wo warst du?

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Mittlerweile war es drei Jahre her. Vor drei Jahren habe ich das letzte Mal in seine strahlenden Augen geschaut. Meine Lippen auf seine gelegt.

Müde bog ich auf die Autobahn und drehte das Radio etwas lauter, es war eine sternen klare Sommernacht, in der relativ viele Autos an mir vorbei fuhren. Schließlich waren Sommerferien, viele Familien fuhren in den Urlaub oder kehrten Heim.
Ich seufzte. Mein letzter Urlaub mit ihm war nun schon etwas weniger als sechs Jahre her, Malediven. Der Sand war schön, hell und weich. Das Wasser war Türkis Blau, einfach ein Traum.
Mittlerweile hatte ich schon zwei mal die Möglichkeit, wieder hin zu fliegen, doch ich lehnte beide Male ab. Ich wollte nicht noch einmal dort hin zurück, nicht ohne ihn.

Nach seinem Tod brach eine Welt für mich zusammen, unsere kleine Welt. Die Welt, die wir uns innerhalb der zwölf Jahre, in denen wir zusammen waren, mühsam aufgebaut hatten.
Es wären mehr geworden, wenn er nicht umgekommen wäre. Wenn er niemals in Paris gewesen wäre.

Patrick hatte 2014 mühsam auf eine Spielemesse in Paris gespart, da er sich schon immer für Computerspiele und den ganzen Kram interessierte. Ich habe noch immer seine Freudenstränen vor Augen, als wir endlich genug Geld hatten, seinen Traum zu erfüllen. Ein Ticket für die messe, ein Hotel zimmer und ein Flugticket.
Natürlich half ich wo nur konnte, um ihm seinen Traum zu erfüllen. Auch, wenn ich mir nun wünschte, ich hätte das Geld für mich behalten. Ohne mich hätte er das geld nicht so schnell zusammen bekommen. Er würde noch leben.

Tausende und Abertausende Menschen waren zur Messe gekommen, und knapp die Hälfte von ihnen sind ums Leben gekommen. Ein Anschlag.
Und Patrick war einer von ihnen.

Alleine der Gedanke an den Anruf und die darauf folgende Presse Welle, die mich überrollte, und all meine Tränen, die ich vergoss, ließen mich schwer werden.
Wir waren gerade dabei unsere Zukunft zu planen, wollten endlich ein Haus kaufen, vom Wohnwagen in die Wohnung, und von dort aus wollten wir in ein Haus. Wir hatten sogar schon einige Häuser angeschaut, doch keines gefiel uns so gut, um darin leben zu können.
"Unser Haus soll so perfekt sein, wie du. Auch, wenn nichts und niemand jemals an dich heran kommen wird." Sagte er.

Wir waren glücklich, so unendlich glücklich zusammen. Und alles wurde zerstört, von einer einzigen Person. In einem Moment. Einfach aus dem Nichts - alles weg.
Ich machte mir bis heute Vorwürfe, ich hätte bei ihm sein sollen. Mit ihm nach Paris fliegen sollen - mit ihm zusammen sterben müssen.

Mein Handy klingelte. Ich schaute, wer es war, doch ließ schließlich die Mailbox ran gehen. Ich wollte nicht reden, einfach nur durch die düstere Nacht fahren und an Patrick denken. An unsere gemeinsame Zeit denken.
Die Mailbox ging an, es war zombey: "jo manu! Wieso biste schon los? Ist doch erst halb vier." Gluckste er; "die Party is noch im vollen gange! Also komm her, hier warten einige leute auf dich! Die sind scharf darauf dich zu sehen. Wir freuen uns auf dich!" Er legte auf.
Es war Maudados Geburtstag. Eigentlich wäre ich gern länger geblieben, allerdings wollte ich sie nicht mit meiner schlechten Laune anstecken. Obwohl ich ihnen schuldig wäre, zu bleiben und zu feiern, fuhr ich Heim.
Zombey und Maudado waren immer für mich da, sowohl in der Zeit, in der ich stundenlang und Tagelang geweint habe, als auch in der Zeit, in der es mir wieder besser ging.
Trotzdem hatte ich mich in all der Zeit nicht ein mal neu verliebt. Niemand konnte Patrick jemals ersetzen. Niemand konnte mir das Gefühl geben, was Patrick mir auch nur bei einem leichten Lächeln gab.

Der Gedanke an ihn ließ meine Augen wässrig werden. Sein lachen. Seine Augen. Seine Stimme. Seine aufmunternden Worte.
Unsere Nächte. Unsere Küsse. Unsere Berührungen. Nie wieder konnte ich ihn spüren.
Ich begann zu schniefen, während meine Sicht immer unklarer wurde.

Ich wurde wütend, traurig. Verfiel zurück in alte Gewohnheiten, in denen ich nichts gutes sah. Sterben wollte. In denen ich einfach bei ihm sein wollte, in denen ich in der Vergangenheit lebte.
Ich gab Gas.
Ich schoss mit gut 170 km/h über die Autobahn, als es plötzlich so kam, wie es irgendwann hätte kommen müssen.

Alles ging ganz schnell.
Ich bog um eine Kurve und raste genau in ein Auto, welches gerade ein anderes überholen wollte.
Es krachte, Lichter blitzten auf, es war laut und schmerzvoll. Siränen. Schreie. Blut. Zersplitterte Fensterscheiben.
Quälende schreie ertönten über die Autobahn. Plötzlich war alles weg.
Alles tot.

Müde stützte ich mich auf, ich hielt meinen Kopf.
Ich blinzelte gegen das Licht an und hielt schützend eine Hand vor die Sonne.
Ich war an einem strand. Türkis Blaues Wasser striff meine Fußspitzen. Heller, weicher sand floss zwischen meine Finger hindurch. Mir war sofort klar, wo ich mich befand. Auf den Malediven. Ich musste tot sein, doch war ich überhaupt bereit für den Tod?

Vorsichtig stand ich auf und sah gen Himmel, als dieser sich plötzlich veränderte.
Das helle blau verschwand und wurde durch eine Frau in einem weißen bett ausgetauscht. Sie schrie, sie sah gequält aus.
Es war meine Mutter wie sie im Krankenhaus lag und ein Kind zur welt brachte. Wie sie mich zur Welt brachte.

Je weiter ich am Strand entlang ging, desto schneller spielte sich mein Leben vor mir ab. Wenn ich stehen blieb, wurde auch der Film angehalten. Je schneller ich war, desto schneller spielte sich auch der Film meines Lebens ab.

Mein Blick fiel auf den Sand, es waren zwei Fußspuren nebeneinder zu sehen. Die eine gehörte vermutlich mir, doch wem gehörte die andere?
"Keine Sorge, Manu. Du hast es gleich geschafft." Erhellte eine stimme den Strand.
Ich erkannte die stimme sofort, seine Stimme.
"oh Gott.." hauchte ich und sah Tränen überströmt um mich. Doch ich konnte ihn nicht sehen; "palle, warte! I-ich bin gleich bei dir!" Rief ich. Meine Frage klärte sich von selbst, es waren meine und seine spuren, die zu sehen waren.
Ich lief so schnell ich nur konnte den Strand entlang. An mir zogen in Sekundenschnelle unendlich viele Momente vorbei.
Meine ersten Schritte. Meine Kindergarten Zeit, die Grundschule. Die Hochzeit meines Onkels. Die Umschulung in die weiterführende Schule. Mein erster Kuss mit einem Mädchen in der sechsten Klasse. Da hatte ich noch keine Ahnung, dass ich eigentlich auf Männer stehe. Geburtstage, Feste und Partys.

Doch plötzlich stockte ich.
Mein film zeigte mir den Moment, in dem ich Palle kennen lernte. Er kam in der zehnten Klasse zu uns. Und schon beim ersten Mal, wo er mich anlächelte, begann mein Herz schneller zu schlagen. Es war etwas wie Liebe auf den ersten Blick, welche er auch sofort erwiderte.
Lächelnd und doch bibbernd ging ich weiter, langsam und tapfer setzte ich einen Fuß vor den Anderen.
Ich durchlebte alle momente mit ihm noch einmal. Gute und schlechte. Als wir stritten, und als wir uns zum ersten mal küssten. Als wir Abitur machten. Als er den Job zum Kellnern bekam. Als wir uns einen Wohnwagen kauften und in diesem sieben Monate lang lebten, ehe wir genug Geld für eine Wohnung hatten. Unser erster gemeinsamer Urlaub. Einfach alles.

Und plötzlich war es soweit; die zeit, die ich eigentlich nie wieder sehen und spüren wollte, war eingetroffen. Patrick's Tod.
Ich schluckte und sah, wie mir das Telefon aus der Hand glitt und ich langsam aber sicher zu boden fiel. Ich schrie, ich weinte. Ich schlug auf mein Kissen ein, schmiss Möbel um. Ich war fassungslos. Ungläubig. Wütend. Unsicher.
Einfach am Boden zerstört.
Ich setzte mich bitterlich weinend auf den Boden, umschlang meine Beine und zitterte.
So ging dieser Film Ewigkeiten weiter, egal wie schnell ich lief, es schien nicht zu enden. Überall war ich zu sehen, wie ich weinte. Traurig war. Versuchte mir das Leben zu nehmen, aber es doch nicht tat.
Mir wurde bewusst, wie oft und lange ich überhaupt wegen ihm traurig war, wie lange ich mich selbst vernachlässigt hatte, um zu weinen. Um in Erinnerungen zu schwelgen.

Mein Blick fiel auf den Sand, in dem nur noch eine Spur zu sehen war. Die zweite spur war fort, einfach weg.
Verwundert lief ich zurück; und tatsächlich ab dem Zeitpunkt, an dem ich Palle verloren hatte, den Anruf bekommen habe, war nur noch eine Spur zu sehen.

Er hatte mich in der schwersten Zeit im Stich gelassen. Als ich ihn am meisten brauchte, war er nicht an meiner Seite, wie sonst immer in all den Guten Momenten.

Tränen bahnten sich einen weg hoch in meine Augen und flossen schnell hinab, sie hinterließen eine kleine glänzende spur auf meiner Wange, ehe sie in den weichen Sand fielen.
"Patrick" Schrie ich zitternd.
"Du hast es gleich geschafft, Manu. Du bist gleich endlich wieder bei mir! Ich habe dich so vermisst." Hallte es zurück.
"Oh Gott Patrick!" Schrie ich und weinte, ich weinte bitterlich.

"Wieso hast du mich in den schwersten Zeiten meines Lebens alleine gelassen? Als ich dich am meisten brauchte! Wo warst du?" Weinte ich und sah zum Himmel, wo mir erneut gezeigt wurde, wie mir das Telefon aus der Hand glitt. Wie ich zusammengekauert weinte.
"Was?" Antwortete er; "nein, ich würde dich niemals alleine lassen! In den Momenten, in denen du nur eine Spur gesehen hast, hab ich dich getragen." ||

vor drei Jahren - Kürbistumor Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt