb ernst. „Das macht nichts. Ich bin sehr geduldig!" „Gut, dann kann ich ja jetzt gehen", sage ich hoffnungsvoll, nachdem das ja nun geklärt war. „Nein, das kannst du nicht. Bevor du gehst, musst du Charlie wenigstens einmal streicheln. Du sollst den Stall zumindest mit dem Gefühl verlassen, dass Pferde keine Bestien sind!" „Wenn es sein muss...", sagte ich. Miss Jones streckt ihre Hand durch die Gitterstäbe der Box und lockte Charlie ans Gitter. Doch anscheinend hatte er keine Lust. Er beobachtete seine Besitzerin kaum und knabberte gelangweilt an seinem Heu. Das kam mir gerade recht. Doch kurz entschlossen öffnete Miss Jones die Box. „Lassen Sie ihn doch. Er will doch nicht und eigentlich bin ich auch gar nicht so scharf darauf, ihn jetzt zu streicheln." „Keine Widerrede! Du hast versprochen, ihn zu streicheln." „Ich habe gar nichts versprochen! Sie haben mich praktisch dazu gezwungen!" Miss Jones nahm Charlie am Halfter und zog ihn in meine Nähe. Im gleichen Moment wich ich einige Schritt zurück. „Hey, du musst keine Angst haben", versuchte sie mich zu beruhigen. Miss Jones tätschelte Charlie den Hals. „Schau dir doch mal seine Augen an", sagte sie. „Sie sind so unglaublich sangt. Ich habe mich sofort in sie verliebt." Ich sah Charlie in die Augen. Gut, ich musste zugeben, dass er wirklich sehr sanfte Augen hatte, aber hatten nicht alle Pferde solche Augen? „Nun streichle ihn doch mal! Er tut dir wirklich nichts!" Ich nahm als all meinen Mut zusammen und streckte meine Hand aus. Ganz vorsichtig berührte ich Charlie an den Nüstern. Dann zog ich meine Hand schnell wieder weg. „Das war aber nicht wirklich nicht gestreichelt!", meinte Miss Jones vorwurfsvoll. Wieder streckte ich meine Hand aus. Doch dann versuchte Charlie, meine Hand mit seinen Lippen zu beknabbern. Das war eindeutig zu viel! Ich zog meine Hand wieder weg. „Er will dich doch nur beschnuppern und kennen lernen. Er will schließlich wissen, mit wem er es zu tun hat!" Miss Jones ließ Charlie los und nahm meine Hand. Da spürte ich plötzlich ein seltsames Kribbeln im Bauch, was ich allerdings auf die Aufregung schob. Miss Jones legte meine Hand auf die Stirn ihres Pferdes und führte meine Hand dann nach unten bis zu den Nüstern. Sobald sie mich wieder losließ, zog ich meine Hand schnell wieder weg. Nicht dass Charlie noch auf die Idee kam, mich zu beißen. „Das war doch schon mal ganz gut", sagte Miss Jones. „Dann kann ich ja jetzt gehen!" „Ja, geh nur! Ich kann mir schon vorstellen, dass du noch etwas mit deinen Freundinnen unternehmen willst. Außerdem war das wirklich genug für heute!" „Danke für Ihre Hilfe!", sagte ich leise. „Kein Problem! Wenn du magst, können wir uns Morgen wieder hier im Stall treffen. Ich bin dann auch pünktlich!", setzte sie mit einem Lächeln hinzu. Ich war einverstanden. Doch nun machte ich mich schnell aus dem Staub. Für heute hatte ich eindeutig genug von Pferden...
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In Your Arms
RomansaEmily hatte es nie wirklich leicht im Leben. Sie wurde von einem Kindermädchen großgezogen, da ihre Eltern aus "beruflichen Gründen" keine Zeit für sie hatten - das behaupten sie zumindest. Die Wahrheit ist aber, dass Emily ihren Eltern ziemlich ega...