Die Fahrt dauert keine halbe Stunde, da wir die Hauptstraßen voller Berufsverkehr meiden, und verläuft schweigend. Jim fährt, und so habe ich Gelegenheit nachzudenken. Noch immer habe ich Bedenken, aber gleichzeitig werde ich auch aufgeregt. Wie Sam wohl ist?
Erst jetzt fällt mir auf dass er genauso wie Katies Sohn heißt, und ich muss kurz lachen. Augenblicklich huscht Jims Blick zu mir.
"Was ist denn?"
"Ach, mir ist nur aufgefallen dass Katies Sohn genau wie mein Vater heißt, nämlich Sam. Zufälle gibt's..."
Mit einem leichten Grinsen schaut Jim wieder auf die Straße. Ich wette er hatte schon wieder vergessen dass meine beste Freundin Mutter ist.
Nur wenig später halten wir an und Jim parkt das Auto, dann sind wir da. Wir stehen vor einem kleinen Reihenhaus in einer recht ruhigen Straße, irgendwo ist das Lachen von spielenden Kindern zu hören. Unsicher beiße ich mir auf die Unterlippe, dann öffne ich die Autotür und steige aus, Jim folgt mir. Sobald er neben mir steht, nehme ich seine Hand, verschränke meine Finger mit seinen. Ich will ihn nicht loslassen, und er drückt meine Hand sanft.
Gemeinsam gehen wir zu dem Hauseingang und ich schaue auf das selbst geschriebene Klingelschild: Sam M. Smith
Zögernd hebe ich die Hand, lasse den Finger auf dem Klingelknopf verweilen. Dann drücke ich ihn, nicht zu lang, aber auch nicht zu kurz.
Mit einem tiefen Atemzug trete ich einen kleinen Schritt zurück und beobachte die Tür. Sie ist aus dunkelbraunem Holz, ohne Fenster, aber mit einem kleinen Spion, und der Türknauf hat die Farbe von abgegriffenem Gold. Doch nichts regt sich hinter der Tür.
"Und wenn er nicht da ist?", frage ich Jim und schaue zu ihm, doch er lächelt nur.
"Er ist da, vertrau mir."
Und woher weiß er das?
Da höre ich plötzlich dumpfe Schritte hinter der Tür und muss mich zusammenreißen um nicht einfach davonzulaufen. Ich schlucke meine Angst hinunter, immerhin will ich nicht wie ein verschrecktes Küken aussehen, und warte gespannt darauf, dass die Tür sich öffnet.
Was sie dann auch endlich tut.
Ein Mann steht vor mir, vielleicht Ende vierzig, gekleidet in einen gemusterten, grauen Pulli und brauner Hose. Seine dunkelbraunen, kurzen Haare haben schon graue Strähnen und auch sein Gesicht ist vom Alter gezeichnet, aber auf eine angenehme Weise. Er wirkt recht auf Zack, wachsam aber freundlich, und als hätte er sich zuletzt gestern morgen rasiert, was ihn wilder aussehen lässt, als man von ihm vermuten würde. Was mir aber zuerst auffällt sind die grünen Augen, genau wie meine, und dass er fragend eine Augenbraue hochzieht als ich keine Anstalten mache irgendetwas zu sagen.
"Kann ich etwas für euch tun?", erkundigt er sich mit angenehm ruhiger und tiefer Stimme und ich löse mich aus meiner Starre.
"Ähm... hallo erstmal", druckse ich herum und er schmunzelt angesichts meiner Unsicherheit.
"Hallo zurück."
Sofort sympathisch.
"Sie sind Sam Michael Smith?"
"Ja, offensichtlich."
"Ich bin Melody, und ich... äh... kannten Sie mal eine Rachel Grand?"
Ich spüre wie meine Wangen heiß werden vor Verlegenheit dass ich einfach so mit der Frage, die mir die ganze Zeit schon auf der Zunge brennt, herausplatze und drücke Jims Hand fester. Dass er keinen Mucks macht ist echt erstaunlich.
Bei der Erwähnung von meiner Mutter Rachel verschwindet das Schmunzeln aus dem Gesicht des Mannes und er scheint sich an etwas lang vergangenes zu erinnern, bevor er mich nun prüfend mustert.
"Ich kannte tatsächlich mal jemanden, die so hieß. Wieso?"
Okay, ruhig bleiben.
"Rachel ist meine Mutter und... es könnte sein, dass Sie... mein Vater sind."
Gespannt warte ich auf Sams Reaktion, da streicht Jim mir beruhigend mit dem Daumen über den Handrücken.
Meine Worte scheinen nur langsam zu dem Mann durchzudringen, aber als sie das tun, atmet er tief durch und lehnt sich in den Türrahmen.
"Wow... das... hatte ich nicht erwartet", murmelt er, dann tritt er einen Schritt zurück und deutet in seine Wohnung.
"Kommt doch rein."
Gefolgt von Jim, der bis jetzt noch kein Wort gesagt hat, betrete ich den Flur hinter der Haustür und Sam schließt die Tür hinter uns. Links von mir führt eine Treppe ins obere Stockwerk, rechts und geradeaus befinden sich zwei Türen, die beide angelehnt sind.
"Schuhe aus."
Wir tun wie geheißen, Jim zieht seinen Mantel aus und nimmt mir meine Jacke ab, um sie an zwei Haken an der Wand zu hängen. Sam steht in der Tür vor uns, die anscheinend ins Wohnzimmer führt und beobachtet uns nachdenklich.
"Du bist also Rachels Tochter?"
Ich nicke und lächle unsicher während ich meine Schuhe auf Seite stelle.
"Und wer ist dein Freund? Ist er stumm?"
"Nein bin ich nicht Sir, mein Name ist Jim, ich wollte nur dass Melody das alleine schafft", antwortet mein Mann lachend und ich stupse ihn in die Seite.
"Ah. Nenn mich Sam. Das gilt übrigens auch für dich", meint Sam in meine Richtung und ich erröte noch mehr als sowieso schon.
"Will jemand Tee?", fragt Sam während er vor ins Wohnzimmer geht und wir folgen ihm.
"Ja ich, danke", antworte ich und schaue mich neugierig in dem Raum um. Offensichtlich lebt er alleine, und das schon länger, denn es sind keine Bilder von ihm oder anderen an den Wänden zu sehen. Es gibt ein Sofa, einen Sessel, einen kleinen Fernseher und einen Schreibtisch, sowie einen kleinen Esstisch mit vier Stühlen. Ein bisschen erinnert es mich an Sebs Wohnung, recht klein, praktisch und ohne viel Krimskrams.
"Er ist echt nett, oder nicht?", flüstert Jim an meinem Ohr und ich nicke lächelnd. Das ist er wirklich.
Wenig später sitzen Jim und ich auf dem Sofa, ich mit einer Tasse Tee in der Hand, und Sam setzt sich in den Sessel.
"Das ist irgendwie komisch", meint er und ich muss lachen.
"Was meinst du wie das für mich ist? Meine Mutter hat nie von dir gesprochen, und jetzt sitze ich plötzlich hier."
"Mhm... du siehst ihr sehr ähnlich."
"Mum hat immer gesagt, ich käme nach dir."
Da lacht Sam auch und trinkt einen Schluck von seinem Tee.
"Mag sein."
"Naja, es sind definitiv die Augen und die Haarfarbe", stellt Jim fest und ich grinse ihn an.
"Das stimmt allerdings. Was ist eigentlich mit euch beiden?", erkundigt Sam sich und ich nehme Jims Hand.
"Meinst du wie lange wir schon zusammen sind?"
"Unter anderem."
"Nun ja, wir kennen uns seit..."
"Etwa dreieinhalb Jahren", hilft Jim mir aus und grinst als ich ihn erstaunt anschaue.
"Echt? Nur dreieinhalb Jahre? Wow, das war mir gar nicht bewusst. Zusammen sind wir aber seit drei Jahren, das weiß ich."
"Woho", meint Jim leise und ich stoße ihn mit dem Ellenbogen in die Seite.
"Egal, jedenfalls, vor fast zwei Jahren haben wir geheiratet."
Augenblicklich zieht Sam eine Augenbraue nach oben und ich merke, dass er ehrlich verwundert ist.
"Nach einem Jahr habt ihr schon geheiratet? Warum so eilig?"
Mit einem Lachen kommentiert er daraufhin unsere verdutzten Gesichter und ich erröte schon wieder. Ich kann Sam ja schlecht erzählen dass es bei Jims Job schnell mal passieren kann dass er nicht wiederkommt, oder mir etwas passiert. Oder dass Jim ein Psychopath ist, der mich so oft wie es geht bei sich haben will.
"Ich liebe ihn halt", murmele ich und Sam schmunzelt.
"Hauptsache das. Ihr erinnert mich ein bisschen an Rachel und mich, uns ging es damals ähnlich. Apropos, wie geht es ihr eigentlich? Und wieso ist sie nicht mitgekommen?"
Er wirkt bemüht seine Neugier zurückzuhalten, aber ich sehe Hoffnung in seinen Augen aufblitzen und schlucke schwer. Diese Hoffnung zu zerstören tut weh.
"Sie... sie kann nicht mehr kommen", sage ich leise und spüre wie ich selbst wieder traurig werde, auch wenn es schon so lange her ist. Sam scheint das zu bemerken und sein Lächeln verschwindet.
"Ich war fast achtzehn als sie... als sie gestorben ist. Ein Autounfall. Es tut mir leid."
Mein Vater starrt mich erst ungläubig an, dann wird sein Blick trübe und jegliche Freude scheint sein Gesicht zu verlassen. Ruckartig steht er auf und verlässt das Zimmer, bevor ich noch etwas sagen oder tun kann.
"Bleib hier, er braucht nur etwas Zeit", hält Jim mich zurück und legt einen Arm um meine Schultern als ich Sam hinterherlaufen will. Ich lehne mich gegen ihn und er hält mich fest.
"Du musst bedenken dass er sie noch immer liebt, und dein Auftauchen ihn daran erinnert hat."
"Er tut mir nur leid", antworte ich mit belegter Stimme, da schaut Jim mich an.
"Damit kommt er klar, ich meine, als Soldat. Wahrscheinlich hat er schon früher Menschen verloren."
"Ja, das habe ich", ertönt da plötzlich Sams Stimme und ich schaue ihn erschrocken an. Er wirkt betrübt, aber gleichzeitig gefasst und irgendwie... müde. In der Hand hält er eine Holzkiste, und als er mir in die Augen schaut, springe ich auf und nehme ihn in den Arm. Überrascht erstarrt er, doch dann legt er zögernd seine Arme um mich. Ich habe keine Ahnung warum ich das mache, aber es tut gut. Meinen Vater zu umarmen.
Schließlich lasse ich ihn los, trete einen Schritt zurück und streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Wir beide setzen uns wieder hin, ich neben Jim und Sam auf den Sessel. Mein Vater stellt sich die Kiste auf die Knie und öffnet sie, um ein paar Fotos herauszuholen. Auf einigen erkenne ich meine Mutter, allerdings ist sie dort jünger gewesen, zusammen mit einer jüngeren Version von Sam. Die beiden sehen glücklich verliebt aus, vollkommen unbeschwert und voller Lebensfreude.
"Wie hast du meine Mutter eigentlich kennengelernt?", frage ich Sam, der sich die Fotos anschaut, und dieser schmunzelt.
"Sie hat in dem Café gearbeitet in dem ich als junger Soldat von stolzen 19 Jahren öfter gefrühstückt habe. Sie war die schönste Frau dort, und auch die netteste. Hat mir immer zwei Kekse zu meinem Kaffee gegeben. Traurigerweise hatte sie damals schon einen Freund, ich hatte also keine Chance bei ihr. Als ich aber eines Tages in meiner Uniform dort aufgetaucht bin, weil ich danach noch zu einer Versammlung musste, hat sie mich erst richtig bemerkt. Ich habe bis heute keine Ahnung warum ausgerechnet die Uniform den Unterschied gemacht hat, aber nur zwei Wochen darauf hat sie sich von ihrem Freund getrennt. Natürlich habe ich sofort die Gelegenheit ergriffen und sie auf ein romantisches Date eingeladen, und naja, danach waren wir dann zusammen. Das waren die schönsten zweieinhalb Jahre meines Lebens, besonders als ich erfahren habe dass sie schwanger war."
