Kapitel 11

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Man hatte gerade in meinem Gesicht meine Gefühle gesehen, die ich sonst immer gut verstecken konnte: Angst, Trauer, Verzweiflung. Ich war innerlich zerstört, ein paar Scherben, die nur noch durch einen Kleber zusammengehalten wurden. Dieser Kleber waren Mama und Liv, aber die waren in Hamburg.

Ich nahm mein Handy aus meiner Tasche und wählte die Nummer meiner Mutter. Ich hielt kurz inne, bevor ich anrief, ich beschloss, ihr nicht zu sagen, wie es mir ging, sie würde sich nur Sorgen machen. Nach ein paar mal tuten nahm meine Mutter ab.

Hallo Mama."

„Trace, schön, dass du anrufst. Wie geht es dir?"

„Gut, die Academy ist echt schön und dort sind auch nette andere Mädchen. Stell dir vor, ich werde bei der Europameisterschaft tanzen!"

„Das ist ja wundervoll, das war doch dein Traum, du bist eine große Tänzerin!"

„Wie geht es euch, habt ihr alles?"

„Uns geht es soweit ganz gut, aber du fehlst Liv und mir. Es ist so leer und leise ohne dich. Jetzt redet niemand mehr."

„Du solltest dir ein Handy zulegen, um mit mir schreiben zu können und Liv auch."

„Du weißt, dass wir dafür nicht genug Geld haben. Deines hat dir dein Vater bezahlt, weil du seine Tochter bist, aber Liv und mir wird er keins kaufen, warum sollte er auch?"

„Ich werde viel Geld verdienen und euch helfen, ich hole euch zu mir nach London und wir werden hier glücklich."

„Du hast schon so viel für uns getan, das kann keiner von dir erwarten."

„Ich will euch aber helfen und ich will euch bei mir, ihr fehlt mir so sehr. Ich versuche morgen Abend zu euch zu fliegen, ich will euch sehen."

„Das musst du nicht, du hast doch bestimmt genug zu tun."

„Ich will aber, ich werde morgen Abend bei euch sein."

„Du weißt, dass du immer zu uns kommen kannst."

„Ich weiß. Bis morgen"

„Bis morgen, mein Schatz."

Ich legte auf und wischte mir ein paar Tränen aus den Augen. Ich saß in einer Ecke neben dem Supermarkt auf dem Boden und weinte. Na super! Als ich nicht mehr wie ein Alien aussah, stand ich auf und betrat den Supermarkt.

Ich kaufte das ein, von dem ich wusste, dass wir es nicht mehr hatten und noch ein paar Sachen, die ich gerne aß. Mit zwei Tüten verließ ich den Supermarkt wieder und ging nach Hause. Zum Glück war es nicht weit, ich brauchte nur sieben Minuten und ich musste nur einmal Google maps fragen, was mich schon ein bisschen stolz machte.

In der Wohnung packte ich die Sachen aus und räumte sie in die Schränke. Ich war etwas zitterig, aber ich wusste, dass es nicht nur daran lag, dass ich geweint hatte, sondern auch daran, dass ich meine letzte Tablette heute morgen genommen hatte und es jetzt schon nachmittags war.

Ich schnappte mir ein Glas Wasser und löste die Tablette darin auf. Ich trank es in großen Schlücken. Zum Glück wirkte sie sofort und ich fühlte mich gleich etwas entspannter. Ich nahm mir eine Zigaretteaus meiner Schachtel, ging auf den Balkon und zündete sie an.

Seufzend atmete ich den Rauch ein. Ich lehnte mich beruhigt an dieHauswand und rauchte meine Zigarette. Dann verschwand ich in meinem Zimmer und begann zu zeichnen. Ich wusste nicht, was es werden würde, ich ließ meine Hände einfach machen, sie wussten, was sie taten.

Ich merkte erst, dass ich nicht mehr alleine war, als sich jemand hinter mir räusperte. Ich fuhr herum und starrte die Person in meiner Tür erschrocken an. Simon sah mich ebenso erschrocken an, aber fing sich schnell wieder und fragte, ob alles in Ordnung wäre.

„Ja... klar... mir geht's gut.", sagte ich wenig überzeugend.

„Was ist los?", fragte Simon besorgt.

„Nichts... nur... ich vermisse meine Mutter und meine... Halbschwester.", flüsterte ich leise.

„Kann ich morgen Abend zu ihnen fliegen? Da geht ein Flug."

„Natürlich kannst du fliegen, wann kommst du denn dann wieder?"

„Spätestens Freitagabend, Samstag hab ich Training mit Michelle und Alice."

„Das ist in Ordnung, soll ich dich zum Flughafen bringen?"

„Musst du nicht, ich weiß, dass du viel zu tun hast."

„Dann will ich dich trotzdem morgen Abend noch einmal sehen, bevor du gehst." Ich nickte.

Diese Sorge um mich von einer Person, die nicht meine Mutter war, war mir immer noch fremd und ich hatte sie nicht einmal verdient, ich habe so viele Fehler gemacht. Ich vertraute ihm nichts an, was ich erlebt hatte, nur das Nötigste. Ich wünschte Simon noch eine gute Nacht und verschwand in meinem Zimmer.

Das war das erste Mal seit fünf Jahren, dass ich wieder geweint habe, ich konnte es immer gut verstecken, aber die fünf Jungs haben mit ihren traurigen Gesichtern etwas in mir ausgelöst. Wieso kamen sie mir emotional so nahe, ich kannte sie doch überhaupt nicht? Was war bloß mit mir los?

Ich konnte jetzt nicht einfach aufgeben, ich durfte nicht schwach werden, Mama und Liv bauen darauf, dass ich ihnen helfe. Sie würden das niemals laut sagen, aber ich weiß, dass sie hoffen, dass ich ihnen helfen kann und das werde ich auch.

Ich spürte, wie mein Gesicht wieder hart wurde. Ich würde das schaffen, für die beiden, die mir wirklich wichtig waren. Mit dieser neuen Entschlossenheit legte ich in mein Bett und schlief kurz darauf ein.

Gotta be you [One Direction]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt