Vorhof der Hölle

7 0 0
                                    

Kannst du dich daran erinnern wie der schlimmste Schultag deines Lebens war? Ich ja, ich kann ihn dir ganz genau erzählen. Wahrscheinlich gibt es bei dir gar kein wirklich schlimmen Tag, meiner bekam heute, unter all den anderen Höllentagen, noch die Krone auf.

Der Wecker klingelt und reißt mich aus dem unruhigen, wenig erholsamen Schlaf. Nur widerwillig drücke ich den Knopf, um ihn ruhigzustellen. Es ist genau 06.45Uhr. In einer halben Stunde kommt der Bus, mit dem ich jeden Tag zur Schule fahre. Die Gewohnheit ist dafür verantwortlich, dass ich überhaupt in der knappen Zeit mit allem fertig werde und die kurze Zeit verhindert auch, das ich nachdenke. Größtenteils jedenfalls.

Im Bus selbst ist die Luft stickig und alle Plätze sind besetzt, ich muss stehen. Wie jeden Morgen. Wahrscheinlich ist es ein schlechtes Omen. Der Bus fährt weiter, in die Bonzengegend, dort wo die Schönen und Reichen leben, dort wo jeder Garten piekfein ist und die Häuser riesig sind. Obwohl dort kaum ein Schüler einsteigt, fährt der Bus durch dieses Viertel. Meistens pressen dabei die anderen Schüler ihre Nasen an die Fenster, um so viel wie möglich von dieser Gegend zu sehen.

Ich nicht.

In der Schule husche ich so schnell wie möglich auf das Mädchenklo, obwohl ich gar nicht muss und warte dort, bis es zum Unterrichtsbeginn klingelt. Erst dann gehe ich in den Klassenraum und lasse mich auf den Fensterplatz in der letzten Reihe nieder. Immer wieder sehe ich mich um, niemand beachtet mich. Niemand nimmt Notiz von mir.

Während der gesamten Stunde bemerkt mich keiner, selbst für den Lehrer bin ich unsichtbar. Was gut ist, denn ich weiß die Antworten, aber die Konsequenzen wären weitreichend.

Es klingelt und der Lehrer verlässt beinahe fluchtartig die Klasse, weiß er doch was nun folgen wird. Manchmal bin ich schnell genug, manchmal nicht. So wie heute. Larissa geht an mir vorbei, um ihr Buch in den Schrank zu legen und bleibt neben meinem Tisch stehen. „Was hast du denn da an?", fragt sie höhnend. Blinzelnd sehe ich sie an, erinnere mich, dass ich das neue T-Shirt anhabe, was mir meine Mutter vor einigen Tagen gekauft hat. Es ist hübsch und bunt und darüber trage ich meine Lieblingsstoffjacke. Sie war schon ein Jahr alt, an den Ellenbogen etwas dünn und die Taschen ausgeleiert. „Guck nicht so dämlich wenn ich mit dir rede!", faucht Larissa und plötzlich herrscht in der Klasse tödliche Stille. Alle glotzen uns an, wie eine Attraktion im Zoo. Mit dem Unterschied, das Larissa bewundert angesehen wird. Sie ist hübsch, schlank und hat immer die schönsten Kleider an. Dagegen bin ich ein Nichts, ich bin weder hübsch, noch schlank, noch reich. Ich habe nicht einmal den Mut ihr zu antworten. Larissa reißt mir die Jacke von den Schultern, am Ärmel entsteht dabei ein Riss, und deutet auf mein T-Shirt.

„Warum trägst du das gleiche T-Shirt wie ich? Darfst du das? Niemand trägt die gleichen Dinge wie ich. Niemand!", das letzte Wort spuckt sie mir entgegen und knallt die flachen Hände auf meinen Tisch, drohend beugt sie sich weiter nach vorn. Während ihre Haut den kalten Untergrund berührt zucke ich zusammen. „Du weißt was das für Konsequenzen hat." Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken, konnte diesen nicht verhindern. In mir steigt die Angst hoch, lässt meine Brust zuschwellen und mein Herz hämmern. Bumm. Bumm. Bumm. Bumm. Eine von Larissas Freundinnen legt ihr etwas in die Hand, die sie nach hinten ausgestreckt hat. Dabei lässt sie mich nicht aus den Augen. Ich kann nicht wegsehen, obgleich ich es will. Am Liebsten würde ich aufspringen und wegrennen, mein Körper gehorcht mir nicht. Angst dringt mir in alle Poren und lässt mich schwitzen.

Larissa zeigt mir was sie in der Hand hat, eine Schere. Ich schlucke, unfähig auch nur einen Ton von mir zu geben. Ein kleines Zeichen reicht aus, damit zwei Jungen

aufspringen und mich an den Armen vom Stuhl hochreißen. „Bitte", flüsterte ich, „nicht. Ich werde es nie wieder in der Schule tragen." „Du wirst es nie, nie wieder tragen. Ich habe es zuerst gekauft, keiner hat mich zu kopieren. Ich bin und bleibe die Nummer eins."

Vorhof der HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt