Ace Creek Ranch

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„Anna? Bist du es?" Diese Stimme kannte sie. „Max! Oh was freu ich mich dich zu sehen!" Sie sprang dem Sohn des Zimmermanns in die Arme, dem vor Entsetzten noch immer der Mund offenstand. Der Sohn von Heinrich Wagner, schloss seine Arme um Anna. „Wir dachten du wärst tot. Wir dachten die verdammten Rothäute hätten dich umgebracht", hauchte er noch voller Unglauben. „Ganz im Gegenteil", lachte Anna, „Sie haben mich aufgenommen und ich habe für sie gearbeitet. Du wirst mir nicht glauben was sie mir alles beigebracht haben. Und schau, was für ein schönes Pferd sie mir geschenkt haben." Sie zog den immer noch perplexen Max hinter sich her, um ihm Shilah zu präsentieren. Bei dem Anblick dieses wundervollen Mustangs klappte Max erneut die Kinnlade herunter. „Mach den Mund zu, sonst schluckst du Fliegen!", neckte Anna ihn.

„Wieso schenken sie dir ein Pferd und wieso bist du noch am Leben?" Plötzlich wurde Max ernst. „Ich denke... Ich.. Ich weiß es nicht", log Anna. Sie kannte den Grund und er hieß Canovist. Doch das wollte sie vor Max nicht zugeben. Insbesondere, da auf einige andere Apachen ein Kopfgeld ausgesetzt war, wie Ranger Hanson ihr auf der Reise erzählte. Der Junge sollte auf keinen Fall ein voreiliges Urteil über Canovist fällen. Aber warum war ihr das so wichtig?

„Anna?", riss Max sie aus ihren Gedanken. „Was sagst du dazu?" „Mh? Verzeih, ich habe dir nicht zugehört. Worum geht es?" Max seufzte. „Ich habe dich gefragt, ob du nicht die Nacht bei uns verbringen möchtest? Unsere Hütte ist beinahe komplett fertig gestellt und für dich haben wir sicherlich noch ein Bett frei", bot er an. „Eure Hütte ist schon fertig?" Dass sich so schnell ein neues Heim bauen lässt hatte Anna nicht erwartet. „Natürlich. Wir sind Handwerker und hatten kräftige Hände zur Hilfe. So lässt sich eine Hütte recht schnell in vier Wochen erbauen." Vier Wochen? So lange war sie bei den Apachen gewesen? Es kam ihr gar nicht so lang vor. Also war Maska etwa drei Wochen auf der Flucht und auf einmal wünschte sie sich, den Texasranger bei seiner Suche nach ihm unterstützen zu können, doch leider hatte sie keinerlei Kenntnisse über seinen Aufenthaltsort.

Nach kurzer Fahrt mit einem Ochsenkarren erreichten sie das Land der Wagners. Max war mit ihm ihn die Stadt gefahren um Dinge, wie Seife, Nägel und ähnliches zu kaufen, eben alles, was die Siedler selbst nicht herstellen konnten. Brav trabte Shilah hinter dem Karren her, an dem er mit einem Strick befestigt war. „Und deshalb verdient Vater das meiste Geld im Augenblick mit Zimmermanns Arbeiten, die er anderen anbietet", schloss Max seine Erzählung gerade darüber, wie ihr Leben hier in den letzten Wochen verlaufen war. Anscheinend hatten sie sich gut eingefunden und Frau Wagner schien sich wieder vollständig von der Cholera erholt zu haben. „Da vorne kannst du schon unser Haus sehen und dort hinten schon die Grundsteine der Scheune." Aufgeregt deutete der Junge gen Westen. Die Straße war hier nicht mehr als zwei Radrinnen im Boden und trotz des von der letzten Herbstsonne verdorrten Grases konnte Anna die Schönheit des Landes im Sommer nur erahnen. Das Land der Wagners befand sich direkt an einem Ausläufer des Pedernales River, der sich als sanfter Bach zwischen Haus und Scheune hindurchschlängelte.

„Ihr müsst hier sehr glücklich sein", sagte Anna mit brüchiger Stimme und sie kämpfte mit den Tränen und dem Kloß in ihrem Hals. Schmerzlich erinnerte sie dieser Ort an ihre Eltern, war doch hier alles genau so, wie sie es sich je erträumt hatten. Dennoch musste sie lächeln, da sie nun endlich den Ort erreicht hatte, den ihre Eltern für sie vorgesehen hatte. Sie wand sich zu Max um, der sie schon eine Weile betrachtete. „Das sind wir. Das sind wir wirklich. Wir nennen sie Ace Creek Ranch, wie das Wasser, dass durch sie hindurchfließt." Er lachte zurück. Eine Weile blickten sich die beiden nur an, glückselig, und niemand sagte ein Wort, bis Max den Karren vor dem Wagen stoppte. „So. Nun aber genug der Tränen! Was werden meine Eltern sich freuen dich zu sehen!", sagte er entschlossen und reichte Anna seine Hand, um ihr vom Karren herunter zu helfen.

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Die Wiedersehensfreude war riesig und sofort wurde Anna ins Haus gebeten. Während es Abendmahles musste Anna zum dritten Mal an diesem Tag ihre Geschichte erzählen. Doch wie zuvor auch dem Ranger, verschwieg sie auch den Wagners einige Details, von denen sie glaubte, dass sie sie nicht verstehen könnten. Oder was schlimmer wäre: Wenn sie die Dinge missverstünden. Das Verhältnis von Einheimischen und Siedlern war extrem angespannt und empfindlich und Anna fürchtete einen Sturm auszulösen, wenn sie zugab, dass sie im Stamm als Gefangene gelebt hatte und welche Demütigung sie an ihrem ersten Tag erfahren musste. „Wir sind so froh dich lebend wieder zu haben. Wir wagten es schon gar nicht mehr zu hoffen." Heinrich klopfte ihr freudig auf den Rücken. „Du kannst so lange bleiben, wie du möchtest", stimmte auch seine Frau zu. „Max wird dir das Gästezimmer zeigen. Bitte verzeih noch die Unordnung. Wir sind noch sehr in dem Aufbau unserer Farm vertieft." „Vielen Dank für eure Gastfreundschaft. Ich hoffe, ich kann mich erkenntlich zeigen." Anna nickte den beiden Erwachsenen zum Abschied zu und folgte Max dann die Treppe herauf.

„Wir haben eigentlich kein Gästezimmer", gab Max zu, „Aber du darfst gerne in meinem Bett schlafen. Ich lege mich dann unten in die Küche" „Ich möchte dir nicht zur Last fallen!", wehrte Anna ab, doch Max bestand auf sein Vorhaben. Sie setzte sich auf das Bett nieder und erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr sie ein richtiges Bett vermisst hatte, auch, wenn dieses hier ein sehr Einfaches war. „Leider konnten wir unsere Habe bei dem Indianerangriff nicht retten, doch diese Wolldecken haben wir in der Stadt gekauft und sie halten sehr warm." Er reichte ihr eine der Decken. Der Stoff war kratziger, als die Tierfelle, die die Apachen zum Schlafen nutzten, doch sie würde sie mindestens genauso warmhalten. „Ich danke dir vielmals." Sie schenkte Max ein Lächeln, der noch immer in der Tür stand und keine Anstalten macht zu gehen. Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und es schien als wollte er etwas sagen, doch schloss er den Mund wieder, ohne auch nur einen Ton zu verlieren. „Also dann", durchbrach Anna die Stille, „Gute Nacht." Endlich erwachte Max aus seiner unangenehmen Starre. „Träum schön Anna. Schön, dass du wieder da bist." Mit diesen Worten wandte er sich hastig um und zog die Tür hinter sich zu.


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