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Es ist wirklich kein Vergleich zu Amerika. 

Dort sind die Häuser riesig und hier ist alles so klein. Rheinhäuser sind in Amerika nicht zu finden und hier sehen ganze Siedlungen gleich aus. Fünf Kilometer Straße sehen gleich aus. Lediglich die Autos, die Bäume oder das Pflaster zur Haustür unterscheiden die Häuser untereinander. Die Hausnummern nicht zu vergessen. Vor jeder Haustür sind bunte Hollandräder zu finden. Vor einigen Haustüren stehen die typischen Holzschuhe mit Blumen bepflanzt und die Windmühlen im Vorgarten drehen ihre Runden. Kleine Kinder spielen Fußball auf der Straße und die Mütter sitzen im Vorgarten und Unterhalten sich auf Niederländisch.

Ich jedoch sitze auf dem Beifahrersitz eines alten Opel Corsa und habe Angst, wenn ich etwas anpacke, dass das Auto in seine Einzelteile zerfällt. David Bowie dringt aus den Lautsprechern und ich wünschte ich wäre mit dem Zug gefahren. Ich hätte mich bestimmt verfahren aber das wäre nicht so schlimm gewesen wie zwischen leeren Bierdosen, Birkenstockschuhen und alten Vla Packungen zu sitzen. Nicht zu vergessen mit meiner Mutter als Fahrerin.

Nach sechzehn Jahren habe ich sie am Flughafen von Amsterdam das erste Mal gesehen. Mit ihrem braunen vollen Haaren, ihren rotgeschminkten Lippen und dem Hippie Kleid hielt sie ein Schild mit meinem Namen in die Höhe 'Stefanie Michaels-Lorenz'. Als ich dann vor ihr stand habe ich nur ein kleines 'Hallo' heraus gebracht und verlegen gelächelt. Sie hingegen hat mich von oben bis unten gemustert, stolz gelächelt und gesagt wie groß und wie hübsch ich geworden bin.

Ich habe ebenfalls diese braunen vollen Haare meiner Mutter und ihre tiefblauen Augen. Es ist nicht zu übersehen, dass wir Mutter und Tochter sind, doch irgendwie sind wir es auch nicht. Sie weiß nichts über mich und ich weiß nichts über sie. Ich weiß lediglich ihren Namen Julia Lorenz, ihren Geburtstag 07.11.1971 und ihren Wohnort Die Niederlande. Mehr weiß ich nicht. Ich weiß nicht, ob sie einen Mann hat oder sogar noch Kinder. Ich weiß nicht welchen Beruf sie ausführt oder warum sie diese hässlichen Birkenstockschuhe trägt. Ich weiß nicht ob sie mich überhaupt bei sich haben will oder warum sie meinen Vater damals mit mir einfach allein gelassen hat. Doch da mein Vater Opfer eines Autounfalls ist kann er mir nie diese Frage beantworten.

Jetzt sitz ich hier in diesem Corsa und fahre immer weiter ins nirgendwo. Raus aus den immer gleich aussehenden Straßen. Weg von den Fußball spielenden Kindern und immer weiter Weg von meinem alten Leben.

„Kannst du denn ein bisschen Holländisch?" fragt mich meine Mutter zum Glück in Englisch und hält vor einer roten Ampel. „Ne nicht wirklich." Gebe ich ihr als Antwort. „Ach, das wird nicht so schwer sein. Vieles kannst du ja aus dem Deutschen ableiten." Stimmt Niederländisch und Deutsch ähneln sich aber so gut Deutsch wie früher kann ich auch nicht mehr. Nachdem meine Mutter meinen Vater verlassen hat, sind mein Vater und ich nach Amerika ausgewandert. Wir haben alles in der Nähe von München stehen und liegen lassen und sind weg. Ich war erst ein halbes Jahr alt und kann mich an nichts erinnern. Lediglich die Erzählungen meines Vaters sind mir geblieben. Er hat Zuhause mit mir immer Deutsch geredet doch in der Schule musste ich Englisch reden. Nur mein Vater hat mit mir Deutsch geredet. Doch desto älter ich wurde, desto weniger sahen wir uns. Er musste länger arbeiten und ich war länger weg. Wir haben uns kaum noch gesehen und somit habe ich kaum noch Deutsch gesprochen. Das Ende vom Lied ist, dass meine Deutschkenntnisse sich minimiert haben und ich so gut wie nur noch Englisch kann. Nach diesen mageren drei Sätzen blieb es weiter still. Niemand wusste was er sagen sollte. Zwar hatte ich eine Menge Fragen aber fragen wollte ich auch nicht. Ihr geht es vermutlich nicht anders. Immer wieder sehe ich wie sie ihren Mund öffnet um etwas zu sagen aber ihn dann doch wieder schließt.

Mittlerweile dringen die Rolling Stones durch die Lautsprecher. Ich mag die Stones. Sie sind einfach eine Ikone im Rock Business.

Wir fahren bestimmt schon 2 Stunden aber bei dem Tempo von 60 Km/h und etlichen Ampeln ist es selbst verständlich. „Wieso fahren wir nicht auf der Autobahn?" frage ich auf gebrochen auf deutsch. Erleichtert antwortet sie: „ Es wäre ein zu großer Umweg." Ich nicke. „Wo wohnst du?" frage ich. Langsam wird mir die Stille echt unangenehm und ich möchte mehr über meine Mutter erfahren. Sie muss lächeln. „bei einem etwas größerem Ort am IJsselmeer. Ich weiß den Namen selbst nicht aber das muss man auch nicht. Es wird dir dort gefallen." Sagt sie und biegt auf eine Nebenstraße ein. „Es ist nicht mehr weit. Ich kann dir ja mal deine Schule zeigen." Erklärt sie und ich nicke. Wir biegen nach rechts ab und darauf erstreckt sich ein großes neugebautes Gebäude. Einige Schüler sitzen davor und reden. Anscheinend haben sie Pause. Immerhin ist es Freitag und 12.00 Uhr. Ich schaue mir im vorbei fahren die Schüler und die Schule an. Alles sieht neu und gepflegt aus.

„Und wie gefällt sie dir?" fragt meine Mutter. „Sie sieht richtig schön aus." Antworte ich während wir uns von der Schule entfernen. „Das ist sie. Vor zwei Jahren ist die alte abgebrannt und sie haben es wirklich toll gestaltet." Schwärmt sie und ich merke wie sie strahlt. „Sie ist abgebrannt?" erstaunt frage ich, denn ich habe noch nie mitbekommen, dass eine Schule abgebrannt ist. „Ja! Zum Glück hatten die Schüler gerade Weihnachtsferien bekommen. Es soll eine defekte Gasleitung gewesen sein und im Lehrerzimmer war noch eine Kerze an. Dann gab es einen Knall, den selbst ich gehört habe und dann stand alles in Flammen." Erzählt sie. „Ist dabei jemand gestorben?" frage ich und schaue sie an. „Ja... Die Direktorin und ein Lehrer." Bedrückt fährt sie eine Düne hoch und es zeigt sich ein großer leerer Strand. „Aber wir wollen jetzt nicht melancholisch werden. Wir sind jeden Augenblick da!" Ich nicke und schaue mir die Umgebung an. Das Meer erstreckt sich. Auf den Wiesen hinter der Düne grasen einige Kühe und Schafe und dahinter stehen die typischen holländischen Häuser in Reih und Glied. Jedes sieht gepflegt aus. Der Klinker an der Hauswand ist typisch rot und der Rasen ist vom Winter noch leicht braun. Die Buchsbäume müssen geschnitten und die Gosse gefegt werden. 

Wie fahren die Düne herunter und landen in einer kleinen Siedlung. Die Haustüren sind bunt gestrichen und schauen zum Meer hinaus. Meine Mutter fährt nach rechts in eine kleine Einfahrt und stellt den Motor ab. „Home Sweet Home!" lacht sie und zieht den Schlüssel aus dem Zündschloss. Wir steigen aus und ich betrachte das kleine Haus. Es macht einen gemütlichen Eindruck. Die Haustür ist quietsch gelb gestrichen und man muss automatischen lächeln. Die Fensterläden sind in dem gleichen Ton. Der Vorgarten ist wie jeder andere Garten in der Umgebung pflege bedürftig und die Pflastersteine zur Haustür sind von verwelkten Blättern bedeckt. „Komm!" sagt meine Mutter und zieht meinen kleinen Koffer hinter sich her. Ich nehme noch die anderen Sachen aus dem Auto und folge ihr in das rot geklinkerte Haus. Sie schließt die gelbe Tür auf und ich betrete einen sehr bunten und dunkeln Flur. Es liegen Zeitschriften herum und einige verschlossene Briefe. Die Wände sind in einem rot Ton gestrichen und die alten Möbel lassen es ziemlich dunkel wirken. An der Wand hängen einige Bilder und versprühen eine merkwürdige Atmosphäre.

„Komm! Ich zeige dir dein Zimmer!" sagt sie und geht die Treppen hoch, ich folge ihr. Sie geht von der Treppe aus nach links. „Rechts ist mein Zimmer, das Badezimmer, mein Arbeitszimmer ein weiteres Gästezimmer und das ist dein Zimmer." Sagt sie und öffnet eine Holztür.

Das Zimmer ist im Vergleich zu meinem alten Zimmer, ziemlich klein. Die Möbel in dem Zimmer sind alle aus dem gleichen dunklen Holz. Die Wände sind in einem leichten Grünton gestrichen. Das Fenster geht zum Meer hinaus was ziemlich cool ist und man kann sich auf die große Fensterbank setzten. Das Bett ist ein normales Doppelbett mit Kissen und Decken in verschiedenen Farben und Formen. Mal ist ein gelbes oder ein pinkes Kissen dabei. Der Schreibtisch steht neben dem Fenster und ist leer. Das Bücheregal und die Bilderrahmen sind ebenfalls leer. Ein kleiner Kleiderschrank steht hinter der Tür und über der danebenstehenden Kommode hängt ein Spiegel. „Gefällt's dir?" fragt sie zögernd. „Ja! Es ist toll. Nur grün ist nicht so meins." Lächle ich. „Na da bin ich aber froh. Die Farbe können wir ändern. Wenn du willst können wir jetzt gerade in den Baumarkt fahren, bevor du dich eingerichtet hast." Sagt sie und spielt mit ihrem langen, vermutlich selbstgestrickten, Cardigan. „Gerne. Wir können ja mal die Sachen aus dem Auto holen." Sage ich und lege meine Handtasche auf dem Bett ab. „Klar!" meine Mutter klatscht in die Hände und geht aus dem Zimmer. Ich schüttele lachend meinen Kopf und folge ihr hinunter zum Auto.

Meine zwei großen Koffer stehen schon neben dem Autound der kleine Karton, welcher durch die Lackaffen am Flughafen leichtdemoliert ist wartet noch auf der Rückbank auf mich. „Ich bring die Kofferschon mal in den Flur." Erklärt meine Mom und zieht die Koffer hinter sich her. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 07, 2018 ⏰

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