Prolog

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Ich schreckte aus dem Schlaf auf. Meine Haare standen wie wild von meinem Kopf ab und mein Nachthemd klebte verschwitzt am meinem Körper. Die Luft im Raum war stickig und feucht und auf meinem Nachttisch war eine Wasserlache. Wahrscheinlich hatte ich im Schlaf mein Wasserglas umgeworfen.

Stöhnend kletterte ich aus dem Bett, taumelte, noch völlig durcheinander vom Traum, zum Fenster und riss es auf. Die kühle Nachtluft floss ins Zimmer und strich sanft über mein Gesicht. Aber das bisschen an frischer Luft reichte mir nicht. Entschlossen verließ ich mein Zimmer und schlich die Treppe hinunter zur Haustür. Ich schlüpfte in meine Hausschuhe und rannte nach draußen. Die Wiese war Nass vom Tau und ich spürte, wie die kalte Nässe durch die Schlappen zu meinen Füßen drang, doch ich spürte die Kälte kaum und behielt mein Ziel gut im Auge.

Eine Häuserecke weiter grenzte die Hauptstraße an einen Fluss an. Schwer atmend blieb ich auf der Brücke über dem Fluss stehen und stützte mich erschöpft am Geländer ab.

Hinter mir hörte ich das ständige vorbeirasen von Autos, die noch zu später Stunde unterwegs waren. Wie viel Uhr war es eigentlich? Ich sah auf meine Armbanduhr, die ich selbst Nachts trug. Kurz nach eins. Oh Gott.

Seufzend rieb ich mir die Augen, plötzlich von Müdigkeit umhüllt. Das Rauschen des Flusses hatte etwas beruhigendes und allmählich traute ich mich, an meinen Traum zurückzudenken. Ich war in einem Wald gewesen, bei Sonnenaufgang. Es war wie in einem Märchenwald gewesen. Alles sah im Licht der aufgehenden Sonne so Magisch und Bezaubernd aus.

Ein Sonnenstrahl hatte sich durch die Baumkronen gestohlen und mein Gesicht gewärmt. Dann waren da plötzlich diese entsetzlichen Schmerzen in meinem Kopf gewesen, so als würde er gleich Explodieren. Ich hatte angefangen zu schreien und mich auf dem von Blättern bedeckten Boden herumgewälzt. Und dann war ich aufgewacht.

Das war jetzt sicherlich schon das zehnte Mal, dass ich diesen Traum gehabt hatte, und jedes mal mit demselben Ablauf.

Ich starrte in den Fluss hinab. Das Wasser plätscherte an mehreren spitzen Steinen vorbei, die am Ufer lagen. Noch während ich mir vorstellte, dass sich da sicherlich schon mal ein Kind dran verletzt hatte, hörte ich plötzlich hinter mir das immer lauter werdende quietschen von Reifen. Ich drehte mich um. Grelle Scheinwerfer blendeten mich und ich hörte den Schrei einer Frau. Das letzte, an das ich mich Erinnern konnte, war, wie etwas mit voller Wucht in mich hineinfuhr und ich über das Geländer, runter in den Fluss flog.

Auf die spitzen Steine...

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Zwei weitere Ärzte betraten den Raum.

Jetzt waren sie schon zu viert und hatten keine Ahnung, wie sie das Mädchen Retten sollten.

„Sie hat schon zu viel Blut verloren", sagte einer. „Wenn nicht bald ein Wunder geschieht, wird sie in wenigen Minuten verbluten!"

„Wieso starten wir denn keine Bluttransfusion?", schlug der jüngste Arzt vor.

„Ausgeschlossen", antwortete der dritte. „Mehrere ihrer Adern wurden von den Steinen, auf die sie aufgeschlagen ist, durchgerissen, also bringt es nichts, wenn sie zusätzliches Blut kriegt. Schließlich kann ihr Körper es so nicht aufnehmen."

Betretendes Schweigen breitete sich im Raum aus. Nach einer Weile murmelte der vierte Arzt: „Wir hätten da auch noch diese neue Blutgruppe..."

„Nein.", erwiderte der erste sofort.

Vor einigen Wochen hatte ein junger Mann, wahrscheinlich so um die siebzehn Jahre, eine bereits abgefüllte Blutspende von sich abgegeben und war wieder verschwunden, ohne auch nur seinen Namen zu nennen. Als das Blut überprüft wurde, wurde festgestellt, dass es sich um eine völlig neue Blutgruppe handelt, die dann 'DX-negativ' genannt wurde. Um zu überprüfen, ob das Blut Verträglich ist, testeten sie es an einer verletzten Maus, die seltsamerweise nach Kontakt mit dem Blut komplett geheilt wurde. An Menschen wurde die Blutgruppe jedoch bisher noch nicht getestet.

„Wir haben doch keine Andere Wahl", entgegnete der jüngste Arzt.

„Sie würde sonst sowieso Sterben", stimmte der zweite zu und auch der dritte nickte.

„Und was sagst du?", fragte er den noch zweifelnden Arzt. Dieser blickte in die Runde. Alle drei sahen ihn erwartungsvoll an. Dann fiel sein Blick auf das Mädchen. Wie sie da lag und hoffnungslos um ihr Leben kämpfte.

Schließlich seufzte er ergeben und murmelte: „Na schön. Aber wenn irgendwas schief geht, trage ich nicht die Verantwortung dafür."

Die vier Ärzte beobachteten, wie das Blut durch mehrere Schläuche in den Körper des Mädchens gepumpt wurde. Der EGK, der den Herzschlag und den Puls der Patientin Maß, Piepte gleichmäßig, doch während der Diskussion der Ärzte hatte er sich erheblich verlangsamt. Während bei einem normalen Menschen das Herz fünfzig bis hundert Mal pro Minute Schlägt, waren es bei ihr nur vierzig.

„Bluttransfusion abgeschlossen", sagte der eine Arzt und löste die Schläuche von dem Mädchen.

Besorgt beobachteten sie, wie ihr Herzschlag erst auf dreißig mal pro Minute runterging, dann auf zwanzig, zehn, neun, acht,... null.

Enttäuscht starrten die Ärzte noch einen Moment auf den Bildschirm, in der Hoffnung, dass ihr Herz wieder anfing zu schlagen. Tat es aber nicht...

„Tja, das wars dann wohl", murmelte der eine Arzt Ausdruckslos und ging zum EGK um das schrille, durchgängige Piepsen abzuschalten, welches ertönt, wenn das Herz des Patienten aufhört zu Schlagen. Bei ihr hatte noch nicht mal der Defibrillator geholfen, der normalerweise dazu da war, das Herz dazu anzutreiben, weiter zuschlagen, indem er dem Herz einen Elektroschock gibt.

Genau in dem Moment, in dem der älteste Arzt den Monitor abschalten wollte, hörte das durchgängige Piepsen auf und wurde wieder gleichmäßig. Der Bildschirm zeigte 60 pro Minute an.

Erleichtert drehte sich der Arzt zu seinen Kollegen um.

„Scheint so, als sei eure verrückte Idee ein Erfolg gewesen."

Doch dann drehte der EGK durch. Das Piepsen wurde schneller und schneller. 80 pro Minute, 90, 100, 150, 200...

Verwirrt wollte er sich wieder dem Monitor zuwenden, um zu schauen, was da los war, doch dann packte ihn plötzlich eine Hand von hinten am Genick.

„WAS ZUM TEUFEL??!"

Er wollte Schreien, bekam aber keinen Ton heraus, weil die Hand seine Kehle zusammendrückte.

Er sah noch die entsetzten Gesichter der anderen Ärzte, dann wurde er er von dem Besitzer der Hand herumgerissen und sah sich Auge in Auge mit... Dem Mädchen.

Katy hieß sie und war, so weit er wusste sechzehn Jahre alt. Katy war ein recht hübsches Mädchen, mit langem, blondem Haar und grünen Augen – zumindest hatte er das auf ihrer Krankenkassenkarte gesehen, er hatte sie ja nur mit geschlossenen Augen gesehen – bis jetzt. Jetzt waren ihre Augen offen und sie starrte ihn mit wildem Blick an. Das schlimmste war jedoch das sie keine Grünen Augen hatte, sondern Rote. Die schwarze Strähne in ihren Haaren hatte er vorher auch noch nicht gesehen.

Noch immer hielt sie ihn fest im Würgegriff und er schnappte Verzweifelt nach Luft. Vergeblich.

Vor Schreck völlig Erstarrt, mussten die drei anderen Ärzte mit ansehen, wie ihr ältester Kollege, der von Anfang an gegen die Bluttransfusion von 'DX-negativ' war, langsam zu Boden sank und dort regungslos liegen blieb.

Erst, als sich die glühenden Augen des Mädchens auf sie Richteten, erwachten sie aus ihrer Schockstarre und wichen voller Panik vor ihr zurück. Langsam kam Katy auf die drei zu.

„Ich will...!"

Genau in dem Moment ging die Tür auf und ein Junge schoss herein. Es war der, der vor Wochen wortlos die Blutspende abgegeben hatte. Die, mit der Blutgruppe 'DX-negativ'.

Während das Mädchen bereits nach dem jüngsten Arzt griff, packte der Junge sie von hinten, schnappte einer der Narkose-spritzen, die auf dem Operationstisch lagen und drückte sie Katy in den Arm. Sie bäumte sich schreiend auf, und... Erschlaffte.

Schwer Atmend starrten die Ärzte die Patientin und den toten Körper hinter ihr an. Was hatten sie bloß angerichtet?

MonsterblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt