Der bekannte Unbekannte

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Musik dröhnte in meine Ohren und ich lief durch die Stadt, ich sah hunderte Menschen und doch war ich allein. Allein, in dieser großen weiten Welt. Ich hatte Freunde, aber dieses tiefe Gefühl der Einsamkeit, konnte mir keiner nehmen. Wieso war die Welt so zu mir? So unfair und schrecklich?

Ich merkte, wie ich wieder begann alles zu überdenken und das war nie etwas Gutes, aber nichts konnte mich auf eine positive Art ablenken. Der Schmerz in meinem Herzen saß so tief und das nur durch eine Vergangenheit, die ich nicht beeinflussen konnte. Meine Eltern waren Drogenabhängige und sie setzten mich aus, nachdem man gefunden hatte, wuchs ich in einem Kinderheim auf. Ein Kinderheim, welches Kinder körperlich und psychisch zerstört. Sie machten mir jeden Tag klar, wieso ich so ein schlechter Mensch bin und dass mich meine Eltern deshalb verstießen.

Ich merkte wie sich Tränen in meinen Augen bildeten, doch ich musste sie unterdrücken, ich kann hier in der Stadt keine Schwäche zeigen! Ich darf sowieso keine Schwäche zeigen, sonst wird alles nur schlimmer, sonst wird nur wieder Salz in die Wunden geschüttet.

Als ich eine Bücherei betrat, rempelte mich ein Mann an und ich fiel auf den Boden. Ich sah wütend hoch und hätte diese Peron am liebsten umgebracht „willst du mich verarschen? Kannst du nicht aufpassen?" schoss es nur aus mir raus. „Verzeihung das wollte ich wirklich nicht" sagte der Unbekannte. Er bot mir Hilfe an, um aufzustehen, aber ich lehnte diese ab. Als ich vor ihm stand, sah ich hoch, in seine braunen Augen und verlor mich sofort in ihnen. „Soll ich dich auf einen Kaffee einladen?" fragte er und versuchte seine Unsicherheit mit einem Lächeln zu überspielen.

Dieses Lächeln ließ meine Wut verfliegen, doch ich schüttelte nur den Kopf und stürmte in die Bücherei. Noch nie brachte mich jemand so schnell aus meiner Wut, was genau war das gerade? Leicht verwundert setzte ich mich in meine Lieblingsecke, schnappte mir ein Buch und begann es zu lesen, doch anstatt gebannt dem Buchverlauf zu folgen, waren meine Gedanken bei dem Unbekannten, sein Lächeln war zum dahin schmelzen.

Ich erwischte mich, wie ich Gedankenversunken in mein Buch schmunzelte, was war nur los mit mir? Ich habe diesen Typen nur einige Sekunden gesehen und trotzdem waren meine Gedanken nur bei ihm.

Ich ärgerte mich ein wenig über mich selbst, da ich mit ihm keinen Kaffee trinken gegangen bin, aber wie pflegt eine meiner Freunde immer zu sagen‚ es kommt zusammen, was zusammen gehört'. Meiner Meinung nach ziemlicher Blödsinn. Wer sollte jemanden wie mich wollen? Ich war voller Narben und Zweifel. Voll Wut und Trauer. Voll Unsicherheit und leere.

Ich seufzte, mich würde sowieso niemand so annehmen wie ich bin, nicht mal meine eigenen Eltern wollten mich. Ich bin nur Dreck! Und da war es wieder, das Gefühl der Einsamkeit, das kurz verflogen zu sein schien. Wieso war ich denn so? Wieso war ich so voller Fehler?

Eine Träne kullerte über meine Wange. Ich wollte mein Leben schon so oft beenden, warum tat ich es nie? Alles wäre eine bessere Alternative, als diese Scheiße, die ich mein Leben nannte.

Aus einer Träne, die über meine Wange wanderte, wurden zwei und aus diesen zwei wurden unzählbar viele. Auf einmal spürte ich, wie mich jemand in seine Arme zog. Menschliche Nähe, wie lange ich das vermieden hatte. Doch zu meiner Überraschung war es schön. Der süße Geruch der Person lag in meiner Nase und die Körperwärme ließ mein scheinbar eingefrorenes Herz schmelzen. Es war schon komisch, von jemandem Fremden umarmt zu werden, doch das war die erste ernstgemeinte Umarmung die ich bekam. Ich fühlte mich unendlich wohl und wollte, dass dieser Moment in dem ich mich befand, nie endete. Ich wollte, dass die Welt stehen bleibt und ich sein Herz für den Rest meines Lebens schlagen hörte. Ich wusste, dass dieser Moment aufhören würde, doch ich verdrängte den Gedanken, denn die Tränen schossen nur aus mir raus und ich vergrub mein Gesicht weiter, in die mittlerweile vollgeheulte Jacke meines Gegenübers. Das war es also, das Gefühl von Sicherheit und Wohlbefinden.

„Du darfst alles rauslassen, aber wir sollten irgendwo hin wo uns nicht so viele Leute sind." hörte ich den Fremden sagen. Die Stimme kannte ich doch, ich löste mich langsam, aus den starken Armen des Unbekannten und sah hoch in sein Gesicht. Es war derselbe, der mich vorhin anrempelte und nun sahen mich seine Augen besorgt an. „Komm ich weiß wo wenig Menschen sind" sagte er leise zu mir und wir verließen das Gebäude.

Wir fuhren ein wenig und kamen dann an dem Rhein an. Der immer noch Unbekannte führte mich zu einem wunderschönen, Menschenleeren Ort. Wir setzten uns auf zwei Steine und ich konnte den rauschenden Rhein beobachten.

Ich genoss die Ruhe, doch nach einigen Minuten wendete ich meinen Blick von dem Fluss ab und ich sah den Unbekannten an. „Danke" flüsterte ich fast. „Das ist wirklich keine Ursache, du hast echt eine Umarmung gebraucht" sagte er und da war es wieder, dieses Lächeln das mein Herz schmelzen ließ. Er fuhr sich mit seiner Hand durch seine braunen, hoch gestylten, scheinbar Markellosen Haare und fragte unsicher „also erzählst du mir was los ist?" Ich nickte leicht und erzählte.

Wir saßen dort Stundenlang und ich verlor tausende Tränen, aber es tat unendlich gut, es war so wundervoll, sich alles von der Seele reden zu können, einfach alles rauszulassen. Ich dachte immer, dass Worte nur da waren, um mich zu verletzen, aber in diesem scheinbar einzigartigen Moment, heilte es mich.

Als ich meine Geschichte zu Ende erzählt hatte, lächelte ich. Es war eine Seltenheit, dass sich ein ehrliches Lächeln auf meinen Lippen abspielte. Es war ein bisschen so, als hätte der Unbekannte durch seine Umarmung und sein Zuhören einen Farbeimer in mein dunkles Leben gekippt, als hätte er in nie endender Dunkelheit das Licht angemacht.

Der braunhaarige lächelte zurück „Du bist trotz deiner Fehler wundervoll, sie machen dich einzigartig. Weißt du, sie machen dich zu dem Kunstwerk das du bist. Ich meine selbst ein Diamant hat Ecken und Kanten und trotzdem ist er schön." Mein Lächeln wurde nur größer und ich fiel ihm in die Arme „Danke!"

Und da war ich wieder in dem Armen eines Unbekannten, wieder am weinen aber dieses Mal erleichtert und dankbar für jede Sekunde.

Der bekannte Unbekannte. (Paluten OS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt