Kapitel 26

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"Du hast Kaffee gemacht?"
Gähnend rieb ich mir über meine müden Augen, als ich meine Küche betrat und den intensiven Geruch des Wachmachers wahrnahm.
Kris drehte sich scheinbar etwas erschrocken über mein plötzliches Auftauchen zu mir um und lächelte mich unsicher an; "Guten Morgen."

Wir hatten am vergangenen Abend noch so lange geredet, über uns, über sämtlich anderes, haben zwischenzeitlich geschwiegen und dann wieder woanders angesetzt. Es war längt nicht alles geklärt zwischen uns, wir waren zu keinem wirklichen Punkt gekommen, doch es war wie Aufatmen - endlich mal ein Anfang.
Als uns schließlich fast die Augen zugefallen sind, hatte ich Kris angeboten, die Nacht bei mir zu verbringen.

"Ich hab' uns auch schon Brötchen aufgebacken. Ich hoffe, ich durfte mich hier einfach so durchwühlen." - "Klar, ehm... Danke."
Meine Mundwinkel zogen sich automatisch nach oben, während ich den Gitarristen dabei beobachtete, wie er etwas Marmelade aus meinem Kühlschrank auf den Küchentisch stellte und mich anschließend mit einer einladenden Geste dazu aufforderte, mich an meinen eigenen Tisch zu setzen.

"Nächstes Mal sollten wir nicht so trödeln", keuchte ich, während Kris und ich gerade aus meinem Treppenhaus gestürmt kamen und ich schon aus etwas Entfernung mein Auto entriegelte, in welches wir uns einige Sekunden später setzten, ehe ich den Motor startete und die Richtung zum Proberaum einschlug, den wir garantiert mit mindestens dreißig Minuten Verspätung erreichen würden.
"Wir haben nicht getrödelt; wir haben einfach nur die Zeit vergessen, während wir in Ruhe gegessen und gequatscht haben", korrigierte Kris mich schmunzelnd, was mich kurz skeptisch zu ihm sehen ließ: "Ist das nicht dasselbe?" - "Vielleicht. Aber es klingt gleich viel schöner." - "Spinner", lachte ich kopfschüttelnd und konzentrierte mich wieder voll und ganz auf die volle Straße, wobei das Grinsen aus meinem Gesicht nicht zu vertreiben war.

Aus unserem Proberaum drang bereits leise eine Melodie auf den Flur, woraufhin Kris und ich innehielten und konzentriert lauschten.
Johannes' Stimme war gedämpft zu erkennen, allerdings verstand man seine gesungenen Worte nicht. Die weich gespielten Gitarrensaiten klangen bereits so, als hätten die beiden die Zeit ohne uns gut genutzt.
"Das klingt total gut!"
Kris strahlte übers ganze Gesicht, ehe er sich scheinbar nicht mehr halten konnte und in den Raum platzte, wovon Niels und Jo scheinbar aber wenig mitbekamen. Sie spielten einfach weiter, Johannes schaute konzentriert auf einen leicht knittrigen Zettel vor sich und sang die nächsten Zeilen: "Wir versprechen uns gar nichts, jeder ganz für sich alleine. Irgendwie zusammen, doch auf 'ne lockere Art und Weise."

Mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich meinen eigenen vor einiger Zeit hingekritzelten Text wieder erkannte, den nie irgendjemand auch nur zu Gesicht bekommen sollte. Ich konnte nichts anderes tun, als wie versteinert stehen zu bleiben und fassungslos nach Luft zu japsen, während Johannes bereits die nächsten Zeilen seinen Lippen entweichen ließ;
"Lass uns bloß nicht drüber reden, denn sonst wird es dir zu viel und so, wie es ist, ist es ganz genau dein Stil"
Ich war unfähig, irgendwie zu handeln, irgendetwas zu denken, auf mich aufmerksam zu machen oder zu verschwinden. Irgendwas musste ihn doch erbarmen lassen, irgendwas daran hindern, meine gehässigen Gedanken und verletzten Gefühle die letzten Stunden, in denen endlich alles gut zu werden schien, restlos zu zerstören, doch der Sänger holte lediglich zum Refrain aus;
"Doch du weißt nicht, was du willst, du legst dich ungern fest, du hältst dir alles offen bis jeder dich verlässt. Du weißt nicht, was du fühlst, du weißt nicht, was du suchst, irgendwas weit weg von mir. Du-" - "Was zur Hölle tut ihr da?"
Niels und Johannes hörten schlagartig auf zu spielen und blickten erschrocken zu mir auf.
Wütend ging ich auf die zwei zu und griff schnell nach dem Zettel mit dem Text, um ganz sicher zu gehen, dass es mein Text war, über Kris, der mich bloß mehr als verwundert ansah.

"Jakob!"
Johannes' Stimme war trotz meiner erkennbaren Wut voller Enthusiasmus. "Seit wann schreibst du so gute Texte und verschweigst sie uns dann auch noch?" - "Weil... Das sollte niema–" Ich stockte. Wie sollte ich das bloß erklären?
Wie sollte ich erklären, dass ich diesen Text, den Niels und Jo schon komplett gelesen hatten, für einen meiner besten Freunde geschrieben hatte? Verzweifelt seufzte ich auf, schloss meine Augen, um mir eine Ausrede einfallen zu lassen, doch da ergriff Niels schon das Wort:
"Johannes und ich hatten sofort die perfekte Melodie dafür im Kopf! Hier und da müsste der Text noch ein bisschen überarbeitet werden, aber ansonsten... Das hat echt Potential!"
Voller Tatendrang riss er mir urplötzlich den Zettel aus der Hand und hielt diesen Kris hin, der das Geschriebene als allerletztes sehen sollte, doch dafür war es jetzt wohl zu spät.
Mit skeptischem Blick und gerunzelter Stirn schaute er mich noch einmal an, bevor er sich die Zeilen durchlas.
Von Sekunde zu Sekunde verfinsterte sich seine Miene mehr; er wusste ganz genau, dass jedes einzelne Wort an ihn gerichtet war und es traf ihn so sichtbar, wie eine Faust im Gesicht.

•Du weißt nicht, was du fühlst.•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt