Das Beste

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  Damit begrüße ich euch recht herzlich zum ersten Kapitel der Story deren Namen ihr aus dem Titel entnehmen könnt. Vorweg sei gleich gesagt, dass ich keine festen Postzeiten habe. Ich aktualisiere die Story wann es mir passt, soll heißen, wenn ich die Motivation aufbringen kann, vor allem, da ich nebenher noch an einigen anderen Projekten arbeite. Da mir diese Geschichte jedoch persönlich am Herzen liegt, kann man davon ausgehen, dass ich sie auch beenden werde. Duh.
Gleichzeitig möchte ich vorwarnen, dass die Story eine klitzekleine Besonderheit hat aber das werdet ihr sicherlich noch merken.
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Hellviolett. So hell, dass es schon fast grau wirkte. Ausgeblichen. Schulterlanges, weißlila Haar, welches an den Spitzen vom vielen Färben bereits ordentlich strapaziert war. Ich wusste, dass ich sie bald würde schneiden müssen, wollte ich verhindern, dass der Spliss sich weiter ausbreitete. Doch ich sträubte mich dagegen, ich weigerte mich förmlich auch nur einen Millimeter meines Haars aufgeben zu müssen, denn für jeden Millimeter hatte ich gekämpft. Es mochte theatralisch klingen, doch mit jedem kleinen Stückchen, dass man aufgab, fühlte es sich an, als verlöre man etwas von sich, etwas wichtiges, das viel zu viele Leute als etwas Selbstverständliches erachteten. Ich tat dies nicht. Ich war dankbar, für jedes bisschen Weiblichkeit, das mir die Natur zukommen ließ, dankbar für jedes kleine Zugeständnis, dass mir mein Leben etwas erleichterte, denn die Hürden waren ohnehin schon groß genug. Nein, ich war nicht wie andere junge Frauen, denn im Gegensatz zu ihnen, hatte ich nicht das Glück als solche zur Welt gekommen zu sein. Noch immer klebte mein Blick an meinem Spiegelbild, suchte nach weiblichen, wie auch männlichen Merkmalen.
Ich hatte beides in einem absolut gleichem Maß erhalten, als habe die Natur bei mir alles in einem absoluten Gleichgewicht halten wollen und so wurde alles, was ich an mir irgendwie als weiblich, als schön hätte empfinden können, durch ein männliches Merkmal zerstört.
Der schmale Kiefer mit den hohen Wangenknochen, die eine tolle Kombination hätten sein können, wirkten die Wangen nicht so eingefallen, die sanft geschwungenen Lippen, die durchaus etwas mehr Volumen hätten haben können, die zwar schmale Nase aber der viel zu gerade Nasenrücken und letztendlich, das wichtigste: die Augen, welche zwar eine schöne, beinahe elfenhafte Form hatten durchaus aber etwas größer hätten sein dürfen und mit einem langweiligen Braunton gestraft wurden.
Dabei war es nicht einmal ein schönes Schokoladenbraun, sondern eher ein undefinierbares helles Schlammbraun. Lediglich mit meiner körperlichen Statur war ich durchaus zufrieden. Ich war schon immer sehr schlank gewesen und mit meinen 1,74m in einem guten Mittelmaß, nicht zu groß aber auch nicht zu klein. Doch es würde sicher nicht lange dauern bis mir auch dies genommen werden würde. Die Zeit ließ sich nicht aufhalten und die biologische Uhr tickte. 16 Jahre alt und noch war ich vor starkem Bartwuchs verschont geblieben, doch wie lange würde das wohl noch so bleiben? Wann würde die noch jugendliche Stimme durch eine ersetzt, die definitiv von einem Mann stammen musste? Innerlich mochte ich mich wie eine Frau fühlen, doch mein Körper, die Natur, arbeitete gegen mich und es gab nichts, was ich hätte tun können um es zu verhindern. Ängstlich krallten sich meine Hände um das Waschbecken und ich begann zu zittern. In dem kleinen Bad, welches direkt an meinem Zimmer angrenzte war es eigentlich nicht kalt, auch wenn ich nur in Unterhose dastand. Es war die Angst, welche sich wie die Kälte in meine Knochen fraß und durch Ungewissheit ausgelöst wurde, Ungewissheit darüber, was die Zukunft bringen mochte. Ich schüttelte den Kopf. Es brachte jetzt nichts sich wieder damit auseinanderzusetzen. Ich hatte es schon oft getan. Stattdessen konzentrierte ich mich darauf fertig zu werden. Die Haare waren bereits fertig gewaschen, geföhnt und geglättet, der Pony fiel mir frech ins Gesicht und nun fehlte nur noch etwas Make-Up, damit ich mich vollends wohlfühlen konnte.
Wie immer begann ich mit einem deckenden Puder. Meine Haut war zwar bereits hell, jedoch verlieh mir dieses Puder die gewisse vornehme Blässe. Anschließend fanden auch Kajal, Lidstrich und eine dezente Wimperntusche ihren Weg, sowie ein Labello, der ein zartes Schimmern auf den Lippen hinterließ und den Anschein von Volumen erweckte. Mehr nicht. Schließlich ging ich ja nur zur Schule und nicht in einen Club oder dergleichen. Abgesehen davon gab es da noch ein gewisses anderes Hindernis... Es waren nur kleine Veränderungen aber sie trugen zu einem großen Effekt bei. Es war nicht perfekt aber je mehr Männlichkeit aus meinem Gesicht schwand, je mehr meine Weiblichkeit betont wurde, desto zufriedener wurde ich. Ich spürte mein Selbstvertrauen wachsen und vergaß meine Sorgen zumindest ein Stückchen. Nun sah ich mein Spiegelbild lächeln. Ich beeilte mich meine Zähne zu putzen und flitzte dann zurück in mein Zimmer um mich anzuziehen.
Nach frühstücken war mir nicht. War mir nie. Zum einen hatte ich nur wenig Zeit dazu, wenn ich den Bus noch bekommen wollte und zum anderen wollte ich keinen zusätzlichen... Stress riskieren, indem ich mein nicht vorhandenes Glück herausforderte. Wirklich viel gab mein Kleiderschrank nicht her aber unzufrieden war ich dennoch nicht, denn immerhin war er gefüllt mit Dingen, die ich gerne anzog. Wie zum Beispiel die dunkelblaue Röhrenjeans und das enge schwarze Hemd, welche meine schlanke Figur betonten. Ja, wie gesagt, mit meiner Figur an sich war ich wirklich zufrieden, auch wenn meine Brust nicht die Wölbungen aufwiesen, wie Frauen sie nun mal haben sollten. Ohne großartig darüber nachzudenken schlüpfte ich in meine Chucks, zog mir meine schwarze Lederjacke über und lief mit meiner Tasche die Treppen nach unten zur Haustür. Ich hatte die Hand bereits am Türgriff, als ich hinter mir eine strenge, autoritäre Stimme vernahm, die mich zusammenzucken ließ.

„Wo wollen wir denn so schnell hin?", fragte sie mich.
„Zur Schule?", antwortete ich langsam und drehte mich zu meiner Mutter um, die mich missbilligend ansah. Ihr braunes Haar war bereits fachmännisch hochgesteckt und ihr schlanker Körper war in einem blauen Kostüm eingekleidet, welches ihre Stellung als staatliche Anwältin unterstrich, als könne ihr autoritäres Auftreten dies alleine nicht bereits zur Genüge. Ihre Augen waren nur dezent geschminkt, dafür leuchteten ihre Lippen in einem hellen Rot, das gut zu ihrer übrigen Aufmachung passte. Sie galt als schöne Frau, zumindest sagte man mir das oft genug.
Ich wusste jedoch, dass sie nicht allein durch Schönheit so erfolgreich geworden war, sondern dadurch genau zu wissen, wie sie bekam was sie wollte, vollkommen egal, ob das bedeutete, dass sie über Leichen gehen musste. Das Zwischenmenschliche hatte bei ihr noch nie so gut funktioniert, was dazu geführt hatte, dass mein Vater es nicht lange mit ihr ausgehalten und das Weite gesucht hatte. Für sie war das jedoch kein Grund gewesen an sich zu arbeiten, im Gegenteil, sie hatte noch ehrgeiziger an ihren Zielen festgehalten als wäre beruflicher Erfolg alles, was sie im Leben bräuchte.
„Und das mal wieder ohne Frühstück?", wollte sie mit hochgezogenen Brauen wissen. Ihr Stimme triefte nur so vor Missbilligung, was nicht nur an dem ausgelassenen Frühstück lag, dessen war ich mir deutlich bewusst. Selbst wenn dem so wäre, so waren ihre forschenden Blicke eindeutig genug um zu wissen, was sie dachte, sobald sie ihren Erstgeborenen erblickte.
„Ich verpasse sonst meinen Bus", erwiderte ich kleinlaut und hoffte damit der Musterung ein vorzeitiges Ende zu machen.
„Unsinn. Ich fahre dich. Du gehst in die Küche und isst. Auf der Theke steht dann auch dein Schulbrot."
Damit wandte sie sich wieder von mir ab, als stünde es völlig außer Frage, dass ich mich dieser Anordnung widersetzen würde. Tatsächlich ließ ich widerwillig meine Hand sinken und folgte ihr stattdessen zum Esstisch, an dem bereits meine kleine Schwester Eva Platz genommen hatte und verschlafen ihr Müsli futterte. Sehr zu ihrem Pech, hatte die Neunjährige mehr von ihrem Vater, als von unserer Mutter abbekommen, im Gegensatz zu mir. So war sie eindeutig etwas rundlicher als wir beide und ihre Haare wiesen widerspenstige Locken auf. Dafür waren diese von einer seidigen, blonden Farbe und ihre Augen waren von einem beinahe unnatürlich schönen Grün.
„Iss nicht so viel", wies unsere Mutter sie harsch an, als sie die Küche betrat und nahm ihr direkt die Müslipackung weg.
„Das ist meine erste Schüssel!", protestierte die Kleine, die schon ein erstaunlich lautes Gehör hatte.
„Das reicht auch. Dein Vater hat dich total verhätschelt und dir mehr gegeben als gut für dich war. Es wird langsam mal Zeit, dass jemand verschärft auf deine Ernährung achtet", antwortete sie und fügte etwas verspätet hinzu: „Und alles drum herum ebenso."
Ganz die böse Stiefmutter, ging es mir durch den Kopf. Als meine Mutter und Evas Vater, Conrad Donovan sich vor drei Jahren das Ja-Wort gaben, hatte sie direkt damit begonnen Evas gesamtes Leben umzukrempeln. Ungelogen 90 Prozent ihrer Spielsachen waren über den Jordan gegangen und stattdessen musste sie den Großteil ihrer Zeit mit Lernen verbringen um auch ja an die richtige Schule zu kommen. Sie tat mir leid. Ich wusste wie es war, wenn einem so die Kindheit ruiniert wurde. Conrad war eher ein lockerer Mann, wusste sich jedoch gerade deswegen nicht gegen seine Frau durchzusetzen und ließ zu, dass sie ihre gesamte Freizeit mit Nachhilfe, Übungsstunden und zusätzlichen Aktivitäten durchorganisierte, die sich in späteren Bewerbungsschreiben gut machten, so wie sie es auch mit mir seit jeher getan hatte.
Aufmunternd lächelte ich ihr zu, während ich mir eine Schale aus dem Regal und einen Löffel aus der Schublade holte um mir ebenfalls ein schnelles Frühstück zu machen. Natürlich fand man nur das besonders gesunde Zeug vor. Ohne Zucker. Grauenhaft. Zumindest bei Tamara, meiner besten Freundin, würde ich mir wohl später ein Stück Schokolade abzweigen können, die sie provisorisch immer für schlechte Momente dabeihatte, von denen es, ihrer Meinung nach, sowieso jeden Tag welche gab. Dabei hatte sie es gar nicht mal so schlecht: Eltern, die keine Tyrannen waren und die Freiheit zu entscheiden wohin ihr Leben gehen durfte.
„Regina Schatz, lass sie doch in Ruhe ihr Frühstück genießen", kam es von dem ebenfalls eintretenden Conrad. Mit ihm hatte meine Mutter wirklich einen „guten Fang" gemacht. Als Vorstandsmitglied von „DonCorps" des größten Fertigungs- und Exportunternehmens von Maschinenteilen der Stadt, wenn nicht sogar des Landes, sah man ihm sein Alter von knapp über fünfzig Jahren als auch die leicht untersetzte Figur wohl nach. Ich hatte schon seit dem ersten Kennenlernen den Verdacht, dass meine Mutter ihn nicht um der Liebe Willen geheiratet hatte. Dennoch war der Mann ziemlich in Ordnung. Er war auf seine Art ein guter Kerl, versuchte mir ein väterlicher Kumpeltyp zu sein und glaubte von sich selbst witzig zu sein... Was an sich schon witzig war. Meine Mutter sah ihn jedoch nur mit schmalen Lippen an, Missbilligung wie immer deutlich in ihren Augen.
„Bin ich streng? Ja, mag sein aber du weißt, dass es zu ihrem Besten ist", verteidigte sie sich.
„Natürlich Schatz. Und ich bin dir dankbar dafür. Nicht jede Frau würde das so selbstverständlich machen wie du."
Ich musste mir wirklich ein Augenrollen verkneifen.
Stattdessen beeilte ich mich lieber damit fertig zu werden, da ich das Übel nicht länger als nötig aufschieben und hinter mir bringen wollte. Daher schlang ich mein Essen nahezu herunter und stellte die leere Schale und den Löffel anschließend in den Geschirrspüler.
„Wir können", meinte ich kurz angebunden und ging schnell aus der offenen Küche zum Eingangsbereich.
„Conrad, du musst Eva später von der Schule abholen, ich habe heute noch etwas länger in der Kanzlei zu tun. Wie es aussieht wird die Berufung im Kingston-Fall durchgehen und dann muss ich mich schon wieder mit diesen Bankkaufleuten herumärgern", erklärte sie.
Ihr Ehemann nickte einfach nur und strahlte sie an.
„Du wirst sie trotzdem wieder in ihre Schranken weisen, Schatz, wie immer. Wir sehen uns dann heute Abend. Ich liebe dich."
„Ja, ich dich auch."
Ob es nur mir auffiel, wie unglaublich kalt sie dabei klang?

Später in ihrem Auto sagte ich nichts mehr. Ich ließ sie reden, denn ohnehin schien es, als liebe sie es, sich selbst beim Sprechen zuzuhören. Es ging um Angelegenheiten im Büro, unverschämte Menschen und anschließend um ihr Lieblingsthema: mich.
„Die Haare müssen geschnitten werden. Sie sind wieder deutlich zu lang", eröffnete sie das Kreuzfeuer, „Und diese schreckliche Farbe muss überdeckt werden. Dein Braun war wirklich schön, ich verstehe einfach nicht, warum du es dir so ruinieren musst, Samuel. Abgesehen davon bist du im Abschlussjahr und so kannst du dich nun wirklich in keiner der Universitäten bewerben, die ich dir rausgesucht habe. Die achten da auf ein anständiges Äußeres. Und wo wir gerade dabei sind: Das mit der Farbe im Gesicht muss auch endlich aufhören. Ich habe das lange genug toleriert. Du siehst aus wie ein Mädchen und nicht wie der junge Mann, der du mittlerweile bist."
Genau das wollte ich doch, warum verstand sie das denn nicht einfach? Doch, sie verstand es. Sie war nicht dumm. Irgendwo in ihrem Kopf wusste sie, was mit mir los war. Das Problem war eher, dass sie es nicht begreifen wollte, sie blockierte sich gegen die Vorstellung, dass etwas ihre perfekte kleine Welt und ihre Planungen mich bezüglich zerstören könnte. Es war offensichtlich was mit mir los war. Musste es einfach sein.
„ich will wirklich nur das Beste für dich, mein Schatz. Aber da...", begann sie und machte eine kleine Atempause, „musst du schon ein wenig mitarbeiten, sonst wird das nichts. Ich bin nicht immer da um dir den Weg zu weisen. Du musst dringend lernen selbstständiger zu werden."
Es war bestimmt nicht so, dass ich und nur ich diese Worte immer wieder zu hören bekam. Sicher gab es tausend Kinder, die dergleichen auch im Schlaf aufsagen konnten... Doch in meinem Fall lag sie einfach falsch und das auf so vielen Ebenen. Ich war selbstständig. Ich lernte, im Gegensatz zu meiner Schwester, vollkommen ohne, dass mir ständig Druck gemacht werden musste. Ich schrieb fast nur Einsen in der Schule und hielt mein Zimmer stets ordentlich. Ich verstand einfach nicht, warum sie mich stets wie ein kleines Kind und nicht wie einen jungen Erwachsenen behandeln musste.
Tatsache war, dass sie mich so sehr fremdbestimmte, dass mir kaum die Möglichkeit, kaum genug Freiraum blieb um mich selbst organisieren zu können. Sie schrieb mir fast alles vor und beschwerte sich dann über zu wenig Eigeninitiative und wenn ich dann doch einmal versuchte das Rad in die Hand zu nehmen hieß es, ich würde mich wieder gegen sie auflehnen und in ein „pre pubertäres Verhalten abdriften".
Ich konnte es ihr einfach nicht recht machen. Nie. Und das war belastend.
So kam es mir fast wie eine Ewigkeit vor, bis sie endlich auf dem Schulparkplatz hielt.
„Hörst du mir überhaupt zu, Samuel?"
Wieder ergriff mich ein Schaudern. Ich hasste diesen Namen. Ich hasste ihn so sehr. Dabei war es nicht einmal der Name an sich, den ich hasste, sondern eher das, was er implizierte, was er vorgab, das ich angeblich war. Gezwungenermaßen sah ich zu ihr hinüber, unterdrückte den Impuls einfach die Tür aufzureißen und hinaus zu stürmen, denn das hätte sicher Konsequenzen.
„Ja", antwortete ich einsilbig und sah nun in die weicher werdende Miene meiner Mutter. An meiner Vorsichtsstellung änderte das jedoch nichts, sie konnte immer noch etwas sagen, mit dem sie mich wissentlich verletzen würde.
„Du weißt, dass ich dich liebe, oder? Du bist mein ganzer Stolz und ich will wirklich nur dein Bestes", wiederholte sie. Doch was bedeutete das schon? Das Beste? Was war, wenn das, was sie als „das Beste" empfand, nicht das war, was ich wollte? Nicht das, was gut für mich war? Doch wie immer traute ich mich nicht ihr das zu sagen. Es führte ohnehin zu nichts mit ihr eine Diskussion anzufangen. Sie drehte einem das Wort im Mund um und ließ einen dann dastehen wie ein kleines, dummes Kind und darauf hatte ich schlichtweg keine Lust. Ich musste den Ärger nicht noch bewusst heraufbeschwören. So konnte ich dem wenigstens schnell entgehen.
„Natürlich, Mama.", log ich und versuchte mich an einem kleinen Lächeln, das mir sogar gelang. Wenngleich sie so schlau war und den Menschen Lügen an der Nasenspitze ansah, so schluckte sie das, was sie hören und sehen wollte, beinahe ohne weiter nachzufragen.
„Dann wünsche ich dir einen schönen Schultag, gib dein Bestes", meinte sie noch, während ich ausstieg und die Tür wieder hinter mir schloss. Kurz darauf war sie abgefahren und mir war, als könnte ich heute zum ersten Mal tatsächlich atmen.
„Gott, ich dachte schon die lässt dich nie mehr aus ihren Krallen", vernahm ich eine bekannte Stimme.
„Tamy", grinste ich und sah zu meiner besten Freundin, die nicht weniger zurückgrinste. Was ich an ihr so mochte war ihre offene, fröhliche Art. Sie schaffte es immer mich wieder aufzumuntern und auf andere Gedanken zu bringen. Im Gegensatz zu ihr sah ich noch sehr konservativ aus. Ihre Haare waren in einem stechenden Grün gefärbt und passten gut zu ihren hellblauen Augen.
Die Lippen waren so schwarz wie Pech und auch ihr Kleidungsstil mutete düster an, mit etlichen Nieten und mehr Fetzen als Kleidung. Sie hatte zwar keine perfekte Figur war aber weit davon entfernt unansehnlich zu sein und war mit schönen, absolut fraulichen, Kurven gesegnet worden, was mir jedes Mal, wenn ich sie sah, einen kleinen Tritt verpasste. Es gab Leute, die sich ihre Freunde nach Schönheit aussuchten. Ich kannte genug Diven, die mit Absicht mit Mädchen herumliefen, die sie als weniger schön als sie selbst erachteten, damit sie neben ihnen besser aussahen. An sich war dieses Verhalten natürlich total oberflächlich aber bis zu einem gewissen Grad hin konnte ich es nachvollziehen.
Wenn man in einer Sache nur wenig Selbstbewusstsein hatte, wollte man es sich nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon war und der Nachteil daran, wenn man weibliche Freunde hatte war der, dass man sich neben ihnen noch männlicher fühlte. Ab und zu kam es durchaus schon mal vor, dass ich von Männern beobachtet wurde. Viele schauten neugierig, positiv neugierig, als sähen sie in mir wirklich eine junge Frau, doch alsbald eine andere kam, sah man die Kontraste, man sah die Männlichkeit und dann wurde ich augenblicklich uninteressant. Ich war nur so lange interessant, bis eine echte Frau kam. Dennoch würde ich Tamara kaum eintauschen wollen, schließlich war sie die Einzige, die wirklich dazu in der Lage war mich bei Laune zu halten... und mich zu ertragen.
„Nenn mich noch einmal Tamy und ich nenne dich für ein halbes Jahr lang bei deinem vollen Namen Sam", drohte sie.
Was unsere Namen anging waren wir total unterschiedlich. Sie hasste alle möglichen Abkürzungen ihres Namens und konnte da schon ziemlich biestig werden. Meistens erklärte sie das den Menschen aus ihrem Umfeld nur ein einziges Mal und danach musste man mit unangenehmen Konsequenzen rechnen, hielt man sich nicht dran.
Die Kurzform „Sam" fand ich hingegen erträglicher als Samuel, weil es nicht zwangsweise auf einen männlichen Namen hindeuten musste. Tatsächlich trug ich diesen Namen eher als eine Art Kompromiss, bis ich wusste, wie ich mich tatsächlich nennen wollte. Ich wollte es nicht einfach bei „Samantha" oder etwas Ähnliches belassen, weil das eher wie eine Parodie meiner Person klang. Es wäre einfach seltsam und würde mich zu sehr an mein altes Leben erinnern. Bis ich jedoch über einen Namen stieß, der mir dieses warme Gefühl von „zu Hause angekommen sein" vermittelte, nutzte ich eben unverbindlich die Kurzform.
„Uppsie... Verzeih mir das nochmal, ja?", grinste ich sie breit an, woraufhin sie zweifelnd eine Braue in die Höhe hob.
„Aber nur, weil du meine beste Freundin bist, verstanden? Und weil ich, wenn ich dich umbringe, sonst niemanden habe, den ich quälen könnte."
„Immer schön, wenn man so geschätzt wird", erwiderte ich kichernd.
Ganz so unwahr waren ihre Worte jedoch nicht. Wir waren die Außenseiter, die mit denen man sich nicht abgab, weil man sich nicht für sie interessierte. Selbst für die Freaks waren wir Freaks, sodass wir uns zwangsweise hatten finden müssen. Jedoch wurden wir weitestgehend von der anderen Schülerschaft in Ruhe gelassen. Es war irgendwie eine stille Abmachung gewesen, dass sie uns in Ruhe ließen, wenn wir sie in Ruhe ließen. Ab und an gab es zwar ein paar Ausreißer unter ihnen aber das war wirklich die Seltenheit, mit Mobbing mussten wir uns also weniger herumschlagen, was zumindest schon mal etwas Gutes war.
Schon liefen wir schnatternd über den bereits rappelvollen Schulhof und tauschten uns, wie ganz normale Jugendliche, über den neuesten Klatsch aus.
„Jedenfalls hat Nancy, die absolute Oberzicke des Teams, dann direkt angefangen zu stänkern und wollte Lydia direkt direkt an die Kehle. Beim nächsten Mal musst du echt dabei sein. Diese Cheerleaderinnen sind manchmal schlimmer als die testosteronüberladenen Footballspieler, die sie anfeuern. Oh, wo wir gerade beim Thema sind... Unser Runningback-Charming-Superstar stiert dich schon wieder auffällig unauffällig an. Wenn der so weitermacht rafft bald die ganze Schule, dass der voll auf dich abfährt", kommentierte sie.
„Ach komm...", meinte ich abwehrend.
„Nichts ach komm! Ich sag dir, Charming ist nicht gerade unauffällig!"
Kopfschüttelnd rollte ich die Augen. Charming hieß eigentlich Daniel Carmichael und hat von Tamara diesen Spitznamen verpasst bekommen, weil er sich allen und jeden gegenüber stets wie ein echter Gentleman benimmt, was ich zum schmelzen und meine beste Freundin zum Kotzen findet. Eigentlich hatte er mal zu unserem Kreis gehört, damals als er noch ein wenig pummeliger und nicht Teil des Footballteams war.
Wir hatten damals schon im Sandkasten miteinander gespielt und schon in der Middle School war mir klar gewesen, dass ich mich in ihn verknallt hatte. Dass er uns mit Beginn der High School regelrecht sitzen gelassen hatte, weil er sein Image aufbessern wollte, hatte Tamara ihm niemals wirklich verziehen, auch wenn er sich uns gegenüber wieder normal benimmt... Zumindest wenn niemand hinsieht.
Ich konnte ihm nicht mal wirklich böse sein. Ich verstand es durchaus, wenn man im Leben weiterkommen wollte und ich konnte mich gut daran erinnern, wie er des Öfteren seine Ziele hinter unsere Freundschaft gestellt hatte. Dass er sich letztendlich dafür entschieden hatte mehr aus mich zu machen hatte weniger damit etwas zu tun, dass er uns im Stich gelassen hatte, sondern damit, dass er einfach weiterkommen wollte.
„Schrei doch noch ein wenig lauter, dann macht sich bald die gesamte Schule darüber Gedanken", meinte ich bissig, was sie endlich zum Schweigen brachte.
„Sorry, ich weiß ja, blödes Thema. Apropos blöde Themen; Hat sich deine Mom tatsächlich heute Morgen noch die Zeit genommen dich noch vor Schulbeginn zu quälen?", wollte sie wissen.
„Es ging eigentlich. Sie hat sich nicht übermäßig daneben benommen", gab ich zur Antwort. Sie jedoch rümpfte nur die Nase. Es war kein Geheimnis, dass die Grünhaarige meine Mutter nicht leiden konnte. Sie hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie Tamara nicht als einen guten Umgang für mich erachtete und seither herrschte zwischen ihnen ein diffuser Krieg, wann immer sie sich über den Weg liefen. So ein wenig hatte ich dabei um beide Angst. Tamara traute ich durchaus zu etwas Dummes zu tun und meine Mutter hatte bestimmt Kontakte, die ihr sehr schaden konnten, wenn sie es denn wollte. Ich hatte schon mehr als einmal mitangesehen, wie die Leute, die sich gegen sie auflehnten innerhalb kürzester Zeit ruiniert waren.
„Wann wirst du es ihr eigentlich endlich sagen?", fragte sie, wohl schon zum tausendsten Mal.
"Wenn die Sonne im Westen aufgeht und im Osten versinkt, wenn die Meere austrocknen und die Berge wie Blätter im Wind verwehen", gab ich zurück.
„Du und deine Game of Thrones Zitate... Kein Wunder, dass alle denken du wärest ein Freak, wenn du die komplette Show zitieren kannst."
„Irgendetwas muss ich doch können", grinste ich und hörte die Schulklingel läuten, woraufhin die Schüler in das Innere strömten und sich gegen die Tür drückten. Der Stau, der dadurch jedes Mal aufs Neue entstand sah schon ziemlich lustig aus, vor allem, wenn sich von hinten auch noch andere kreischend auf die Masse draufwarfen. Da Tamara und ich jedoch keine Lust hatten zu Pfannkuchen verarbeitet zu werden, blieben wir genau dort stehen, wo wir waren.
„Kinder", schüttelte sie den Kopf, „Wenn die sich noch zu Tode quetschen beweisen die nur mal wieder, dass Darwin Recht hatte", kommentierte sie.
„Ich gehe jede Wette ein, dass Mrs. Davies gleich wieder an die Decke geht und versucht Ordnung in das Chaos zu bringen", meinte ich.
„Und meinst du sie packt es?"
„Naja, sie kann schon ziemlich autoritär für ihre 1,65m und ihre achtzig Jahre sein", meinte ich grinsend und sah zu meiner Freundin rüber.
„Gut, ich halte dagegen. Der übliche Einsatz?"
„Der übliche Einsatz", bestätigte ich.  

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 30, 2017 ⏰

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