Der Zuckerwattemann

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Schon das zweite mal in einer Woche musste sie raus um einen Tatort zu begutachten. Jedes mal das gleiche Theater: Ein Keller in dem Frauenleichen liegen. Nach einer Studentin und einer Friseuse die anscheinend nichts miteinander zu tun gehabt haben nun ein Obdachloses Mädchen. Zwei Keller, drei Leichen... „23 für die Verschwörungstheoretiker" dachte sich Susanne und grinste in sich hinein. Die ersten beiden Leichen wurden in einem kleinen Miethaus in einem Vorort gefunden. Ein Kellerfenster war eingedrückt und der Hebel innen nicht wieder geschlossen worden. Nachbarn hatten die Polizei wegen Geruchsbelästigung gerufen, die von den verwesenden Körpern ausging. Und nun hatte ein Hausmeister der sich offensichtlich in einem Zustand der geistigen Umnachtung befand, den Notruf gewählt und irgendwelches wirre Zeug gebabbelt von Zuckerwatte und Jahrmarkt. Als man ihn abholen wollte fand man die Leiche im Keller. Susanne seufzte und schaute gelangweilt in die Landschaft. Es war Sommer und viel zu warme 35°C im Schatten bei Luftfeuchtigkeit um 80%. Eigentlich geeignetes Wetter für einen Urlaub im Norden, Skandinavien oder wenigstens Irland. Sie sehnte sich nach den rauen Hügellandschaften, dem kühlen Wind und der Einsamkeit und Ruhe. Doch keine Chance auf Urlaub solange Schulferien waren, da hatten die Kollegen mit Familie Vorrang. Vielleicht wäre es ja Zeit sich einen Mann zuzulegen... auch wenn nur um den Vorteil abzustauben in der Sommer Hochsaison Urlaub nehmen zu können. In Träumereien versunken bemerkte sie erst dass sie an ihrem Ziel vorbeigefahren war als sie schon mehrere Straßenzüge weiter weg war. Seufzend wendete sie und fuhr langsam zurück, in der Hoffnung dass der Tatort vielleicht wie durch ein Wunder verschwunden war. Doch da stand es: ein heruntergekommenes Mehrfamilienhaus inmitten der Pastellfarbenen Einfamilienhäusern. Mit Fenstern die von vergilbten Vorhängen verhangen oder blind vor Staub waren passte dieses Haus nicht wirklich in die fast schon luxuriöse Wohngegend mit den hellen Häusern und großen Gärten. Ein großes Schild verkündete optimistisch die Botschaft „Hier entstehen in Kürze zwei Einfamilienhäusern". Der Zustand des Schildes sprach eher die Botschaft „Wenn mal jemand das Geld hat kann es sein dass er es dafür investiert diesen Betonklotz abzureißen und das Gelände anderweitig zu nutzen" aus. Ein paar Jugendliche hatten den Trieben ihrer tierischen Vorfahren nachgegeben und daran ihr Revier markiert. Susanne ging über die geborstenen Platten des Gartenwegs auf die Eingangstüre zu. Die meisten der Namensschilder waren zu verkratzt, als dass man noch die Namen hätte erkennen können die sie wiedergeben sollten. Doch Susanne musste so oder so nicht klingeln, man hatte dem Hausmeister die Zentralschlüssel abgenommen. Beim vierten Versuch glitt der Schlüssel in das stark lädierte Schlüsselloch der Eingangstüre und nach drei weiteren Versuchen lies er sich drehen. Die Türe quietschte entgegen jeder Erwartung nicht und Susanne trat ein. Sie betrat einen Flur den man in einem Klischee-Waisenhaus der 70er erwarten würde: Der Boden war mit groben braunen Fliesen bedeckt und an der Wand ließen sich die Überreste einer mintgrün-weiß gestreiften Tapete erkennen. Bis auf die paar Postfächer die im Gegensatz zu den Anderen nicht überliefen gab es kein Zeichen dafür dass hier überhaupt noch jemand lebte. Zwei der drei Erdgeschoss Wohnungen waren aufgebrochen worden und durch die geborstenen Türen sah man