You can smile as long as we're together

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Ich starrte vor mich hin, rührte mich kaum. Konnte mich nicht bewegen, wie sehr ich es auch versuchte. Konnte nicht lachen, nicht weinen. Ich war auf meine Hand fokussiert. Meine blutverschmierten und verdreckten Hand. „Was habe ich nur getan?",fragte ich mich wieder und wieder. Ich wusste es war nicht richtig was er getan hatte, aber war diese Art von Bestrafung fair? Wie könnte mir jemals jemand verzeihen? Wie könnte sie mir verzeihen? Ich habe ihr ihren Vater genommen. Unseren Vater. Wie konnte die Situation so schnell eskalieren?

Ich sah immer wieder die Erinnerungen vor meinem inneren Auge aufblitzen. Immer wieder sah ich seinen Gesichtsausdruck vor mir. Wie er meine Schwester – sein eigenes Kind – gegen die Wand drückte und ihr seine Lippen auf den Mund pressen wollte. Wie er ihr die Bluse vom Leib reißen wollte. Wie er sie Schlug, damit sie aufhörte sich zu wehren.

„Fuck!", brüllte ich und schlug mit der Faust auf den Boden unter mir. Eine Staubwolke wirbelte in die Luft und und funkelte in der Morgensonne. Ich schaffte es mich zubewegen. Ich sah wie mein Körper wieder auf meinen Willen reagierte, spürte es aber kaum. Ich fühlte mich wie betäubt.

Mein Blick fiel auf meine Wasserflasche. Ich nahm sie und tröpfelte es in meine Hände,versuchte die rote Substanz abzuwaschen. Es widerte mich an das Blut dieses Mannes an meinen Händen kleben zu haben. Ich schmierte es angeekelt an mein Shirt, so sehr war es schon getrocknet.

Ich zückte mein Handy und scrollte durch meine Kontakte, rief den Menschen an, der wusste wie er mich ablenken konnte. Das Klingeln als die Leitung aufgebaut wurde war unerträglich. Es war so laut und hallte in meinem Kopf immer wieder nach. „Hey", flüsterte ich, „ich muss euch sehen." Meine Stimme brach. „Wir treffen uns im alten Schwimmbad", mit diesen Worten legte er auf.

Ich musste vorher noch duschen, so dürften sie mich niemals sehen. Mit aller Kraft hievte ich mich in den Stand. „Ich muss mich beeilen", murmelte ich vor mich hin und verdrängte meine Gefühle. Zwang mich einen Fuß vor den anderen zusetzen. Wieso war es nur so verdammt anstrengend?

Als ich endlich zuhause angekommen war, schmiss ich all' meine Sachen in irgendwelche Ecken und ging ins Badezimmer. Ich schloss die Tür ab und sank auf den Boden. Hier zu sein war zu viel für mich. Es ist kaum auszuhalten, aber ich musste. Musste den Anblick seines Eigentums ertragen und alle Erinnerungen, die in dieser Wohnung entstanden sind.

Ich ohrfeigte mich innerlich selbst und rappelte mich auf. „Du schaffst das!", versuchte ich mir selbst Mut zu machen und stieg unter die Dusche. Das Wasser prasselte auf meinen Körper und ich atmete tief durch. Einen Moment verweilte ich in dieser Position.

Ich wusch das ganze Blut und alles an Dreck ab. „Wie konnte es nur so weit kommen?", schoss es in meinen Kopf. Es war komisch. Auf einmal erschienen mir alle Erinnerungen an meinen eigenen Vater komplett wertlos. Er war mir egal. Alles war mir egal. Ich fühlte mich nicht mehr wie ich selbst. Als würde das alles einer anderen Person passieren und ich würde es von außen betrachten. Ich sah das Wasser auf der Haut, aber es war, als wäre es nicht meine. „Das ist doch krank! Das ist nicht normal!", ich schlug mit meiner Faust gegen die Fliesen. Erschrocken über mich selbst starrte ich die Stelle an, an der ich meine Wut raus gelassen hatte. Die Wut auf meinen Vater, auf mein Leben und auf mich selbst.

Ich drehte den Kran zu und riss den Vorhang zur Seite. Ohne mich abzutrocknen lief ich in mein Zimmer und zog mich an. Ich hätte niemals gedacht, dass einem Menschen alles so irrelevant erscheinen könnte.

Schnellen Schrittes begab ich mich zum Treffpunkt und bemerkte, dass noch niemand da war. Ich ließ mich auf eine alte Matratze fallen und versuchte mich zu entspannen. Meine Hand glitt in meine Jackentasche und holte ein Foto heraus. Ich blickte in sein abstoßendes Gesicht und zerknüllte das Bild, warf es einfach weg. Es war zu viel passiert. Wie sollte eine Person allein so ein traumatisches Erlebnis überstehen?

Ich schloss meine Augen und versuchte nicht darüber nachzudenken. Versuchte mich an schöneres zu erinnern.

Einige Minuten vergingen und ich spürte eine Hand auf meiner Schulter. Ich riss meine Augen panisch auf und entspannte als ich in das Gesicht eines Freundes blickte. Des Freundes, der mich immer ablenken konnte.

„Was machst du da?", fragte er mich und half mir auf die Beine. Die Anderen begrüßten mich lächelnd und schlugen mir liebevoll auf den Rücken. Ich fühlte mich sofort ein klein wenig besser. Erleichterung breitete sich in mir aus. Sie fragten nicht, warum ich sie so dringend sehen wollte und waren einfach nur für mich da.

Die Anderen machten ihren Job ziemlich gut und fingen sofort an herumzualbern. Es war ziemlich lustig mit anzusehen auf welche Ideen sie kamen. Ich beobachtete meine Freunde dabei, wie sie sich einen Transportroller nahmen und sich durch das Schwimmbecken schoben. Wie sie sich mit Schwertkämpfen, Golf oder Armdrücken herausforderten. Wohl bemerkt nutzten wir ein kleines, gelbes Spielzeugauto als Golfball, weil wir nichts anderes hatten. Es war belustigend mit anzusehen. Ich bekam sogar ein wenig Lust mitzumachen.

Beim Armdrücken war unser Jüngster einfach unschlagbar. Mit Abstand war er der stärkste von uns. Später wurde sogar noch ein Dancebattle angezettelt. Wir fingen an uns irgendwelche Choreografien auszudenken, aber es war unvermeidbar, dass alles ins lächerliche gezogen wurde als der Rest sich entschied auch teilzunehmen. Wir machten die kindischsten und unsinnigsten Bewegungen. Teilweise gaben sie sich sogar als Stripper aus und versuchten andere Mitglieder unserer kleinen Gruppe anzumachen. Sie konnten echt verdammt gut mit ihren Bewegungen flirten. Alle brachen gleichzeitig in Gelächter aus, dass uns schon der Bauch schmerzte. Ich war so froh darüber, dass dieser Tag mithilfe von Kameras festgehalten wurde. Ich würde diese Momente niemals vergessen wollen.

Am Ende des Tages Gespräch verging mir die Lust am Reden und ich stand leise auf. Ich brauchte etwas Zeit für mich und wollte die anderen nicht unterbrechen. Ein Freund sah mich fragend an. Nickend blickte ich auf ihn hinunter, um ihm zu versichern, dass alles in Ordnung war. Ich schaute auf das kleine Gebäude neben uns und beschloss hinaufzuklettern. Nach ein paar Schritten bemerkte ich einen Müllcontainer hinter dem kleinen Haus. Mit einem Satz sprang ich auf diesen und zog mich an der Wand nach oben. Als ich es geschafft hatte mich hinzustellen, lief ich zur Kante und ließ meinen Blick schweifen. Ich musterte das kleine, grüne Waldstück und das Graffitimonster, welches ich vor wenigen Stunden um die Statur eines Freundes gesprayt hatte. Auch wenn dieser Ort alt und zerfallen war, war er dennoch wunderschön. Ich schaute auf meine Freunde, die immer noch am Beckenrand saßen, lachten und sich gegenseitig filmten. Mir wurde bewusst wie richtig es gewesen war sie anzurufen. Ich hatte lange nicht mehr einen so schönen Tag erlebt und hatte auch nicht an die Vorkommnisse der letzten Nacht denken müssen. Zeitweilig war meine Tat in den Hintergrund gerückt, fast schon in Vergessenheit geraten. Ich war ihnen so dankbar, das konnte man kaum in Worte fassen.

Jedoch war es nicht möglich, dass ich sie 24/7 an meiner Seite hatte. Selbst wenn, würde ich mich früher oder später mit dem Geschehenen auseinandersetzen müssen. Ich konnte es nicht für immer verdrängen, das war unmöglich.

Ich wendete meinen Blick von meinen Freunden ab und sah hoch in den Himmel. Eine Träne wanderte langsam mein Gesicht entlang, als ich meine Augen schloss und tief durchatmete.

Wie soll ich das bloß überstehen?

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