Gut. Die Abreise war vorbereitet. Ich schaute noch einmal in meinem Zimmer und im Bad nach, ob ich alles für den zweiwöchigen Urlaub zusammen hatte. Meine beste Freundin Aline und ich wollten zusammen in ein Wellnesshotel in Baltimore fahren, da wir endlich die Zwischenprüfungen in diesem Jahr bestanden hatten. Der Stress war wirklich unmenschlich gewesen, sodass unsere Eltern nichts dagegen hatten, auch wenn wir erst 17 waren. Aline hatte einen Führerschein und wir würden mit dem Auto ihrer Mutter fahren. Sie hatte zwar auch eins, aber auf langen Strecken musste man sich immer um das alte Ding sorgen, hatte immer Angst, es würde jeden Moment auseinander fallen. Ich wollte meinen Führerschein erst mit 18 machen, es erschien mir in dem Moment nicht notwendig, Auto fahren zu können.
Als mir auch meine Mum versicherte, dass ich nichts vergessen hätte und ich im Kopf wieder und wieder die Liste der unabkömmlichsten Dinge durchgegangen war, fühlte ich mich ruhiger. Auch die kleine Lampe in meiner Tasche versprach mir ein wenig Sicherheit. Sie funktionierte mit Batterien, die durch Licht aufladbar waren und 24 Stunden hielten. Ich trug diese Taschenlampe immer bei mir, da ich eine Phobie vor Dunkelheit hatte. Es war nicht wie die Angst vor Monstern im Dunkeln, wie sie kleine Kinder oft hatten. Es fühlte sich eher an, als wäre die Dunkelheit nicht nur ein Zustand fehlenden Lichts sondern… lebendig. Natürlich war sich mein Verstand darüber im Klaren, dass sich, wenn das Licht aus war, in der Umgebung nichts veränderte, aber mein Unterbewusstsein schrak vor jedem Schatten zurück. Ich hatte auch schon eine Hypnose vorgeschlagen, aber meine Mutter riet mir davon ab. Sie sagte, jede Hypnose sei ein Eingreifen in die menschliche Aura. Auch wenn mir das etwas suspekt erschien, widersprach ich doch nicht, denn es würde wohl einen Grund haben, dass Bewusstsein und Unterbewusstsein getrennt voneinander funktionieren.
Es klingelte. Das würde Aline sein, die mich abholte. Etwas Angst hatte ich schon vor dem Trip, aber wir würden sicherlich ankommen, bevor es dunkel wurde. Ich wohnte in Springfield, Massachusetts, also sollten wir, wenn die Fahrt ohne Komplikationen verlief, in etwa sechs Stunden angekommen sein.
Das war wieder typisch Aline. Sie kam entweder (mindestens!) zehn Minuten zu spät oder viel zu früh. Mir war das frühe Erscheinen heute mehr als recht, denn wenn wir jetzt losfuhren, wären wir vielleicht schon um 15 Uhr angekommen, was wirklich angenehm wäre.
Wir begrüßten uns mit einer Umarmung und Aline half mir, meine Sachen in den Honda zu bringen. Nun war es also so weit, das erste Mal, dass ich so lange ohne meine Eltern weg von Zuhause sein würde. Das mag sich jetzt ziemlich schräg und kindisch anhören, aber wo kann man es denn lange alleine aushalten, wenn man schon bei trübem Wetter alle Lichter anmacht?! Es ist nervig, aber ich habe gelernt, damit zu leben. Und auch Aline, die gerade den Kofferraum schloss, hatte mir sehr geholfen. Ich verabschiedete mich von meinen Eltern, und meine Mutter fragte zur Sicherheit noch einmal:
„Jessy, hast du auch wirklich deine Taschenlampe dabei?“
Ich fasste in meine Jackentasche, in der sich mein Rettungslicht befand und antwortete ruhig: „Ja, hab ich Mum, und Ersatzbatterien auch, nur für den Fall. Gut, dann bis in zwei Wochen, ich ruf an wenn wir angekommen sind.“
Wir setzten uns in den Wagen und fuhren los. Auf der Fahrt spielte Aline die Musik auf ihrem USB-Stick ab, es waren unsere Lieblingslieder. Ihr Bruder hatte ihr verdammt gute Boxen eingebaut, sodass die Songs auf voller Lautstärke liefen und wir lauthals mitsangen. Wir hassten das Radio, da dort nie die Musik lief, die uns gefiel, aber es hatte einen bestimmten Vorteil: Den Stau-Service. Das wurde uns nach viereinhalb Stunden Fahrt klar, als wir bei einem Stau stehen bleiben mussten.
„Verdammt!“ ärgerte sich Aline. „Ich hätte mir wirklich das Navi mit dem Stau-Finder kaufen sollen, jetzt müssen wir uns wohl eine neue Route berechnen lassen.“
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Im Dunkeln
FantasyJessy ist eigentlich ein ganz normales Mädchen, aber sie hat eine Phobie vor Dunkelheit. Es ist nicht diese kindliche Angst, dass dort Monster lauern könnten. Es ist eher so, als wäre die Dunkelheit selbst lebendig. Als sie mit ihrer besten Freundin...