in leere Wohnungen ohne jegliche Einrichtung. Eine Tür aus alten Bodendielen die von einem altmodischen Knebel geschlossen wurde führte hinunter in den Keller. Diese Türe holte alles auf, was die Eingangstüre zu wenig gequietscht hatte. Es hörte sich an als würden die Scharniere in Todesqualen aufschreien während sie aneinander zerrieben wurden. Schaudernd betrat Susanne die schmale Treppe mit schiefen Stufen die in den Keller führte. Im Keller war es dunkel und erst nach längerem Tasten fand Susanne einen altmodischen Drehschalter, der eine einzelne, nackte Glühbirne an der Decke des Ganges schaltete. Dieser Flur sah aus als wäre er seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr verwendet worden, wären nicht die Fußspuren in der Staubschicht die den Boden bedeckte. Grob gemauerte Wände grenzten die unterschiedlichen Kellerräume ab, in die Türen führten, von denen jede aussah als wäre sie aus einem Bunker ausgebaut worden. Die letzte Tür war mit Absperrband notdürftig „versiegelt" worden und ein kleines Messingschild behauptete, dass sich dahinter der Heizraum befand. Susanne konnte sich ein grinsen nicht verkneifen als sie das gepfuschte Siegel sah und daran dachte wie pingelig die Jungs normalerweise arbeiteten, aber der Sommer machte wohl nicht nur ihr zu schaffen. Sie riss das Band ab und öffnete die Türe, nur um sich zu wünschen es nicht getan zu haben. Aus dem Heizungsraum stieg eine schwüle, abgestandene Luft hinaus die sogar der normalen Sommer-schwüle noch einiges beibringen konnte. Als sie das Licht anmachte beleuchtete eine weitere nackte Glühbirne ein Gewirr aus Rohren in das zwischendrin verschiedenste Boiler und Kessel eingebaut waren. Eine wacklig aussehende Metallkonstruktion führte in die Tiefe, wo man den Widerschein einer weiteren Glühbirne sehen konnte. „Das ist ja wie in einem schlechten Film", dachte sich Susanne und begann die Treppe hinab zu steigen. Als sie in etwa die Hälfte der Treppe hinter sich gebracht hatte hielt sie verdutzt an als es plötzlich nach Zuckerwatte zu duften begann. Nach kurzer Verwirrung erinnerte sie sich „Ach stimmt ja, das war ja bei den Anderen auch so gewesen". Kopfschüttelnd ging sie weiter. Von dem Gewirr der Rohre das oben herrschte, hatte sie erwartet dass am Ende der Treppe ein ähnliches durcheinander herrschte, doch dem war nicht so. Die Rohre bildeten das Dach für eine Art Raum. In dem „Raum" stand eine Werkbank und darauf ein Regal das mit unterschiedlichsten Bauteilen und Krimskrams beladen war. Trotzdem wirkte alles recht ordentlich, der Boden war gefegt und die Werkzeuge alle an ihrem Platz. Blieb nur noch die Leiche zu finden. Die Jungs von der Spurensicherung hatten gemeint das würde man sofort sehen wenn man nach links schaut. Dummerweise war links von ihr Dunkelheit wie sie sonst nur in einem geschlossenen Kühlschrank herrschte. Susanne verfluchte sich dafür dass sie die Taschenlampe im Auto hatte liegen lassen, doch kurz darauf hatte sie in einer der Schubladen unter der Werkbank eine gefunden, und sie funktionierte sogar noch. Susanne begab sich nach links und schaute sich die Leiche an. Das gleiche wie bei den beiden Anderen: Bissspuren überall am Körper und penetranter Geruch nach Zuckerwatte der sich mit dem Gestank der einsetzenden Verwesung vermischte. Keine neuen Erkenntnisse. Susanne fragte sich sowieso wieso sie jedes mal nochmal hin musste, auch wenn die Spurensicherung schon abgeschlossen war. Seufzend ging sie wieder zu der Werkbank und legte die Taschenlampe zurück, als ihr plötzlich ein kleiner Beistelltisch auffiel der etwas abseits in einer Ecke stand. Darauf war ein Jahrmarkt aufgebaut der anscheinend komplett aus Holz geschnitzt war. Es war der perfekte Kinderbuch Jahrmarkt mit Riesenrad, Geisterbahn, Karussells und einer Menge Essensständen. Er war bevölkert von kleinen Figuren die so lebensecht aussahen als wären es echte Menschen die in Holz verwandelt worden sind. Die meisten Teile waren beweglich, was dem ganzen Konstrukt einen Anschein von Leben gab. Verträumt lächelnd betrachtete Susanne das wimmelbildähnliche Szenario. Dabei fiel ihr auf, dass alle Stände mit einem Verkäufer besetzt waren, bis auf den Zuckerwattestand. Durch Zuckerwatte wieder an den Mord erinnert wandte sie sich ab, hier gab es nichts mehr für sie zu tun. Sie schaute noch einmal kurz in die Runde um zu sehen ob sie alles wieder an den zugehörigen Platz gelegt hatte und begann wieder in Richtung Ausgang zu gehen. Doch als sie die schmale Treppe hinter sich gelassen hatte und wieder auf dem schmalen Absatz stand blieb sie verwirrt stehen und starrte auf die Holztüre die aus dem Raum hinaus führte. War die Türe vorhin nicht noch aus Metall gewesen? „Wird echt Zeit dass ich nach Hause komm, ich fang ja schon an zu halluzinieren." Sie schaute nochmal kurz in die Runde um zu sehen ob sie vielleicht doch irgendwie eine andere Treppe erwischt hatte, doch sie konnte nur die eine sehen und die Konstellation der Rohre schien ihr auch die gleiche zu sein. Kopfschüttelnd öffnete sie die Türe und trat in den Flur hinaus. Zumindest der sah noch genauso aus wie davor: dieselben gemauerten Wände, Bunkertüren und dieselbe Staubschicht. Nach einem weiteren Kopfschütteln das ihrem geistigen Zustand galt ging sie weiter auf das Treppenhaus zu, in der Hoffnung dass es draußen inzwischen etwas kühler geworden war. Doch je weiter sie kam desto mehr Veränderungen fielen ihr auf. Die Treppe war nicht mehr ganz so schmal sondern angenehm breit und die Stufen waren mit Holz verkleidet. Und dann das Blut. Überall waren Blutspritzer. Auf den Wänden, auf dem Boden und auf dem Treppengeländer. Susanne musste schlucken. Das war eindeutig nicht das Haus das sie heute Mittag betreten hatte. Es war als hätte jemand dem ganzen Haus eine neue Tapete übergeworfen, doch es war keine schöne Tapete sondern eher eine die von einem Künstler entworfen wurde der sich als Lebenswerk gesetzt hatte das Haus in einen Horrordrehort zu verwandeln. Schaudernd zwang sich Susanne weiter nach oben zu gehen. Doch als sie die Türe zur Eingangshalle öffnete bereute sie es sofort. Wenn das Treppenhaus zum Keller für einen Horrorfilm gedacht war, dann war die Eingangshalle für einen Splatter kreiert worden. Die Postfächer waren immer noch am überlaufen, mit dem kleinen Unterschied, dass es jetzt Leichenteile verschiedenster Art waren an denen das heruntergelaufene Blut sich verkrustet hatte. Auf dem Boden waren die Blutlachen teilweise noch frischer und an den Wänden waren blutige Handabdrücke die sich beim Trocknen unlöslich mit der Tapete verbunden hatten. Die geborstenen Scheiben der Eingangstüre waren ebenfalls mit Lebenssaft verziert und jemand schien versucht zu haben das Haus auf diesem Weg zu verlassen, seine Hand hing immer noch an dem Knauf. Und zu allem Überfluss mischte sich der allgegenwärtige Verwesungsgestank noch mit dem penetranten Geruch der Zuckerwatte zu einem ekelerregenden süßlichen Mischmasch der Susanne versuchte das Mittagessen zu klauen. Sie taumelte auf die Türe zu, schlug mit einer angeekelten Handbewegung die Hand vom Knauf und