Mit einem nachdenklichen Lächeln holt er ein kleines, schwarzes Kästchen unter einigen Fotos hervor und dreht es in der Hand.
"Ich wollte ihr den Antrag an dem Abend machen, an dem ich überraschend in den Irak beordert wurde."
Mit einem leisen Klacken öffnet er das Kästchen und enthüllt einen schmalen, silbernen Ring, eingebettet in dunkelblaues Futter.
"Warum habt ihr euch nicht wiedergetroffen nachdem du wieder zurückwarst?", erkundige ich mich sanft und er schließt das Kästchen wieder.
"Als ich wiederkam, war das Haus, in dem Rachel ihre Wohnung hatte, einfach weg und ich hatte keine Ahnung wo sie steckte. Sie mit ihrem Namen zu suchen gestaltete sich als schwierig, denn sie hatte wohl kein Telefon, und das Ordnungsamt wollte mir nicht weiterhelfen. Ich bräuchte eine Genehmigung, oder einen Beweis dass ich mit der Person verwandt wäre, sagten die, und ich hatte keins von beiden. Den Antrag konnte ich ihr ja nie machen."
Er legt das Kästchen wieder zurück, schließt die Kiste und stellt sie neben sich auf den Boden.
"Aber genug von mir, ich will was von dir wissen. Wo bist du aufgewachsen? Auf welcher Schule warst du? Was machst du gerne? Wie habt ihr beide euch kennengelernt?"
Sam ist richtig neugierig, genau wie meine Mutter manchmal war, und das ist irgendwie süß.
"Also, um Jim gegenüber fair zu sein würde ich erstmal erzählen wie wir uns kennengelernt haben, den Rest kann ich dir ja bei unserem nächsten Treffen erzählen."
Ich lege fragend den Kopf schief und Sam nickt lächelnd.
"Sehr gerne, ich würde mich freuen wenn ihr zwei öfter vorbeischaut, oder auch nur du. Für eine Tochter, die ich erst seit heute kenne, hab ich dich schon sehr gern."
"Ich dich auch", antworte ich, glücklich lächelnd, dann erzähle ich zusammen mit Jim wie ich ihn das erste Mal getroffen habe, aber erstmal ohne auf meine Angst vor Männern einzugehen, oder auf meine Erlebnisse mit Drogen und Missbrauch, außerdem ohne Jims psychopathische Seite zu erwähnen. Sam hört aufmerksam zu, fragt ab und zu nach und scheint alles in allem froh zu sein dass ich Jim kennengelernt habe.
So kommt es, dass wir stundenlang hier sitzen und reden, bis es schon dunkel wird. Aber ich bereue nicht eine Sekunde davon.
Als wir uns schließlich wieder aufmachen, nehme ich meinen Vater nochmal in den Arm und verlasse mit Jim das Haus. Ich bin so glücklich, dass ich die ganze Zeit fast schon strahle und im Auto kaum still sitzen kann. Auch Sam scheint glücklich über dieses erste Treffen zu sein, und wir haben bereits für Sonntag das nächste Treffen geplant.
"Danke Jim. Diese Überraschung war mehr als gelungen", murmele ich, kaum dass wir zu Hause angekommen sind, lege meine Arme um seinen Hals und gebe ihm einen sanften Kuss auf die Lippen.
"Gern geschehen", antwortet er flüsternd und zieht mich enger an sich.
"Dich so glücklich zu sehen ist das was ich wollte."
"Und das hast du geschafft, aber jetzt brauche ich meinen Ehemann in unserem Schlafzimmer", sage ich grinsend und Jim lacht, bevor er mich erneut küsst. Einen schöneren Nachmittag habe ich noch nie gehabt.~~~
Meinung?
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Moriarty In Love - The Game
FanfictionFortsetzung von "Moriarty In Love": "Es wird alles gut, Honey. Vertrau mir." "Das würde ich gerne Jim." Melody und Jim haben schon viel gemeinsam, und auch alleine, überstanden. Doch nun kommen neue Schwierigkeiten auf sie zu, und das nicht nur in i...