stürzte sich an die frische Luft. Doch obwohl die Luft nicht mehr so stank war doch der Anblick der sich ihr bot, irritierend genug dass ihr kurz der Atem stockte. Sie stand mitten in einem postapokalyptischen Albtraum. Susanne lies ihren Blick über den geborstenen Asphalt und die abgeknickten Strommasten gleiten. Mit viel Fantasie konnte man hinter den halb zerfallenen Ruinen und den ausgebrannten Blechklumpen am Straßenrand die Straße erkennen die noch heute Mittag gewesen war. „Ich träume doch, oder?", fragte sich Susanne und zwickte sich in den Arm „Was zur Hölle ist hier passiert?" Erschüttert lies sie sich auf die Überreste eines Blumenkübels sinken und versuchte logisch nachzudenken. Sie war in den Keller gegangen, da war noch alles in Ordnung gewesen, mal abgesehen von dem seltsamen Gefühl das sie immer befiel wenn sie in alten Häusern war. Und seit sie den Heizraum durch eine andere Türe verlassen hatte stand alles Kopf. Das musste es sein, es war doch eine Andere Türe! Sie musste einfach nur zurück in den Keller und nochmal durch den Heizraum dann war sie wieder daheim. Es musste so sein. Susanne stand auf und ging wieder auf den Eingang des Hauses zu, denn sosehr sie auch der Gedanke nochmal durch die Eingangshalle zu müssen anekelte, der Wunsch wieder zurück zur Normalität zu kommen war größer. Doch als sie wieder in der Eingangshalle stand traute sie ihren Augen kaum: da wo einmal die Treppe in den Keller gewesen war, stand nun eine Wand die erfolgreich den Eindruck zu erwecken versuchte schon immer hier gewesen zu sein. Von der Absurdität dieser Situation überwältigt verfiel Susanne in eine hysterische Mischung aus lachen und schluchzen. Das Lachen, welches eher dem Geschrei eines Wahnsinnigen glich hallte in dem leeren Treppenhaus wieder und wieder, bis sich die verschiedenen Echos miteinander vermischten und gemeinsam ein Lied des Irrsinns bildeten. Als sich Susanne wieder soweit beruhigt hatte, dass ihr der Widerhall ihres Gelächters Angst zu machen drohte, wischte sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln und wendete um das Haus wieder zu verlassen und draußen darüber nachzudenken was sie jetzt tun sollte. Doch als sie schon fast wieder an der Türe war spürte sie dass sie nicht Alleine hier war. Hektisch drehte sie sich um und sah ein kleines Mädchen auf dem Absatz zum ersten Obergeschoss sitzen, das sie aus großen Augen anstarrte. Das Mädchen trug ein ausgebleichtes Kleid das wohl mal blau gewesen sein mochte, wobei es im Vergleich zu der düsteren Umgebung wie ein Blumenstrauß im Krankenhaus wirkte. Ihr langes, schwarzes Haar fiel ihr offen über die Schultern und bildete einen starken Kontrast zu der bleichen Haut und dem hellen Stoff. Bevor Susanne sich überlegen konnte wie man wohl ein kleines Mädchen anspricht das in einem Haus voller Blut und Leichenteile auftaucht wurde sie auch schon von dem Mädchen angesprochen. „Du kommst von drüben, nicht wahr?", fragte es und starrte Susanne weiterhin an, dass sie sich fühlte als hätte sie ein Sakrileg begangen. „Drüben?", erwiderte Susanne etwas verwirrt und versuchte dem Blick des Mädchens standzuhalten. „Na von der anderen Seite, aus dem Keller.", erklärte das Mädchen mit kindlicher Geduld. „Ja, ich komme aus dem Keller", meinte Susanne etwas zögerlich und fragte was das eigentlich für ein Mädchen war. „Gut", meinte dieses daraufhin fröhlich „Komm mit!". Dann stürmte sie die Treppe hinauf. Susanne folgte nach kurzem Zögern, was sollte das kleine Mädchen ihr schon anhaben können? Schon als sie den ersten Absatz erreicht hatte war der Zuckerwattegeruch um einiges schwächer geworden und die Wände konnte man, abgesehen von dem allgemeinen heruntergekommenen Eindruck, fast schon als sauber bezeichnen. Als sie das zweite Obergeschoss erreichte, wo das Mädchen auf sie gewartet hatte, sah der Flur fast schon wieder aus wie von der „normalen" Welt, als wäre sie über die Treppe wieder zurückgekommen. Während sie dem Mädchen durch die Gänge folgte machte sie sich das ersten mal seit ihrer „Ankunft" Gedanken darüber wo sie hier eigentlich gelandet war. Eine Art Paralleluniversum? Susanne musste bei diesem Gedanken grinsen, hatte sie sich doch sonst gerne über jene lustig gemacht die sich mit diesen fantastischen Romanen auseinander gesetzt haben... und jetzt schien sie selbst sich in ihrer Fantasie verloren zu haben. Sie schüttelte den Kopf, es hatte keinen Sinn sich darüber Gedanken zu machen, entbehrte diese Welt doch offensichtlich jeglicher Logik. Mit einem Seufzer beschleunigte sie um mit dem Mädchen mitzuhalten das fröhlich vor ihr her hüpfte. Vor einer Türe, die sich nicht wirklich von den Anderen auf dem Flur unterschied blieb es stehen, drehte sich zu Susanne um, strahlte sie an und sagte nicht ohne Stolz in der Stimme „Hier wohne ich!" und öffnete mit einem leichten Knicks die Türe und hieß sie mit einer einladenden Handbewegung einzutreten. Der Einladung folgend betrat Susanne das Apartment das aus einem großen Zimmer mit Ess-Küche und Sofaecke bestand und zwei Türen aufwies von denen eine dem Schloss nach zu urteilen in ein Bad führte und die Andere wohl in das Schlafzimmer. Wie erwartet machte auch hier alles einen alten Eindruck, wenn es auch ordentlicher und weniger heruntergekommen war als sie erwartet hatte. Das Mädchen das ihr in die Wohnung gefolgt war schloss die Türe hinter sich und ging zu der Küche. „Willst du was trinken?", fragte es während sie Susanne fragend ansah. „Gerne", erwiderte diese und setzte sich auf einen der Stühle am Tisch. An das Mädchen gewandt das im Kühlschrank herumsuchte fragte sie „Lebst du alleine hier?". Es drehte sich um mit zwei Limonade-Flaschen in den Händen, schob mit einem Ellenbogen die Kühlschranktür zu und meinte schlicht „Ja". Da ihr das Thema unangenehm zu sein schien beließ Susanne es dabei und nahm einen Schluck von der Limonade. Nachdem sie eine Weile schweigend dagesessen waren fragte das Mädchen unvermittelt „Wie heißt du?". Susanne antwortete „Susanne, und du?". „Ich heiße Laura", erwiderte das Mädchen und ergänzte „Du hast einen schönen Namen". Susanne musste unweigerlich lächeln und meinte „Du hast aber auch einen schönen Namen". Laura kicherte und nach einer kurzen Pause meinte sie „Du bist die erste Erwachsene die ich hier sehe seit die anderen weg sind". Susanne stellte erstaunt die Flasche ab und fragte „Die Erwachsenen sind alle weg?". „Ja", erwiderte Laura, „Sie sind alle nach drüben gegangen weil sie Angst vor dem Zuckerwattemann haben". „Und wieso bist du noch hier?", fragte Susanne leicht überrascht. „Ich wollte nicht mit", meinte Laura leicht verlegen, „da drüben ist es nicht besser als hier heißt es, nur anders schlimm. Das will ich nicht, solang der Zuckerwattemann da unten ist und nicht hier hoch kommt bleib ich lieber hier". „Was ist dieser Zuckerwattemann eigentlich?", fragte Susanne und trank noch einen Schluck. Laura schaute Susanne an und sagte „Du würdest mir nicht glauben, es klingt wie ein Märchen...". Susanne schaute auf und erwiderte „erzähl einfach, selbst wenn es ein Märchen ist". Da begann Laura zu erzählen.
Vor langer Zeit lebte in dem Keller ein böser Mann. Er hatte sich vor Verbitterung über die Welt zurückgezogen, denn er war hässlich anzuschauen und niemand wollte ihm eine Arbeit geben. Auch fand er keine Frau die es längere Zeit mit ihm ausgehalten hätte. Doch so hässlich er auch war, so begabt war er als Schnitzer und er schnitzte sich zum Zeitvertrieb während den langen Stunden die er dort unten verbrachte einen Jahrmarkt wie man ihn sich nur erträumen könnte. Es gab alles was zu einem solchen Jahrmarkt dazugehört. Doch als er nach Jahrelanger Arbeit fertig war, hatte er nur die Hülle des Jahrmarkts, nicht aber die Menschen die ihn bevölkern sollten. Also begann er einen Menschen zu schnitzen, doch es wollte ihm einfach nicht gelingen. So sehr er sich auch plagte, er hatte sich zu wenig mit den Menschen auseinandergesetzt als dass er einen im Holz nachbilden konnte. Da wurde er wütend über die Menschen, die sich sogar zu fein waren um sich von ihm schnitzen zu lassen. Doch er beherrschte auch dunkle Magie und so verzauberte er die Figur, dass sie die Menschen jagen und in den Jahrmarkt sperren sollte, damit sie ihn bevölkern mussten. Und weil es der Verkäufer für den Zuckerwattestand hätte werden sollen Nannte er ihn den Zuckerwattemann. Aber der Mann hatte einen Fehler gemacht und der Zuckerwattemann fing an die Menschen die in dem Haus lebten zu töten. Die Leichen der Menschen die er getötet hatte fingen an nach Zuckerwatte zu riechen, doch viel war von denen nicht übrig, denn der Zuckerwattemann verspeiste die meisten Leichen. Der böse Mann ärgerte sich weil der Zauber misslungen war, aber weil jeder getötete Mensch als kleine Figur in seinem Jahrmarkt auftauchte und die Menschen ihre Strafe bekamen lies er den Zuckerwattemann gewähren. Doch dann kam der große Krieg und es gab immer weniger Menschen die hier wohnten. Der Zuckerwattemann suchte und suchte, aber er fand keine Menschen mehr. Also kehrte er zurück zu dem einzigen Menschen der dort noch lebte, dem bösen Mann der auch im Krieg seinen Keller nicht verlassen hatte. In Todesangst versuchte der Mann seine Kreatur mit einem Bann an den Jahrmarkt zu binden, doch er schaffte es nicht und wurde wie alle anderen in seinem Jahrmarkt eine Figur. Doch der Bannspruch begann trotzdem zu wirken. Aber statt den Zuckerwattemann in den Jahrmarkt zu sperren, verhinderte er nur dass der Zuckerwattemann den Keller verlassen konnte. Man sperrte den Keller zu und mit der Zeit vergasen die Menschen den Zuckerwattemann. Die Zeit verging und die Welt begann sich aufzulösen. Der Raubbau den die Menschen an ihr betrieben hatten war am Ende zu viel gewesen. Alle fragten sich was nun zu tun sei, aber kein Forscher oder Wissenschaftler hatte eine Lösung. Also wandten sich die Mächtigen an die Mystiker und Schamanen die es noch gab. Nach langer Zeit hatten die eine Möglichkeit entwickelt zu einer anderen, jüngeren Welt zu wechseln indem sie an Orten der Macht Portale erbauten. Und auch in diesem Keller war ein solcher Ort der Macht. Da sich niemand an den Zuckerwattemann erinnerte öffnete man ihn wieder und erbaute ein Portal. Aber durch die Portale waren die Orte der Macht verbunden und der Zuckerwattemann erwachte aus seinem langen Schlaf. Die meisten welche versuchten hinüberzukommen wurden von ihm vernichtet. Die Überlebenden fragten sich was zu tun war. Da kam ein Schamane der meinte man könne die Kreatur einschläfern, aber als sie das machten konnten zwar viele rüber aber nach einiger Zeit erwachte er wieder und vernichtete die, die nicht schnell genug wegkamen. Die Nachzügler versuchten nach und nach in kleinen Gruppen doch noch rüber zu kommen. Doch der Bannzauber des alten Mannes wurde schwächer und der Zuckerwattemann begann aus den Kellern hinauszukommen, die durch die Punkte der Macht verbunden waren. Als sie das bemerkten wollten die meisten Menschen sofort fliehen, doch die meisten schafften es nicht. Der Zuckerwattemann verstümmelte ihre Körper und verteilte sie in den Häusern die über den Punkten der Macht standen. Die Menschen trauten sich nicht mehr zu den Portalen und so blieb es eine Weile ruhig, bis die ersten von drüben kamen. Durch einen Fehler war es einer jungen Frau gelungen durch das Portal zu uns zu wechseln, doch sie überlebte nicht lange, denn der Zuckerwattemann vernichtete sie als sie versuchte wieder Heim zu kehren. Mit der Zeit kamen noch zwei weitere von drüben, aber auch sie überlebten nicht lange, da sie trotz der Warnungen versuchten heim zu kommen. Also beschlossen die Menschen hier alle Tore bis auf das eine zu vernichten und durch das letzte selbst hinüber zu wechseln.
„Ich wollte nicht rüber, also habe ich mich versteckt. Bei den vielen Menschen haben die mich nicht gefunden", beendete Laura ihren Vortrag und nahm erst mal einen tiefen Schluck aus der Flasche. Susanne die seit Laura angefangen hatte zu erzählen nur zugehört und ab und an was getrunken hatte lehnte sich langsam in dem Stuhl zurück. „Also muss ich nur wieder irgendwie in den Keller kommen, zu dem es keine Tür mehr gibt, um wieder nach Hause zu kommen?", fragte sie und schaute Laura dabei fragen an. „Die Türe gibt es", erwiderte Laura, „man sieht sie nur nicht gut. Aber willst du wirklich da runter? Er könnte dich erwischen!" „Ich muss", sagte Susanne, „Ich kann nicht hierbleiben, das ist nicht mein zu Hause." Laura schaute traurig in ihre Flasche und sagte ganz leise „Aber dann bin ich hier wieder alleine". Als Susanne das Mädchen da so sitzen sah, bekam sie Mitleid mit ihr, immerhin war sie noch ein Kind und lebte ganz alleine hier. Einer plötzlichen Eingebung folgen meinte sie „Willst du nicht mitkommen?" Laura starrte sie an als hätte sie gerade gestanden ein Alien zu sein. „Du würdest mich wirklich mitnehmen?", Susanne sah in ihren Augen wie die Angst vor dem Wesen das dort unten hausen sollte mit der Hoffnung kämpfte endlich wieder andere Menschen zu sehen. „Ich passe auf dich auf, du brauchst keine Angst zu haben", sagte Susanne lächelnd und Laura musste auch lächeln als sie erwiderte „Okay, ich komme mit." Sie tranken noch die Limonade leer, aber Susanne konnte Laura ansehen dass sie es nur noch hinter sich bringen wollte. Also brachen sie recht schnell auf. Langsamer als sie hochgekommen waren gingen sie die Treppe wieder hinunter und versuchten durch den Mund zu atmen sobald der Zuckerwattegeruch wieder einsetzte. Laura öffnete die Tür zum Keller, die wirklich noch da war, es war nur eine Tapetentüre die sich durch draufdrücken öffnen lies. Durch die Geschichte von Laura doch etwas verunsichert ging Susanne schnell zu dem Heizungskeller, dicht gefolgt von Laura die Susannes Hand festhielt als wäre sie Talisman. Als sie ihn nach dem scheinbar endlosen Kellerflur endlich erreicht hatten schlug Laura hinter sich die Türe zu und die beiden stiegen hinunter. Als sie unten angekommen waren schaute sich Susanne um, aber konnte nichts erkennen was irgendwie einem Portal ähnlich sah. Sie drehte sich zu Laura um und fragte „Und wo müssen wir jetzt durch?". Laura zeigte auf ein großes Bild das an der Wand hing. Es zeigte eine vertraute Szene, eine Großstadt im Stress. Das Bild schien aus der Perspektive einer kleinen Seitengasse gemacht worden zu sein. Doch als Susanne genau hinschaute bemerkte sie, dass das Bild zu realistisch wirkte, als dass es selbst ein Foto sein könnte. „Und jetzt?", fragte sie und Laura antwortete „Einfach durchgehen". Susanne drückte Lauras Hand und gemeinsam traten sie durch das Portal, raus aus dem Traum, zurück in die Reale Welt. Als hätten der Zuckerwattemann und das verfallene Haus, die Blutige Eingangshalle und die Sterbende Welt nie existiert. Der einzige Beweis dass sie wirklich dort gewesen war hielt sich an ihrer Hand fest. Und sie wusste, dass es keine Möglichkeit mehr gab zurückzukehren. „Komm", sagte Susanne und begann raus auf die Straße zu laufen.

Der ZuckerwattemannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt